zum Hauptinhalt

PYAnissimo zum Bürgerticket in Potsdam: ...die ihr mühselig und beladen seid

Die Idee eines Bürgertickets für Potsdam stößt nicht überall auf Gegenliebe. PNN-Autorin Steffi Pyanoe fragt sich, warum.

Stand:

Das betagte Ehepaar bleibt beim Busfahrer stehen. Sie hätte gern eine Fahrkarte, sagt die Frau. Am Automaten, sagt der Fahrer mit Schulterblick. Und nein, den Schein wechseln kann er nicht. Die Frau parkt ihren wackeligen Mann auf einem Sitz und versucht sich an der Ticketmaschine, seit 2013 Trägerin des Brandenburger Designpreises der Kategorie Interfacedesign. Touristin und Maschine stehen face to face, sie schaut, sie drückt, gibt auf und kehrt, ohne Ticket aber mit dem entrückten Lächeln einer Unschuldsbewussten und einem gemurmelten „also bei uns zu Hause...“ zum Mann zurück. Nach vier Stationen steigen sie am Filmpark aus. Der kostenlose Nahverkehr, es gibt ihn schon. Auch der Obdachlose, der mir regelmäßig in der Tram die Frischluft nimmt, wurde noch nie von der Öffi-Kontrollbrigade behelligt. Ist ja klar, er wohnt hier, ihm gehört die Bahn und die ganze Stadt sowieso.

Ich möchte auch kostenlos fahren dürfen. Nie mehr in Panik verfallen, weil das Monatsticket plötzlich abgelaufen ist, nie mehr für den Steuerberater Belege aufheben und nie mehr die Kinder beschwören, doch bitte, bitte den Schülerausweis nicht schon wieder zu verlieren. Wie schön wäre das. Es würde super funktionieren. Es hätte zudem etwas Fürsorgliches. Etwas Biblisches. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid: das neue Motto der Verkehrsbetriebe.

Aber gleich kommt der Aufschrei. Wer soll das bezahlen, vor allem die neuen Busse und Trams, die wir dann brauchen? Wäre nicht ein einheitliches Bürgerticket, nur für Potsdamer, besser? Dann gibt es aber bald keine Bürger mehr, die den Touristen Tarife und Automaten erklären können. Und bestimmt klagt jemand dagegen und alles verzögert sich auf Jahre.

Ich meine, alle sollten kostenlos fahren dürfen. Muss man sich halt leisten wollen als Stadt. So wie wir uns Stadtwerke leisten, die jedes Jahr eine Party schmeißen, weil sie nicht wissen wohin mit den Abwassergebühren. So wie wir uns eine Biosphäre leisten und ein Fußballstadion vor der Pleite retten, mit einem sehr einfallsreichen Finanzkonstrukt, einem Karli-Soli, in dem garantiert irgendwo auch meine Steuern stecken. Und ich war noch nie im Karli.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Erfahrungsgemäß wird hier nichts überstürzt. Solange werde ich alles mitnehmen, was jetzt schon kostenlos ist. In Bus und Bahn und an Haltestellen sind das unterhaltsam zur Schau gestellte hilflose Erziehungsversuche, Gartentipps und Facharztbewertungen, Kuchenrezepte, familiäre Neuigkeiten, dass man einen Krippenplatz gefunden hat oder dass der Mann der Frau, die immer mit dem Trolley den 9-Uhr-Bus nimmt, verstorben ist. Und erst gestern habe ich gelernt, dass es eben nicht egal ist, welchen Nordic Walking Stock man kauft, am besten sind nämlich die mit Kork-Griff. Ich liebe meine Mitfahrer. Kostenlos und unbezahlbar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })