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Landeshauptstadt: Die Herrin der versteinerten Ritter

Vom abgebrochenen Finger bis zum schweren Atlas. Im Depot der Schlösserstiftung warten die Reste der Stadtschlossfassade auf ihre Rückkehr an den Alten Markt. Saskia Hüneke ist die oberste Hüterin

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Saskia Hüneke arbeitet in einer verwunschenen Welt. Zwischen all den versteinerten Zeitzeugen wirkt die kleine grauhaarige Frau selbst ein bisschen wie ein Fabelwesen. Wie die Herrin einer Märchenlandschaft wandelt sie zwischen Sandstein-Skulpturen, Marmor-Atlanten und Bronze-Reliefen. In der Tat ist Saskia Hüneke eine Hüterin. Kustodin heißt das in der Fachsprache der Kunsthistoriker. Hüneke wacht für die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten über das Wohl der alten Relikte, die aus Zeiten der Hohenzollern übrig geblieben sind und auf dem Depot in Potsdam auf ihre Restauration oder neue Bestimmung warten.

Um einen großen Teil dieser fast 50 Jahre bereits an diesem Fleck verharrenden Skulpturen und Elemente wird in jüngster Vergangenheit heftig diskutiert. Es sind die übrig gebliebenen Elemente der historischen Stadtschloss-Fassade, die im Freien oder hinter alarmgesicherten Türen in einer Halle des Schirrhofes lagern.

Wenn Hüneke wie eine Fee zaubern könnte, würde das Vor-sich-hin-wittern für all diese Teile bald ein Ende haben. Doch Hüneke kann nun Mal nicht zaubern. Erst mit dem Siegerkonzept der sechs Konsortien, die derzeit über Planung, Finanzierung und Vermietung des Landtagsgebäudes streiten, soll auch das Gerangel um das Antlitz des Potsdamer Prestige-Baus auf dem Alten Markt beendet sein. Frühestens Anfang des kommenden Jahres soll eine Kommission entscheiden, welches Konzept das für Land und Steuerzahler verträglichste ist.

An die 300 Stücke sind es, die Hüneke dem Landtagsneubau zuordnen kann. Von der tonnenschweren Marmorstatue bis zum abgebrochenen Sandsteinfinger ist alles dabei. Säulen oder nur deren Oberteile, die Kapitelle; Engelsfiguren; Ritterstatuen und Aphoditen, hüfthohe Trophäen-Klötze aus denen Schilder und Waffen ragen, wuchtige Helden-Figuren und Medusenköpfe. Für Saskia Hüneke und ihre Mitstreiter ein riesiges 3-D-Puzzle, das sie fast aufgelöst hat. Im Moment erstellt die Kunsthistorikerin zusammen mit ihren Kollegen einen Katalog, in dem sie genau aufgelistet, was existiert, was fehlt und was es ungefähr kostet, die kostbaren Originale wieder schön zu machen und zu ergänzen.

Über zwei kunstvoll gestaltete Innenhöfe und eine enge Wendeltreppe erreicht Saskia Hüneke ihr Büro. Hier bewahrt sie die alten Fotografien des ehemaligen Schlosses auf, die knapp hundert Jahre alt sind. In digitalisierter Form kann sie in ihrem Computer bis auf Nasenlänge an die einzelnen Figuren heranzoomen. Auf den Ausdrucken hat sie mit Rot alle Einzelheiten markiert, die noch vorhanden sind. In kühlem Blau gehalten stellt sich der Rest dar. Auf den Abbildungen der Nordseite, also jener Fassade, die mit Spendengeldern aufgebaut werden soll, brennt es förmlich vor roter Farbe. Auf den restlichen Fotografien der riesigen Fassadenfronten hingegen stechen in Rot nur recht sparsam markierte Skulpturen, gar nur deren Gesichter oder Extremitäten heraus. Wie um alles in der Welt, fragt sich der Betrachter, soll aus diesen Fragmenten wieder eine Fassade nach historischem Vorbild entstehen? „Es ist einfacher, als es scheint“, sagt Hüneke. Die aufbewahrten Fassadenstücke, wie zum Beispiel die Säulenpilaster, könnten als Schablone dienen. Das seien immer wiederkehrende Typenstücken. „Damit lassen sich neue Elemente relativ einfach nachbilden“, ist Hüneke überzeugt. Zudem will die Powerfrau jene Sandsteinfiguren, die auf dem Dach zur Hofseite standen, nach außen setzen. 76 Originale säumten einst die Attika des Schlosses. Immerhin 17 Figuren existieren noch ganz. Acht von Ihnen stehen auf dem Gebäude der Berliner Humboldt-Universität, der Rest auf dem Schirrhof der Stiftung. „Für weitere 16 Skulpturen, die einst das Dach krönten, haben wir immerhin Fragmente, aus denen man Kopien erstellen könnte.“ „Natürlich kostet das“, ist sich Hüneke sicher. „Doch man muss ja nicht alle sofort machen." Eine historische Fassade könne ihrer Meinung nach auf einer funktionalen Haut wachsen. So wie früher schon ein Mal.

