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Musikalischer Schreibtisch. Wolfgang Neidhardt hatte den Flötensekretär Ende der 80er-Jahre gekauft. Nun muss er umziehen und will deshalb das Möbelstück loswerden – am liebsten an die Schlösserstiftung.

© Wolfgang Neidhardt

Potsdamer Flötenuhr aus dem Hause der Hohenzollern?: Die Jukebox des Preußenkönigs

Ein seltenes mechanisches Musikinstrument, das ursprünglich aus Potsdam stammt, ist bei einem Kunsthändler in München aufgetaucht. Den Auftraggeber vermutet er im Hause Hohenzollern. Bald könnte es wieder nach Potsdam kommen.

Von Peer Straube

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Potsdam - Die Anzeige preist das edle Möbel in den höchsten Tönen. „Aus fürstlichem Besitz“ in Potsdam sei der „Emphire Secreteur“, die Beschläge aus Goldbronze, beim Holz handele es sich um „geblumtes Mahagoni“. Spielen könne es sieben Musikstücke, jedes vier bis viereinhalb Minuten lang, das berühmteste davon unzweifelhaft die Ouvertüre von Mozarts Oper „La Clemenza die Tito“.

60 Jahre ist die Annonce alt, aufgegeben 1956 in der Zeitschrift „Weltkunst“ von der Kunsthandlung Olbrich, damals ansässig nahe der Berliner Gedächtniskirche. Die Kunsthandlung ist längst den Weg alles Irdischen gegangen, das Möbel aber gibt es noch. Und sein derzeitiger Besitzer will es wieder verkaufen – am liebsten nach Potsdam, dorthin, wo es ursprünglich einmal stand. Womöglich zierte es hier sogar einmal eines der Potsdamer Königsschlösser.

Eine frühe Jukebox

Es handelt sich um eine Flötenuhr, ein Möbelstück, das sich vor allem um die Wende des 18. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute. Im Prinzip ist eine Flötenuhr eine Art früher Jukebox, oft kombiniert mit einem reich verzierten Schreibsekretär. Im Innern befindet sich eine kleine Orgel, die Musik wird über ein Flötenwerk, betrieben von einem Blasebalg, gespielt, die einzelnen Stücke werden jeweils durch Holzwalzen gesteuert. Gekrönt wird das Ganze in der Regel von einer kostbaren Uhr – daher der Name Flötenuhr.

Die, um die es hier geht, gehört Wolfgang Neidhardt, einem ehemaligen Kunsthändler aus München, der heute in Salzburg lebt. Die Geschichte seines Instruments ist abenteuerlich. Der 73-Jährige, der sich selbst als einen der größten Experten auf dem Gebiet exquisiter Möbel und Kunstgegenstände des 18. Jahrhunderts bezeichnet, hat sich ausgiebig mit ihr beschäftigt, hat in Archiven geforscht und ist in Berlin und Potsdam auf Spurensuche gegangen. Trotzdem ist bis heute unklar, wo sich der Sekretär in den ersten etwa 150 Jahren nach seiner Herstellung befunden hat.

Friedrich II. förderte den Bau automatischer Musikinstrumente in Berlin

Erbaut wurde die Flötenuhr vermutlich 1797/98 in Berlin von einem unbekannten Künstler. Berlin galt damals als Welthauptstadt für solche Möbel, nirgendwo sonst erlangte die Kunstfertigkeit der Tischler und Uhrenbauer ein so hohes Niveau. Verantwortlich dafür war Friedrich II. Dem preußischen Monarchen war die Vorherrschaft von Paris auf dem Markt für Luxusuhren und -möbel ein Dorn im Auge. Also förderte er in Berlin die Ansiedlung von Uhrmachern und Erbauern automatischer Musikinstrumente, eine Maßnahme, die binnen weniger Jahrzehnte üppige Früchte trug.

Üppig waren freilich auch die Preise, die die Künstler für ihre technischen Wunderwerke verlangten. Mehrere Tausend Taler mussten die Käufer berappen, eine damals horrende Summe, die selbst Adlige nur schwer aufbringen konnten. Nicht zuletzt deshalb hat Neidhardt zur eigentlichen Bestimmung des Flötensekretärs eine spezielle Theorie: Auftraggeber könnte demnach der preußische König Friedrich Wilhelm II. gewesen sein. Der Monarch, bis heute vor allem für seine Verschwendungssucht bekannt, hatte seinen Onkel Friedrich II. bereits als Kronprinz mit teuren Anschaffungen für sich oder seine Mätressen zur Raserei getrieben. Mit „großer Wahrscheinlichkeit“, sagt Neidhardt, sei auch besagter Flötensekretär noch von Friedrich Wilhelm II. bestellt worden. Als Indiz dafür wertet der Kunsthändler die Mozartsche Musik auf einer der sieben Walzen des Möbels. Dessen Oper „La Clemenza di Tito“ war im Februar 1796 im Königlichen Opernhaus aufgeführt worden – im Beisein des Königs und von Mozarts Witwe Constanze, die dabei selbst eine Partie gesungen hat. Den Erlös dieses Abends schenkte Friedrich Wilhelm II. der Witwe Mozarts, damit diese einen Teil der Schulden bezahlen konnte, die der Komponist hinterlassen hatte.

