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Landeshauptstadt: Die Erde auf der Couch

Von Marx zur Geomantie: Die Psychologin Petra Junghähnel glaubt an „Wege der Erdheilung“

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Von Marx zur Geomantie: Die Psychologin Petra Junghähnel glaubt an „Wege der Erdheilung“ Von Guido Berg Mit ausgestreckten Armen und den Handinnenflächen nach vorn nähern wir uns in der Hegelallee dem erstbesten Baum. „Spüren Sie etwas?“ Es kribbelt in den nach unten gerichteten Fingerspitzen. Petra Junghähnel begründet diese Erfahrung mit den Energieströmen im Baum. Kurz darauf erkunden wir mit gleicher Methode Kraftfelder auf dem Fahrradweg des Mittelstreifens. Die Insel Potsdam ist von ihren Gründern, insbesondere von Johann Moritz von Nassau-Siegen, nach geomantischen Gesichtspunkten geplant worden. Erdstrahlen und Wasseradern wurden berücksichtigt, ebenso Strahlungslinien in der Erde. Eine dieser so genannten Ley Lines verläuft entlang der Hegelallee. Daher eine Adresse zum Wohlfühlen, findet die Diplom-Psychologin Junghähnel, denn laut Moritz von Nassau-Siegen sollte „das gantze Eylandt ein Paradies werden“, und nicht weit von der Hegelallee, dort, wo heute der Obelisk steht, „ist das Zentrum dieses Paradieses“. In Jena studierte Petra Junghähnel Sozialpsychologie, in der Nervenheilklinik Neuruppin arbeitete sie als Psychologin, Stations- und Heimleiterin. Sie hat nicht gern in Fontanes Geburtsstadt gewohnt, weil die Leute dort etwas engstirnig gewesen seien. Sehr wohl aber habe sie gern in der DDR gelebt. „Die Mauer habe ich nie als Problem gesehen“, sagt sie und „ich habe in diesem Staat gelebt, ihn mitgestaltet und dafür meine Dresche bezogen“. Die Wende erlebte sie nicht als Befreiung, auch nicht als eine Ausdehnung ihrer geistigen Möglichkeiten. Sigmund Freunds Werke habe sie schon als Studentin lesen können – wenn die Bücher auch aus dem „Giftschrank“ der Bibliothek stammten. Die Zeit nach dem Herbst 1989 beschreibt sie heute „als Niedergang meiner Arbeit in der Rehabilitationsklinik Neuruppin“. Die „strukturbestimmenden Betriebe der Region“ – sie lächelt, weil sie sich dieser Phrase so genau erinnern kann – warfen „pronto“ die bei ihnen beschäftigten Behinderten ihres Heimes nach der Währungsunion hinaus und zogen sich auch aus der Finanzierung des Heimes zurück. Vorstellungen, dass mit der Demokratie auch der Humanismus in die ostdeutsche Psychiatrie Einzug hielt, kann sie nicht teilen. Zwangsjacken seien in der DDR bereits 1964 abgeschafft worden. Freilich seien Patienten, die „dekompensiert“ haben, die ausrasteten, am Bett „fixiert“ worden. Sie selbst ermutigt ihre Patienten jedoch „zum Schreien“, freut sich mit ihnen über Weinkrämpfe, denn depressive Menschen können oft gar nichts mehr spüren und sind „heilfroh über das Heulen“. Es gab Kollegen, die sahen es nicht gern, wenn sich Petra Junghähnel mit den Patienten beschäftigte. Es fielen Bemerkungen. Beispielsweise: Sie fragt, wie es einem bestimmten Patienten geht. Antwort: „Der ist jetzt in der geschlossenen Abteilung – kein Wunder, wenn der sich mit dir unterhalten hat.