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Landeshauptstadt: Die Hochburg der Fahrraddiebe

Trotz fragwürdiger Statistikmethoden der Polizei ist die Kriminalität in Potsdam erstmals wieder gestiegen

Stand:

Der Anstieg ist alarmierend: Die Zahl der Fahrraddiebstähle in Potsdam ist im vergangenen Jahr um knapp 50 Prozent gestiegen. Im Schnitt wurden im gesamten Stadtgebiet dreimal am Tag ein oder mehrere Fahrräder gestohlen, insgesamt 1864 Mal – im Vorjahr gab es 1257 Raddiebstähle. Zugleich hat sich die Aufklärungsquote von 20 auf 10,5 Prozent halbiert. Das sind zentrale Befunde der neuen Kriminalstatistik für die Stadt Potsdam, die von der zuständigen Polizeidirektion West am Mittwoch in Brandenburg an der Havel Journalisten vorgestellt wurde.

Die Pressekonferenz fand in diesem Jahr in einer pikanten Situation statt: Wie berichtet sieht sich die Polizeidirektion West dem Vorwurf ausgesetzt, dass ihre Kriminalstatistik geschönt sei. Die tatsächliche Lage – vor allem bei Seriendiebstählen – sei viel dramatischer. Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) und die Behörde selbst hatten die Vorwürfe bestritten. Doch sogar trotz der kritisierten Statistikmethoden stieg die Kriminalität in Potsdam erstmals seit Jahren wieder an, vor allem eben die Zahl der Diebstähle.

Wie berichtet geht es bei den Vorwürfen der Statistiktrickserei etwa um eine den PNN vorliegende Dienstanweisung für die Direktion West vom vergangenen August: Darin heißt es etwa, bei mehreren Diebstählen innerhalb eines Tages oder einer Nacht in einer Straße sei grundsätzlich nur eine Strafanzeige zu fertigen. Im Klartext: Werden zum Beispiel aus einem Fahrradständer nacheinander mehrere Räder gestohlen, ergibt das in der Polizeistatistik genau einen Diebstahl. Potsdams Polizeichef Mike Toppel räumte auf Nachfrage ein, dass ihm die vermutlich weit höhere Zahl der tatsächlich entwendeten Fahrräder in Potsdam nicht bekannt sei. Schon mehrfach war Potsdam bei diversen Städtevergleichen als Hochburg in Sachen Fahrraddiebstahl genannt worden.

Die Zunahme der Raddiebstähle sei im gesamten Raum Potsdam ein Problem, sagte Sven Mutschischk, Chef der Kriminalpolizei. Es handele sich – ähnlich wie bei vielen Einbrüchen in Einfamilienhäuser – um grenzüberschreitend organisierte Kriminalität, so zu beobachten auch anderswo in Deutschland. Toppel präzisierte, 232 Fährräder seien im vergangenen Jahr in der nördlichen Innenstadt gestohlen worden, 195 im südlichen Babelsberg und 161 in der Brandenburger Vorstadt. Rund 40 Prozent der Diebstähle hätten sich an öffentlichen Fahrradstellplätzen ereignet, etwa an Bahnhöfen.

In elf Prozent der Fälle hätten die Raddiebe das Schloss aufgebrochen. Angesichts dessen empfahl Toppel den Potsdamern, möglichst hochwertige Schlösser zu benutzen: „Im Sinne der Prävention gibt es noch Reserven.“ Es werde angesichts der Raddiebstähle geprüft, die Polizeipräsenz in bestimmten Bereichen zu erhöhen. Auch wolle man Rücksprache mit Potsdamer Vermietern halten, ob Abstellräume in Kellern sicherer gemacht werden könnten. Toppel riet zum Kodieren von Rädern oder zur Verwendung sogenannter künstlicher DNA. Damit lassen sich Wertgegenstände markieren, sichergestelltes Diebesgut lässt sich so zurückverfolgen – wenn ein Fall gelöst wird. Allerdings wurde im vergangenen Jahr nur jeder zehnte Fahrraddiebstahl aufgeklärt. „Das ist nicht zufriedenstellend“, sagte Toppel. 30 Prozent der festgenommenen Tatverdächtigen stammten laut Polizei nicht aus Deutschland, mehrfach hatte die Polizei in den vergangenen Monaten über bei Diebstählen gestellte Polen berichtet.

Auch insgesamt ist die Kriminalität in Potsdam gestiegen: Mit 16 438 Straftaten kletterte sie auf einen Stand, der nach den PNN vorliegenden Statistiken zuletzt vor vier Jahren erreicht wurde. Toppel sagte, vor allem die Zunahme der Diebstähle sei für den Negativtrend verantwortlich – in einigen Bereichen sei die Zahl der Fälle aber auch gesunken (siehe Kasten). Potsdam sei für organisierte Diebesbanden deshalb so anziehend, weil die Stadt in der Nähe der Autobahn liege und es viele Einfamilienhäuser gebe.

Angestiegen ist insbesondere auch die Zahl der aufgebrochenen Autos, aus denen zum Beispiel Navigationsgeräte gestohlen wurden – von rund 900 solcher Fälle seien nur 4,5 Prozent aufgeklärt worden, räumte Toppel ein. Auch hier konnte der Polizeichef nicht sagen, wie viele Autos tatsächlich aufgebrochen wurden. Denn auch bei solchen Fällen greift die umstrittene Dienstanweisung: Mehrere nacheinander aufgebrochene Autos in derselben Straße sollen als ein Fall gewertet werden, „sofern jedes angegriffene Objekt in Sichtweite zumindest zu einem weiteren Angriffsobjekt liegt“. Diese Regelungen gelten im Übrigen auch für Sachbeschädigungen: Immerhin sank in diesem Bereich die Zahl der Delikte von 2146 auf 1860 Fälle. Toppel sagte, auch nach Inkrafttreten der Dienstanweisung werde weiter im Einzelfall entschieden, ob mehrere Diebstähle als eine erfasste Tat gewertet werden oder nicht. Brandenburgs Innenministerium hatte zuletzt betont, man wolle die strittige Dienstanweisung nun landesweit einführen und auf Bundesebene ebenfalls entsprechende Änderungen durchsetzen.

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