Unglücklicherweise starb der König zu dem Zeitpunkt, als der Flötensekretär fertig wurde, und sein Nachfolger Friedrich Wilhelm III. war das genaue Gegenteil seines Vaters: fromm, zurückhaltend – und vor allem sparsam.

Was geschah danach mit dem Flötensekretär?

Neidhardt glaubt dennoch, dass er den bestellten Flötensekretär trotzdem gekauft haben könnte. Ganz einfach deshalb, weil es für den Künstler womöglich den Ruin bedeutet hätte, wenn er das in aufwendiger Handarbeit hergestellte Möbelstück nach dem Tod des Auftraggebers nicht mehr hätte an den Mann bringen können. Das Pflichtverständnis des Königs, argumentiert Neidhardt, werde Friedrich Wilhelm III. zum Kauf bewogen und er es dann seiner Frau, Königin Luise, geschenkt haben. Auch dafür meint der Kunstexperte, einen Beleg gefunden zu haben: Im Innern des Sekretärs befinden sich als Dekoration die Köpfe zweier Sphingen, deren Antlitz nach Neidhardts Ansicht „frappierend“ dem der bekannten Porträtbüste ähnelt, die Johann Gottfried Schadow von Luise geschaffen hat.

Sollten die Annahmen stimmen, so bleibt dennoch unklar, was danach mit dem Flötensekretär geschah. Etwa ein Jahrhundert lang fehlt jede Spur davon, doch dann wird er mehrmals – 1894 und 1915 – zu Restaurierungsarbeiten in Berliner Werkstätten geschickt, zu einem Orgelbauer und zu einem Uhrmacher, die beide in der Potsdamer Straße ansässig waren, quasi „vor der Haustür“ der damaligen Besitzer, wie es Neidhardt formuliert.

Wie die Flötenuhr nach München kam

Welchen Weg es von dort ins Kunsthaus Olbrich nahm, ist unklar. Ab diesem Zeitpunkt aber ist der weitere Verbleib des Möbels dokumentiert. Gekauft hatte es damals Jan Brauers, ein großer Liebhaber alter mechanischer Musikmöbel. Seine Sammlung vermachte Brauers später dem Deutschen Musikautomaten-Museum im Schloss Bruchsal in Baden-Württemberg. Einige der kostbarsten Stücke aber behielt er, darunter den Potsdamer Flötensekretär. Als Brauers aus gesundheitlichen Gründen Ende der 1980er-Jahre sein Haus in Baden-Baden verkaufte und nach Teneriffa übersiedelte, erwarb Neidhardt das kostbare Stück, „für eine zum damaligen Zeitpunkt recht hohe Summe“, wie er sagte.

Zunächst stand es in München, als Neidhardt zur Jahrtausendwende sein dortiges Antiquitätengeschäft schloss, siedelte es mit ihm und seiner Frau nach Salzburg über. Dort steht es bis heute. Doch gesundheitliche Gründe zwingen nun auch Neidhardt zum Verkauf des Hauses – und des Flötensekretärs.

Kunstsammler sucht nun neuen Eigentümer - am besten in Potsdam

Nun sucht er einen solventen Liebhaber und Sammler, der bereit ist, eine Stange Geld dafür auszugeben. Am liebsten in Potsdam, „denn da gehört es hin“, sagt der Kunstsammler. „Ich bin sicher, dass es dort Menschen gibt, die so etwas haben wollen“, meint er. Auf rund 450 000 Euro schätzt der Kunstsammler den Wert des Möbelstücks. In seiner Art sei es einzigartig. Vermutlich handele es sich um das weltweit einzige erhaltene Exemplar, das noch vollkommen original erhalten sei – selbst das Flötenwerk, das bei vergleichbaren Instrumenten oft bereits mehrfach ersetzt werden musste. Damit sei die Walze mit Mozarts Ouvertüre das „vielleicht erste zeitgenössische Tondokument“ mit der Musik des Komponisten, das bis heute erhalten ist. Der Zustand des Sekretärs sei schlicht „sensationell“, sagt Neidhardt schwärmerisch.

Ob jemand so viel Geld für ein 200 Jahre altes Musikmöbel ausgibt, ist fraglich. „So ein Möbelstück ist etwas für Kenner, wenngleich es amüsant und unterhaltsam große Kulturgeschichte erzählt“, sagt etwa Stefan Körner vom renommierten Berliner Auktionshaus Grisebach. Flötenuhren und -sekretäre seien zwar sehr selten, aber Liebhaber solcher Stücke seien es eben auch.

Schlösserstiftung prüft das "hochinteressante Stück"

Am liebsten sähe es Neidhardt ohnehin, wenn sich die Schlösserstiftung für den Flötensekretär interessieren würde, schließlich vermutet er ja als ursprünglichen Besitzer einen der Preußenkönige. Ganz abgeneigt scheint man dort tatsächlich nicht. Ohne Zweifel handele es sich um ein „hochinteressantes Stück“, sagt Stiftungssprecher Frank Kallensee. Entscheidend sei allerdings, ob es einen Bezug zu den Schlössern und den darin enthaltenen Sammlungen gebe. Dies werde man prüfen. Post von der zuständigen Stiftungsmitarbeiterin hat Neidhardt auch schon erhalten. „Die Frau“, sagt er vergnügt, „war ganz begeistert.“

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