“ Nach der Wende, sagt sie, sei die Medikamentenhörigkeit „ungeheuer gestiegen“, Patienten würden häufiger mit Medikamenten ruhig gestellt. Auch glaubt sie, dass zwangseingewiesene Patienten lange nicht für gesund erklärt werden, weil die Anstalt nach der Entlassung nichts mehr an ihnen verdienen würde. Auch das eine Erfahrung der Wendezeit: Ihr Schwager ist Jagdflieger, bei einem Demonstrationsflug stürzt er mit seiner Maschine ab – im September 1990, wenige Tage „vor der Annexion“, wie sie sagt, am 3. Oktober 1990. Es ist der letzte NVA-Absturz überhaupt. Um die Behindertenbetreuung nach 1990 gemäß westdeutschem Vorbild zu organisieren, gründet sie mit anderen den Verein „Lebensräume“. Als Vereinsgeschäftsführerin stellt sie Leute aus der Region ein, die wegen der Erfahrung der für sie unbekannten Arbeitslosigkeit völlig desillusioniert sind. Sie gibt ihnen ein Festgehalt, Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Nach einigen Jahren wissen diese Leute nicht mehr, dass ein Dienstwagen nicht für Privatfahrten da ist. Petra Junghähnel erinnert sie daran – und macht sich unbeliebt. Darauf wählen die Gescholtenen einen neuen Vereinsvorsitzenden. Es ist ein Westdeutscher, den sie selbst ins Boot holte, weil sie ihm vertraute. Der Mann verspricht den Vereinsangestellten Privatfahrten und „das Blaue vom Himmel“ und entledigt sich „natürlich“ als erstes der Vereinsgründerin und Geschäftsführerin. „Das hat schon weh getan“, sagt sie. Dass die Mitarbeiter, denen sie einst berufliche Perspektiven gab, sich gegen sie aussprachen, dass empfindet sie als „Verrat“. Heute wirkt Petra Junghähnel gelassen, ausgeglichen, offen. Sie korrigiert mühelos einen Kernsatz von „Kalle“ – Karl Marx, den Autor der „Kapitals“, der postulierte, das materielle Sein bestimme das Bewusstsein. Die Psychologin findet, das Bewusstsein könne auch das Sein bestimmen. „Wenn ich gut drauf bin, schaffe ich etwas und verändere so mein Sein.“ Petra Junghähnels postsozialistischer „Kalle“ heißt nun Marco Pogacnik, der Autor von „Wege der Erdheilung“, wie sie sagt, „eine Koryphäe“ der Geomantie. Das bedeutet ursprünglich Weissagung aus der Erde (von griechisch gaia = Erde, manteia = Weissagung). Bei der sich als ganzheitlich begreifenden Wissenschaft werden „natürliche Energieströme“ und „Energiezentren“ in die Naturraumgestaltung einbezogen. Kritiker belachen die Geomantiker als „Geokomiker“. Die 47-Jährige erzählt, „der Wassergeist der Nuthe“ habe ihr erzählt, sie solle das Wissen der Geomantie unter den Menschen verbreiten. Dass die Polizei ihr erlaubt, Potsdamer Kreuzungen, die Unfallschwerpunkte sind, geomantisch zu untersuchen, überraschte sie nicht: „Was erwarten Sie? Die Polizei hat ihren Sitz an der Breiten Straße, das ist Potsdams Hauptenergielinie.“ Da sei es klar, dass sie offen sind für neue Ansätze. „Ungeheuer viele Wasseradern“ gebe es etwa an der Kreuzung Wetzlarer Straße/Großbeerenstraße, das lenke die Autofahrer ab. Der Oberbürgermeister und die Baubeigeordnete hätten dagegen kein offenes Ohr für die Geomantie. Das sollten sie ihrer Ansicht nach aber, den Fehlinvestitionen ließen sich vermeiden, in dem die geschundene Erde geheilt wird, indem „das Flair, das in der Erde ist, über uns nach oben gebracht wird“. Als Beispiel nennt sie das Bornstedter Feld, als ehemaliger Exerzierplatz war er der Schleifplatz der Militärs. Angst habe sich dort als „feinstoffliche Phänomene“ in der Erde erhalten. Ebenso in der Speicherstadt, wo sich ein Schlachthof befand. Es sei daher kein Wunder, dass sich für dieses Gebiet kein Investor finde. „Das Grauen habe ich dort noch körperlich gespürt.“

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