„Selbst das Stadtschloss stand einst als schlichter Bau da“, sagt Christian Wendland. Der Potsdamer Architekt, der die Machbarkeitsstudie und das Genehmigungsverfahren für das Fortunaportal realisiert hat, ist ebenfalls Verfechter einer historischen Fassade und kennt sich genau mit der Historie des Alten Marktes aus: „Friedrich II. hat seinen Architekten Knobelsdorff erst später damit beauftragt, dem Schloss eine französische Jacke überzuwerfen“, sagt Wendland. Bautechnisch sei dies kein Problem. Pilaster, Fensterumrahmungen und Säulen könnten nachträglich geankert werden. Schwerere Teile, wie zum Beispiel Simse, müsste man hingegen in die aufstrebenden Mauern integrieren. Doch auch dafür gebe es Möglichkeiten.

Bis im Frühjahr die Entscheidung fällt, heißt es für die Fassaden-Fans Zittern. Saskia Hüneke, die in ihrer Funktion als Potsdamer Abgeordnete der Grünen auch im Bauausschuss sitzt, hat so ihre Befürchtungen. „Es wäre bedauernswert, wenn die differenzierten Außenmaße nicht umgesetzt würden“, sagt sie. Hünekes zweite Angst: Wenn der Stadtschlossverein die Flügelbauten neben dem Fortunaportal nach altem Vorbild herrichtet, das Land hingegen seinen Parlaments-Sitz modern gestaltet, „wird der ganze Bau optisch auseinander gerissen“. Und Hünekes dritte Befürchtung ist, ob dann auf der Balustrade des Daches wieder die überlebensgroßen Skulpturen stehen werden. „Die haben sich so fantastisch gegen den Himmel abgezeichnet“, sagt Hüneke. Für sie wäre es eine historisch vertane Chance, wenn die Fassadenteile und Schmuckelemente nicht an ihren ursprünglichen Platz kämen. Auf dem Hof der Stiftung könnten sie schließlich nicht ewig liegen. „Dann müsste man wahrscheinlich ein Museum dafür bauen“, sagt die Kustodin. „Und warum sollten sie dann nicht gleich an Ort und Stelle stehen, wo sie einmal waren?“

Der Aufwand, die rund 300 Einzelteile, die auf dem Schirrhof lagern, zu restaurieren, wäre gar nicht so hoch, schätzt die Kustodin ein. Die Restauratoren müssten die Oberflächen mit Mandel-Pulver abstrahlen oder lediglich mit Wasser und Wurzelbürste reinigen. Kleinere Fragmente, die abgefallen sind, könnten mit einer speziellen Antragsmasse ergänzt werden. Sie als Kunsthistorikerin wäre sogar dafür, größere fehlende Teile, zum Beispiel an den schnörkeligen Kapitellen der Säulen, gar nicht erst zu ersetzen. Schließlich gehören die Spuren des Krieges auch zur Geschichte. Und noch eine Hoffnung hegt sie: „Vielleicht bringt auch noch jemand Original-Teile an, die nach dem Krieg verschwunden sind.“

Internet:

www.stadtschloss-potsdam.org

Andreas Wilhelm

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