
© O. Dietrich
Sport: Die Königinnen der Havel
Die „Havelqueens“ haben Fahrt aufgenommen in der ersten Bundesliga. Am heutigen Samstag wird in Rüdersdorf gerudert
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Wer in einem Ruderachter ein paar Frauen erwartet, die Oberarme haben, als würde man gegen sie im Armdrücken nur verlieren können, der liegt falsch. Nein, vielmehr ist der Potsdamer „Havelqueen“-Achter eine bunte Besatzung aus jungen Frauen, die vor Motivation und Spaß fast Funken schlagen und die sportliche Eleganz und Grazie in ein 18 Meter langes Ruderboot bringt. Pure Kraft wäre da auch fehl am Platz.
Einen Achter in die Bundesliga schicken? Diese Idee kam irgendwann letztes Jahr im August auf, und dann ging alles recht schnell: Anfang dieses Jahres wurde die Lizenz eingereicht, mittlerweile wurden die ersten Rennen gefahren – mit Erfolg: Am ersten Renntag Ende Mai in Frankfurt am Main reichte es zum vierten Platz, am zweiten Mitte Juni in Dortmund schon zum zweiten: Nur dem Dauer-Spitzenreiter aus Krefeld musste man sich geschlagen geben, aber der gewinnt schon jahrelang.
„Das ist eine total witzige Truppe“, schwärmt Trainer Dirk Thiele über die „Havelqueens“. Er selbst startete jahrelang in der Ruder-Bundesliga und ist jetzt Lehrer für Sport und Mathematik an der Sportschule am Luftschiffhafen. „Jede hat Spaß daran, zu rudern, obwohl alle aus dem Leistungssport raus sind.“
Thiele ist die Personifikation eines Ruhepols. An einem perfekten Sommerabend sitzt er in einer Nussschale mit Außenbordmotor, die Havel ist spiegelglatt, ein paar Urlauber tuckern übers Wasser, mittendrin schneidet der Achter lautlos neben ihm durchs Wasser. Die Bewegungen sehen gleichmäßig aus, als ob es keinen Aufwand machen würde, ein Boot zu manövrieren, das nur ein wenig breiter ist als die Ruderinnen selbst. Aber es gibt auch unterschiedliche Boote: „Manche sind wie eine Wanne, die schieben nur. Da kann man 120-Kilo-Männer reinsetzen.“ In diesem filigranen Boot ist aber Technik gefragt. Gefährlich sei ein Achter aber nicht, so schnell kippt der nicht. „Es gibt aber ein Video auf Youtube, wo ein Achter crasht“, sagt Thiele. Aber Youtube ist ja nicht die Havel.
„Die Person auf Schlag gibt den Rhythmus vor“, erklärt Thiele. „Den Mittelraum nennt man auch Maschinenraum, weil hier am meisten gearbeitet wird. Und ganz wichtig ist die Steuerfrau: Sie kriegt das Boot alleine zum Laufen, gibt die Frequenzen an, steuert, achtet auf alles – immerhin ist sie die Einzige, die in Fahrtrichtung schaut."
„Über die Mitte flach, dann auf hinten hoch“, sagt der Trainer sanft ins Mikrofon. „Nicht zu weit backbord lehnen.“ Die „Havelqueens“ sind ehemaligen Leistungssportlerinnen, die nach Ende ihrer Laufbahn nicht auf den Sport verzichten wollten: Junioren-Weltmeisterin Mandy Reppner ist dabei, Kapitänin ist Weltmeisterin Stephanie Schiller. Ein Teil der Besatzung kommen aus dem Potsdamer Ruderclub, einige aus Berlin-Tegel. Deshalb wird meistens abends trainiert, da die Ruderinnen tagsüber studieren oder arbeiten müssen, zwischen 18 und 40 Jahre sind sie alt – und jede habe beim Rudern ihre eigene Handschrift: Die Schweirigkeit ist, dass alle dasselbe machen müssen.
„Beide Schultern müssen auf einer Höhe sein, den Bauch anspannen, ganz locker sitzen“, sagt Thiele ins Mikrofon. Ein Achter in der Bundesliga hat ein anderes Anspruchsprofil als bei Olympia, wo 2000 Meter gerudert werden. Hier sind es 350 Meter, die mehrmals trainiert werden. Optimal sind dann 50 Schläge pro Minute. Bei „Wetten dass?!“ hat mal ein Achter einen Wasserski-Fahrer 500 Meter gezogen, das sind Geschwindigkeiten von bis zu 30 km/h im Sprint.
Fünf Renntage sind für die Bundesliga-Saison angesetzt, die immer von Mai bis September geht und an der zwölf Achter teilnehmen. Und es gibt fünf Rennen pro Wettkampftag, die in die Wertung eingehen. Zwei Boote starten parallel aus dem Stand an einer Ampelanlage: „Wenn es grün wird - gib Stoff!“, sagt Thiele. Dann wird die Zeit genommen, die ersten sechs werden von den zweiten sechs geteilt, dann wird nach dem K.o.-System gefahren – zum Schluss gibt es einen Sieger.
Die Strecken, auf denen gerudert wird, sind trotzdem unterschiedlich: In Krefeld ist sie 440 Meter lang, in Hamburg 220 Meter, in Rüdersdorf, wo am heutigen Samstag gestartet wird, genau 350 Meter. Und in Hamburg findet das Rudern auf der Außenalster statt, mitten in der Stadt: „Genial!", schwärmt Thiele. Immerhin sei das ja das Ziel gewesen, durch die Bundesliga das Rudern in die Stadt zu holen. So wie in England: „Da ist Rudern heilig." Auf der Havel zumindest königlich.
Oliver Dietrich
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