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Heilende Wirkung. Musik soll Demenzkranken helfen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Landeshauptstadt: Die Kraft der Musik

Bei einer deutschlandweit einmaligen Konzertreihe dürfen Demenzkranke auch dazwischenreden

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„Die Musik, die wir gleich für Sie spielen, wird Ihnen sicher bekannt vorkommen“, sagt Babette Herboth. Sie greift zur Gitarre und zu einer Metallpfeife, die sie sich in den Mund steckt. Es ist ein Kazoo, ein Membranophon, das oft bei therapeutischen Sitzungen eingesetzt wird. Ihre Tochter Radost übernimmt den Cellopart und der Pianist Stefan Mainka setzt sich an den Flügel. Die Versöhnungskirche im Kirchsteigfeld hat ganz speziell Menschen mit Demenz zum Konzertbesuch eingeladen. Aber auch andere Gäste sind willkommen. Die Besucher wurden aus betreuten Seniorenwohnungen, aus Heimen oder von ihren Verwandten herbegleitet und alle erwarten gespannt den beginn des Konzertes.

Ins Leben gerufen hat die Konzertreihe die Fachberatungsstelle für Demenzkranke und deren Angehörige, die der Landesausschuss für Innere Mission (Lafim) unterhält und die Babette Herboth leitet. Jeden ersten Freitag im Monat, um 16 Uhr, stellt die Versöhnungskirche den Raum dafür zur Verfügung. Der Eintritt ist frei. Mit dieser Konzertreihe hat Lafim Neuland betreten und startet einen beispielhaften Versuch in Deutschland. Es sei der erste dieser Art, betont die Fachberaterin.

„Wir wollten den Demenzkranken ein Musikereignis anbieten, dass mit normalen Konzerten durchaus mithalten kann“, erklärt Babette Herboth. Oft würden sich die Angehörigen oder Betreuer nicht mehr mit den Erkrankten in Konzerte wagen, weil es zu Unruhe oder Störungen durch die Erkrankten kommen kann. „Hier darf aber auch mal dazwischengeredet werden. Dafür hat jeder Verständnis“, sagt die Fachberaterin.

Doch die Konzertbesucher sind mucksmäuschenstill, als die Musik einsetzt. Es ist zwar nicht sicher, ob sie die Titelmelodie zur Krimiserie „Olsenbande“ wirklich erkennen, doch der Rhythmus reißt sie mit, der Takt wird mit der Hand aufgenommen und es wird dazu gewippt. Für das zweite Konzert in der Reihe wurde melodiöse tänzerische Musik ausgesucht. Mainka gibt dem „Lied ohne Worte“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy empfindsamen Ausdruck und auch die anderen Stücke werden freundlich und nachdenklich aufgenommen. Beim Schlussakkord von „Muss i denn, muss i denn “ singen die Besucher sogar kräftig mit.

„Musik ist Medizin“, fasst Ursula Adam ihren Eindruck zusammen, „sie geht tiefer als Worte“. Die 75-Jährige wohnt im Emmaushaus, ist aber noch überaus rüstig und gern ins Kirchsteigfeld mitgekommen. Bei einer anderen alten Dame, die betreut in Babelsberg wohnt, ist die ganze Familie im Einsatz. Andere werden von ihren Betreuerinnen mit dem Fahrstuhl ins Konzert geschoben oder hangeln sich selbst am Rolli zur Kirchenbank. Allen aber hat das einstündige Konzert sichtlich Spaß gemacht. Beim nächsten Mal wollen die meisten wieder dabei sein. Auch neue Interessenten haben sich schon angekündigt. Babette Herboth ist zufrieden und sagt für das nächste Mal lateinamerikanische Klänge an. Tango wird auf dem Programm stehen.

Die Künstler treten kostenlos auf. „Ich hatte am Anfang Bedenken, ob ich Konzertmusiker finde, die sich zur Verfügung stellen. Schließlich wollte ich ein hohes Niveau garantieren“, erzählt Herboth. Doch sie stellte fest, dass das Gegenteil eintrat. „Künstler melden sich bei mir und machen Angebote“, sagt sie. „Die Botschaft, durch Musik Freude zu stiften und Erinnerungen zu wecken, ist angekommen.“ Hella Dittfeld

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