Landeshauptstadt: Die Frau, die nach den Sternen greift
Die Indianerin Julie Garreau leitet ein Kinder-Haus in Süd-Dakota, der Potsdamer David Schiefer half dort
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Die Indianerin Julie Garreau leitet ein Kinder-Haus in Süd-Dakota, der Potsdamer David Schiefer half dort Innenstadt - „Nicht alle Indianer sind wild und nicht alle Indianer tragen bunte Federn oder Kopfschmuck“, sagt Julie Garreau entschieden. Die Frau sitzt in einem kleinen Raum der alternativen Galerie „Kunstwerk“ in der Schopenhauerstraße 16. Sie erzählt den zumeist jugendlichen Besuchern von ihrer Arbeit, zeigt Fotos mit einem Projektor: Julie Garreau ist die Leiterin des „Cheyenne River Youth“-Projekts, sie baute in einem Reservat der Sioux-Indianer in Süd-Dakota ein Freizeithaus für Kinder auf. In der Nähe von Garreau sitzt der Potsdamer Psychologie-Student David Schiefer. Er weiß um die Verdienste der massig wirkenden Amerikanerin, an der nur die Symbole an Ohrringen und die Kette an ihre indianische Herkunft erinnern. Schiefer arbeitete 2000 ein dreiviertel Jahr als freiwilliger Helfer in dem Haus, dass in der 3000-Seelen-Gemeinde Eagle Butte liegt und dort unter dem Namen „The Main“ bekannt ist. „Das Gebäude liegt direkt an der Hauptstraße, deshalb heißt es so“, erklärt der 24-Jährige. „Das Schicksal in die Hand nehmen“ Nun redet Garreau, stellt das Projekt in allen Details vor. „Ich wollte das Schicksal in meine eigenen Händen nehmen“, beginnt Garreau im Jahr 1988. Damals kaufte ihr Stamm den Flachbau, in dem nun das Kinderhaus seinen Sitz hat. „Früher war das eine berüchtigte Kneipe“, erinnert sich Garreau. Sie berichtet von den damaligen Zuständen, die heute oft noch immer existieren: Alkoholismus in den Familien, Prügeleien, nicht selten Missbrauch. „The Main“ soll das Gegenstück zur Perspektivlosigkeit sein. „Wir sind für Hilfe von außen sehr dankbar“, sagt Garreau. Neben dem Studenten David Schiefer sind noch drei andere Ex-Freiwillige da, die mehrere Monate lang Julie Garreau zur Seite standen. Sie erzählen über ihre Erfahrungen in der weiten Prärie von Süd-Dakota, über ihr Leben in einer fremden Kultur, über die Freude der Kinder. „Ich war beeindruckt, wie sehr Menschen mit ihrer eigenen Kultur verwachsen können“, sagt David Schiefer. „Als ich zurück kam, habe ich mit diesem Blick Deutschland und Europa komplett neu für mich entdecken können.“ Schiefer gerät ins Schwärmen, wenn er über die Traditionen der Indianer spricht: „Sobald man im Reservat ist, liegt eine bestimmte spirituelle Aura und Kraft in der Luft.“ An ein Ereignis erinnert er sich besonders gut: Die Schwitzhüttenzeremonie. Dabei sitzen die Teilnehmer im Kreis in einem halbrunden Iglu aus Holz und Felldecken, in der Mitte liegen sieben heiße Steine. Darüber wird Wasser gekippt, der aufsteigende Dampf breitet sich im Zelt aus, Sauna. Dazu indianische Gesänge, Trommeln, Rasseln... „Es war eine unbeschreibliche Erfahrung und eine Ehre für mich, dabei sein zu dürfen“, sagt Schiefer noch heute mit leuchtenden Augen. Fremde im eigenen Land Auch Julie Garreau blüht auf, wenn es um die Kultur ihres Volkes geht: „Wir versuchen, unsere alten Traditionen wieder zu beleben.“ Sie blickt zu den Gästen und erzählt die Geschichte ihres Stammes. Sie schildert das Vordringen der Weißen ab dem Beginn des 18. Jahrhunderts, die gebrochenen Land-Verträge, die Vertreibungen, Massaker. „Sie wollten unsere Kultur zerstören“, sagt Garreau. So seien beispielsweise noch bis 1978 die alten Rituale der Indianer unter Haftstrafe verboten gewesen. Obwohl sie äußerlich ruhig und gelassen spricht, funkeln die dunklen Augen unter ihren dicken schwarzen und kurz geschnittene Haaren. „Eigentlich sind wir von der Rechtsform ein eigener Staat im Staate, deshalb stehen uns bestimmte Fördergelder zu“, betont Garreau. „Doch dieses Geld wird gegen den Geist der Verträge nur als Wohlfahrt bezahlt.“ Sie bringt Beispiele, Fälle von ihren Stammesangehörigen, die zwar eine kostenlose Krankenversicherung haben, jedoch von normalen Krankenhäusern abgewiesen werden, dahinsiechen und sterben. „Es gibt noch immer zu viel Not und Elend.“ Fremdhilfe zur Selbsthilfe Deshalb der Auftritt in Potsdam, nur einer der Termine in Deutschland. Julie Garreau will Kontakte knüpfen und weitere Freiwillige für ihr Projekt gewinnen, dass demnächst eine neue Stufe erreichen soll. Das Kinderzentrum erhält einen Anbau, soll auch Teenagern offen stehen. „Dann werden wir mehr Helfer brauchen“, sagt Garreau. Für ihren Einsatz bekam sie von der US-Regierung schon einen Preis, zur Verleihung flog sie nach Washington. Sie lacht: „Ich saß an einem Tisch mit Michael Jackson und Ex-Präsident Georg Bush Senior.“ Beim Gedanke an seinen Sohn und jetzigen Präsidenten Georg W. Bush schmunzelt Garreau nicht mehr. Sie sorgt sich um die wenigen Privilegien, die Indianer in ihren selbstverwalteten Reservaten genießen. „Die Kämpfe werden härter“, sagt sie entschlossen. Dass sie die Kraft zum Widerstand aufbringen kann, daran lässt sie keinen Zweifel. Die Kämpfernatur von Julie Garreau haben auch die Männer ihres Stammes erkannt. Sie erhielt dort als erste Frau einen männlichen Indianer-Namen: „Die nach den Sternen greift.“ Henri Kramer www.indianer-reservation.de
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