Von Jan Kixmüller: Die große Stunde der Generalisten
Vom Rätsel der Menschwerdung: Geoforscher der Uni sehen Klimasprünge als Motor der Entwicklung
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13 Minuten dauerte der tägliche Flug mit dem Helikopter. Dann waren die Forscher um den Geowissenschaftler Dr. Martin Trauth von der Universität Potsdam am Einsatzort, in einem tiefen Graben 1000 Meter unterhalb ihres Camps. Eine der heißesten Gegenden der Erde, Staubstürme und Steinschlag, Schlangen und Skorpione – das Suguta Valley im Norden Kenias ist kein Ort für Bildungsreisen. Hier in Ostafrika, das als Wiege der Menschheit gilt, sammelten die Geologen im Juni dieses Jahres hunderte Proben von Seesedimenten, um das Klima vor Jahrtausenden zu bestimmen. Ziel dabei war es, Aufschluss über die Klimabedingungen zu erhalten, in denen der Mensch sich aus schimpansenähnlichen Vorfahren zum Homo sapiens entwickelte.
Die extremen Arbeitsbedingungen waren allerdings nicht die einzige Herausforderung für die Potsdamer Forscher. Denn die drei Volksgruppen Turkana, Pokot und Samburu, die seit Menschengedenken in der Gegend leben, sind nicht immer gut aufeinander zu sprechen. Bei der Expedition in diesem Jahr hatte gerade ein Stamm dem anderen 10 000 Ziegen gestohlen. „Wir hatten Sorge, dass plötzlich Tausende von Ziegen durch unser Camp getrieben werden könnten“, erinnert sich Martin Trauth. Doch alles lief gut. Dank findiger Kontakte und vielleicht auch wegen des Helikopters. Denn schon bei der ersten Expedition im vergangenen Jahr hielten die streitlustigen Volksgruppen den dunkelblauen Flieger für einen Polizeihubschrauber und zogen sich prompt zurück, sobald er im Suguta Valley auftauchte.
Zwei Mal schon, jeweils im Juni 2007 und 2008, war Martin Trauth mit einem Team von Spezialisten aus sechs Ländern in Ostafrika auf Expedition, stets veranstaltet im Rahmen eines an der Universität Potsdam eingerichteten Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Untersucht wurden zirka eine Million Jahre alte Ablagerungen von ehemaligen Seen. Fossile Kieselalgen darin verraten den Forschern etwas über die damaligen Lebensbedingungen. Der Einsatz hat sich gelohnt. Erste Ergebnisse stützen Trauths These vom variablen Feuchtklima während der Zeit der Menschheitswerdung. Demnach waren es nicht wie bislang angenommen Trockenzeiten, welche die Menschheitsentwicklung stärker voran brachten, sondern warme Feuchtzeiten im Wechsel mit trockeneren Perioden. Durch die geographische Beschaffenheit des ostafrikanischen Grabensystems fielen in dieser Region solche Klimaumschwünge besonders extrem aus. Martin Trauth hat anhand von Seesedimenten etwa des Suguta-Sees belegt, dass heutige kleine Salzseen mit drei Meter Wassertiefe vor einigen tausend Jahren drei Mal so groß waren wie der Bodensee und fast 300 Meter tief.
Menschen und Vorgänger des Menschen, die hier schon vor Millionen Jahren lebten, mussten sich sehr schnell an diese Wechsel anpassen. Ernährten sie sich bislang von der Jagd auf Antilopen, mussten sie plötzlich auf Fisch umsteigen. Wer da nicht mitkam, schied durch natürliche Selektion aus. Das war die große Stunde der Generalisten. Wer im wahrsten Sinne des Wortes mit allen Wassern gewaschen war, dessen Nachfahren überlebten. Die Klimasprünge sind für Trauth Grundlagen der Menschheitswerdung. „Episoden der Erdgeschichte, in denen das Klima besonders feucht und variabel war, passen am besten mit Schüben der Menschheitsentwicklung zusammen“, fasst er zusammen. Wann immer das Klima ins Feuchtwarme pendelte – sehr viel feuchter als heute am Äquator – gab es ein Überangebot an Nahrung. Wenn es dann wieder trockener wurde, schob dies die Evolution an, weil dann zumeist nur noch die Generalisten überlebten. Besonders interessant ist für die Forscher die Zeit vor rund einer Million Jahren. „Damals wurden bedeutende Fortschritte in der Entwicklung von Werkzeugen gemacht, das Gebiss veränderte sich, das menschliche Gehirn nahm beträchtlich an Volumen zu, es kam zu Wanderungsbewegungen auf andere Kontinente“, erklärt Trauth.
Heute geht die Forschung davon aus, dass es bereits vor rund sechs Millionen Jahren erste aufrecht gehende Hominiden gab. Vor 2,6 Millionen Jahren entwickelte sich der Homo rudolfensis, dessen Spuren sich rund um den kenianischen Turkana-See fanden und der bereits erste Werkzeuge entwickelte. Der Homo errectus betrat schließlich vor 1,8 Millionen Jahren die Bühne der Erdgeschichte, ebenfalls in Afrika. Von hier bewegte er sich in Richtung Georgien und Java. Den Sprung nach Europa schafften unsere Vorfahren allerdings erst mit dem Übergang nach Spanien vor etwa einer Million Jahre. Auch diese Wanderungsbewegungen fanden ähnlich wie die Menschheitsentwicklung in Schüben statt.
Die Untersuchungsergebnisse aus dem Suguta-Valley passen zu neueren Ergebnissen anderer Expeditionen im ostafrikanischen Grabenbruch. Vor drei Wochen folgte Trauth der Einladung des bedeutenden Paläoanthropologen Richard Leakey an das Ufer des Turkana-Sees, um mit 40 Paläoanthropologen und Archäologen die neuen Resultate zu diskutieren. „Auch die Arbeiten anderer Teams bestätigen unsere Hypothese zur Rolle des Klimas für die Menschheitsentwicklung“, so Trauth. Mit ihren Forschungsergebnissen haben die Potsdamer Geologen den Paläoanthropologen nun eine Tür aufgestoßen. Modelle zur Menschwerdung können nun an exakten Klimadaten getestet werden. Auch Klimaforscher dürfte die Arbeit des Teams interessieren. Lassen doch Klimasprünge als evolutionärer Motor für die Menschheitsentwicklung die aktuelle Klimadebatte in einem ganz neuen Licht erscheinen.
Die Potsdamer Forscher planen nun weitere Expeditionen ins Suguta Valley, haben sie doch neue Ideen zur Entschlüsselung des Rätsels der Menschwerdung. Forschungsgelder jedoch sind knapp. Die Einwerbung von sogenannten Drittmitteln ist mühsam – so bleibt es offen, ob Trauth und sein Team weiter im Suguta Valley arbeiten werden.
Das Projekt im Internet:
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