Landeshauptstadt: Die Jäger der giftigen Raupen
Der Prozessionsspinner hat viele Eichen in Potsdam befallen – ein Ortstermin bei der Schädlingsbekämpfung
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An manchen Abenden hat Christian Kuba einen steifen Nacken. Immer steil nach oben schauen und konzentriert die Baumstämme und Kronen absuchen, das strengt an. Der Dreißigjährige ist ausgebildeter Schädlingsbekämpfer in der Firma seines Vaters, Detlef Kuba. Zusammen mit dessen Tochter Claudia und Guido Scheffler sind sie zu viert. In diesen „Wochen des Eichenprozessionsspinners“ könnten sie gut und gern doppelt so viele Leute gebrauchen, sagt Kuba junior.
Spätestens um sieben Uhr sortieren sie die eingegangenen Anfragen und Notfälle. Dazu gehören Kitas, Schulen und stark frequentierte öffentliche Plätze wie Bushaltestellen. Andere Aufträge nehmen sie aus Kapazitätsgründen gar nicht erst an. Alleweil klingelt bei „DK Dienstleistungen“ das Handy. Fast immer geht es um die giftigen Raupen.
Noch nie war es so schlimm wie in diesem Jahr – obwohl das Wort „schlimm“ relativ sei, wendet Christian Kuba ein. Viel Aufregung sei durch die Thematisierung in der Presse entstanden. Dass die Viecher so gefährlich seien. Dann schiebt der Juniorchef ein wenig seine Ärmel hoch und entblößt Unterarme mit roten Hautirritationen. „Klar juckt und nervt das“, sagt er. Aber schlimm sei das nicht. Seiner Meinung nach werde da ein bisschen was durcheinander gebracht: Allergiker seien nicht gleich Asthmatiker, die könne es schon härter treffen. Aber jetzt sind sie ja da, sehnlichst erwartet in der Kita Spatzenhaus in Waldstadt.
Noch am Morgen vor Unterrichtsbeginn waren sie auf einem Schulhof. „Von drei befallenen Bäumen war die Rede, und dann waren es 25. So was bringt den ganzen Zeitplan durcheinander.“ Also mussten die Kitakinder warten. Vor zwei Wochen entdeckte der Hausmeister die ersten Nester. Mittlerweile sind es gut ein Dutzend. Es habe einzelne Kinder mit Pusteln gegeben, sagen die Erzieherinnen, aber keine dramatischen Fälle.
Auf dem weitläufigen Außengelände der Einrichtung stehen viele hochgewachsene Bäume. Jeden Morgen sucht der Hausmeister den Spielplatz gründlich nach Raupen ab, die aus den Nestern gefallen sind. Auch tagsüber passiere das schon mal, sagt er, dann rufen die Kinder ihn und schauen aus sicherer Entfernung zu, wie er die Biester mit der Müllzange in einem Wassereimer ersäuft.
Die Schädlingsbekämpfer sollen dem ein Ende bereiten. Schon hat Guido Scheffler die ersten Prozessionsspinner auf dem Bürgersteig entdeckt. Fast wären sie drauf getreten. „Ein paar Irrläufer“, sagt Christian Kuba in einem Tonfall, als täte es ihm irgendwie leid. Gleich wird er dafür sorgen, dass Hunderte vernichtet werden. Wenn nicht noch mehr. Über Tausend könnten sich in einem Baum verstecken, überschlägt er. Genau wisse man das nie. Sein Kollege stochert derweil mit dem Zollstock an der Rinde einer Eiche. Hier sind die Eingänge, dahinter die Verstecke. Absaugen können sie nur das, was gerade sichtbar ist. „Manchmal kommen wir fünfmal hintereinander wegen dem selben Baum“, schüttelt Kuba den Kopf. Sinnvoller wäre die Bekämpfung Anfang Juli, wenn die Verpuppung der Raupen angefangen hat. „Dann liegen sie faul in ihren Nestern und man erwischt alle“, sagt er. Dass sich speziell Eltern um ihre Kinder Sorgen machen, kann er dennoch verstehen. „Aber ich wette, sobald die Ferien beginnen, ist der Hype vorbei.“
Noch aber haben er und seine Kollegen Zwölf- und 14-Stunden-Tage. Sie sind in ganz Brandenburg unterwegs, von Königs Wusterhausen bis zum Fläming. Und immer wieder in Potsdam. Auf über 40 Grundstücken von Kitas, Schulen und Jugendclubs hat die Stadt bisher Spinner und Nester beseitigen lassen. Was das am Ende kosten wird, ist noch unklar.
Die Firma DK Dienstleistungen arbeitet mit Hochleistungsindustriesaugern der Staubklasse H, die 99,99 Prozent aller krebserregenden und gesundheitsschädlichen Stoffe herausfiltern. Das abgesaugte Material wird in spezielle Behälter gefüllt, die, versiegelt, von einer Sondermüll-Entsorgungsfirma übernommen werden. Der Inhalt landet in einer Verbrennungsanlage. Das sei die einzig wirksame Methode, um die giftigen Härchen, von denen eine Raupe 600 000 besitzt, endgültig zu vernichten. Beim Abflammen, was mancherorts an den Bäumen praktiziert wird, würden diese durch die Druckwellen erst recht verbreitet, erklärt Christian Kuba.
Dafür, dass er nur durch Zufall in der Branche gelandet ist, versprüht er viel Leidenschaft. „Ist schon ein cooler Beruf“, sagt er, der nebenher noch Wirtschaftwissenschaften studiert. Der „Schädlingsbekämpfer“ ist ein relativ junger Ausbildungsberuf, sagt Detlef Kuba. Drei Jahre dauert die Ausbildungszeit, Interesse für Biologie, Physik und Chemie vorausgesetzt. Und Einfühlungsvermögen. „Wir sind halbe Psychologen“, sagt der Chef. Man müsse gut mit aufgebrachten Leuten umgehen können. In der Waldstadt gelingt das. Vom Sing-Sang der Kinder begleitet –„Jetzt machen wir die Raupen weg!“ – bauen die Raupenjäger den Staubsauger zusammen.
Wer Eichenspinner oder ihre Nester findet, kann sich an das Gesundheitsamt, Tel.: (0331) 289 23 71/ -72, wenden.
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