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Umwandlung. Aus Roggen wird in der Bioraffinerie am ATB Milchsäure  ein Grundstoff für die chemische Industrie.

© Andreas Klaer

KUNSTSTOFF AUS BIOMASSE: Die einzige Alternative Vom Rohstoff zum Produkt

Wenn das Öl knapp wird, braucht die chemische Industrie Bioraffinerien. Ein Pilotprojekt in Potsdam Die Idee soll langfristig aus sich selbst heraus funktionieren

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Es hängt viel dran. 450 000 Beschäftigte zählt die Branche der stofflichen Chemieproduktion in Deutschland. Kunststoffe werden in allen Bereichen des heutigen Lebens benötigt, rund 20 Millionen Tonnen Erdöl verschlingt die Produktion jährlich. Doch das Öl wird knapp, schon in 20 bis 30 Jahren rechnen Experten damit, dass es unbezahlbar wird. Für chemische Erzeugnisse gibt es dann nur noch eine dauerhafte Alternative zum Öl: nachwachsende Rohstoffe. Sie sind die einzige Rohstoffquelle, die für die Chemie notwendige Kohlenstoffverbindungen enthält.

Das hat man am Agrartechnischen Institut in Bornim (ATB) längst erkannt. Bereits vor drei Jahren ging die Pilotanlage zur biotechnologischen Erzeugung von Wertstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen in Betrieb, die wissenschaftlich-technischen Grundlagen dafür wurden in den vergangenen 15 Jahren am ATB gelegt. Die Anlage läuft mittlerweile rund und erweckt großes internationales Interesse. Die Biochemiker schroten Roggen, versetzen das Getreide zu einer nach Malz riechenden breiartigen Melasse, die durch diverse Rohre, Kolben, Tanks und Schläuche geht, um am Ende, nach der Umwandlung durch Mikroorganismen, als glasklare Flüssigkeit herauszukommen. Hochwertige Milchsäure, mit dezentem Sauerkrautduft. Aus dieser Substanz können die Polymerchemiker dann den hochwertigen Kunststoff PLA machen, für Becher, Flaschen, Tüten, Handygehäuse, Bekleidung und was sonst noch alles benötigt wird. Auch die chemische Industrie kann das „Wässerchen“ als Grundstoff weiter verwenden.

Der nächste Schritt für die Forscher ist nun, vom hochwertigen Getreide wegzukommen und Biomasse und biologische Abfälle als Rohstoff zu nutzen. „Die rapide steigenden Preise für Getreide im vergangenen Jahr haben gezeigt, dass die Bioraffinerie nicht mit Pflanzen betrieben werden kann, die mit der Lebensmittelproduktion in Konkurrenz stehen“, erklärt die ATB-Sprecherin Helene Foltan. Die Forschung muss die Anlagen nun so optimieren, dass sie auch aus gewöhnlichen Garten- oder Küchenabfällen die hochwertige Milchsäure gewinnen können. Dazu kommt jegliche Grünmasse aus Wald und Flur, Stroh und Holz, aber auch Reststoffe etwa aus der Lebensmittelbranche und auch Abfälle in Frage. „Wegen der Konkurrenz der Rohstoffe geht es für uns jetzt definitiv um die Reststoffe“, erklärt Joachim Venus, der das Projekt am ATB betreut. Der Begehrte Kohlenstoff steckt in nahezu allen natürlichen Substanzen. Und wenn man den PLA-Kunststoff schließlich wieder kompostiert, gelangt der Kohlenstoff wieder in die Erde. „Die Idee ist, einen möglichst geschlossenen Kreislauf herzustellen“, erklärt Helene Foltan.

Um geschlossene Kreisläufe geht es den Agrarforschern auch in einem weiteren Sinne. Stichwort ländlichen Räume: hier biete sich die Chance, angesichts der Verknappung der fossilen Rohstoffe in strukturschwachen Regionen wieder auf die traditionelle Flächenbewirtung umzustellen. „Durch die Produktion von Biomasse eröffnen sich alternative Einsatzfelder im Non-Food-Bereich“, sagt Joachim Venus. Was dabei in Zukunft wichtig wird, sind kurze Wege. Denn der Transport der Rohstoffe würde wieder viel Energie kosten und das Verfahren ineffizient machen. Dieses Prinzip leben die ATB-Forscher heute schon vor. Das Getreide für die Anlage stammt aus der Region, die Milchsäure wird von den Kollegen am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) in Golm weiter bearbeitet und in seinen Eigenschaften erforscht – nur wenige Kilometer Luftlinie vom ATB entfernt.

Der Leiter des ATB, Prof. Reiner Brunsch, betont die Nachhaltigkeit des Verfahrens. „Wir wollen etwas anbieten, das langfristig aus sich selbst heraus funktioniert und in die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse passt“, sagte er den PNN. Den Agraforschern ist auch die soziale Komponente wichtig. „Wir bringen mit den Bioraffinerien hochqualifizierte Arbeitsplätze in die ländlichen Räume zurück“, erklärt Brunsch. Die Landwirte würden die Rohstoffe liefern, Ingenieure diese dann in den Raffinerien weiter verarbeiten. Es geht um Rohstoffe aus der Region, die vor Ort verarbeitet und deren Produkte auch dort genutzt werden. Solche dezentralen Lösungen sind nicht neu. Brunsch erinnert daran, dass vor dem Krieg viele Gutshöfe eigene Brennereien hatten, in denen aus den Reststoffen der Landwirtschaft Alkohol zum Verkauf hergestellt wurde. „Solche dezentralen Lösungen haben heute wieder eine Perspektive“, so Brunsch.

„Auf dem Gebiet läuft ein weltweites Rennen unter den Forschern“, weiß Joachim Venus. Alle suchen ein Verfahren, mit dem Reststoffe so genutzt werden können, wie das Korn. Was das Potenzial der Reststoffe anbelangt, ist Venus zuversichtlich. „Da fallen Millionen von Tonnen an.“

Die in pflanzlicher Biomasse enthaltenen Kohlenhydrate lassen sich durch Enzyme zu Zucker aufschließen, der wiederum von Bakterien in Milchsäure umgewandelt wird. Milchsäure bietet ein großes Potenzial für den Aufbau industriell relevanter Rohstoffe. Die wasserklare Flüssigkeit kann mit chemischen Verfahren zu einem Granulat polymerisiert werden. Diese Polymilchsäure (PolyLactic Acid, PLA) besitzt ähnliche Eigenschaften wie die erdölbasierten Kunststoffe PET (Polyethylenterephthalat) und PP (Polypropylen) und kann mit vorhandener Technik zu Folien, Flaschen und Fasern verarbeitet werden. Die Nachfrage nach PLA steigt nach Angaben des Leibniz-Instituts für Agrartechnik Bornim (ATB) kontinuierlich an. Das Marktvolumen für Milchsäure liege derzeit bei etwa 250 000 Tonnen weltweit. PLA dränge auf den Markt, doch der Martktanteil liege noch deutlich unter einem Prozent. Derzeit ist PLA noch deutlich teurerer als petrochemische Produkte. PNN

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