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Homepage: Die Kraft der Neugierde

Wie eine Geisteswissenschaftlerin von Golm ins Berliner Regierungsviertel kam

Stand:

Nein, Kaffee trinkt Marie-Christine von Hahn eigentlich nicht. Erstens bevorzugt die gebürtige Hamburgerin Tee. Zweitens steht sie unter Strom, auch ohne Aufputschmittel. Und sie ist immer in Bewegung. Gleich nach dem Abitur zog es sie von Hamburg in die Welt: Sie machte einen Au-pair Aufenthalt in den USA. „Ich wollte nicht weiter im eigenen Sud schwimmen“, sagt sie heute. Nach dem Aufenthalt war klar, dass sie Englisch studieren wollte. Auch Spanisch hat sie in den USA gelernt. In Deutschland suchte sie für das Studium eine „schöne und interessante Stadt, aber nicht in Bayern.“ Sie lacht. Heute sieht man Marie-Christine von Hahn und ihr gelbes Hollandrad im Herzen des alten Preußen: Unter den Linden. Sie arbeitet bei Carl-Eduard von Bismarck, Mitglied des Bundestages. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem Abgeordneten. „Zwei Stockwerke unter Helmut Kohl“, fügt sie hinzu. Der ehemalige Bundeskanzler begegnet ihr manchmal im Hof.

Welchen Weg ist sie gegangen? Sie ist keine Politologin, sondern studierte in Potsdam Englisch und Spanisch. Hatte sie Beziehungen? Nein, hatte sie nicht. Darauf legt sie Wert. Sie hat sich ihre Kontakte selber geschaffen. „Ich muss immer etwas Neues machen“, sagt sie von sich selbst. „Ich habe schon immer viel mit Menschen geredet.“ Ihr Ziel war, nach dem Studium zu arbeiten. Und dieses Ziel verfolgte sie konsequent. Ihre Brüder studierten Medizin und Jura. „Ich war der bunte Hund der Familie“, sagt sie. Eine Geisteswissenschaftlerin eben. Sie habe sich oft gefragt, ob das ein „richtiges“ Studium sei. Ihre Antwort darauf war Aktivität: Neun Praktika in ihrer Studienzeit.

Die Praktika hätten sie nicht gestört, sagt sie heute. Von dem Stigma der „Generation Praktikum“ will sie nichts wissen. „Man kann jeden Lebensabschnitt schön gestalten“, so ihre Philosophie. Sie sei immer neugierig gewesen. Für Marie-Christine von Hahn waren die vielen Praktika ein Weg, herauszufinden, was sie machen wollte. „Und was ich nicht machen wollte!“ Sie hat einmal bei einer Agentur Werbung für Stützstrümpfe gemacht. „War interessant“, lacht sie. „Muss aber nicht unbedingt nochmal sein.“

Ihren Auslandsaufenthalt in Spanien nutzte sie, um bei einer Literaturagentin in Barcelona zu arbeiten. „Ich wollte wissen, was eine Literaturagentin eigentlich macht.“ Sie stellte sich bei der Agentin einfach vor. In der boomenden Metropole am Mittelmeer waren Praktika aber unbekannt. Dass die große blonde Deutsche mit dem damals noch holprigen Spanisch umsonst arbeiten wollte, verstand die Agentin nicht sofort: „Schließlich dachte sie wohl: selber schuld!“, mutmaßt die Absolventin. In Bolivien hatte sie ein weiteres interkulturelles Erlebnis. Das Praktikum sei zwar interessant gewesen, „aber die Leute auf der Straße haben mich angestarrt“. Sie überragte jeden Bolivianer um mindestens zwei Köpfe. Auch eine Erfahrung. Aber sie nahm nicht alles hin. Als sie für ein namhaftes Berliner Institut in einem Kellerraum Datenbanken pflegen sollte, bat sie ihren Vorgesetzten um ein Gespräch. Als sich nichts änderte, ging sie.

Das Thema der Magisterarbeit hält sie für eine wichtige Weichenstellung. Es sei eine Möglichkeit, bei den Arbeitgebern Interesse zu wecken. Sie schrieb über Politik in den USA. Den Abschluss in der Tasche, hatte sie von unbezahlten Praktika genug. „Ich wollte endlich einen richtigen Job.“ Ein Trainee-Programm bei einer PR-Agentur schien das Richtige zu sein. Endlich konnte sie Geld verdienen. Der Arbeitsplatz war in Bonn, ihr Freund und die gemeinsame Wohnung in Berlin. „50 bis 60 Stunden pro Woche arbeiten, und dann am Wochenende nach Berlin. Ganz schön anstrengend“, resümiert sie. Wie viele junge Absolventen in den neuen Bundesländern weiß sie, was das Wort „Fernbeziehung“ bedeutet. Von dem lange ersehnten Gehalt blieb bei ständigen Bahnfahrten, langen Telefonaten und zwei Wohnungen wenig übrig.

Aber sie blieb nicht im beschaulichen Bonn. Heute wohnt Marie-Christine von Hahn wieder in Berlin und fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. Durch die Touristenströme am Brandenburger Tor, vorbei an dem „Bundestags-Shop“, vorbei an wachsamen Kameraaugen. Zu einem eleganten Bau zwischen Hotel Adlon und russischer Botschaft. „Dienstausweise unaufgefordert vorzeigen“, steht an der Tür. Vorbei an den Ölgemälden des Reichskanzlers, dem Ur-Urgroßvater ihres Chefs. Wie sie von dem Job erfahren hat? Durch einen Bekannten. Sie haben mal bei einem politischen Online-Magazin zusammengearbeitet. Ein Praktikum, natürlich. Sie traf ihn auf einem Weihnachtsmarkt wieder, purer Zufall. Er wusste von der freien Stelle. Sie bewarb sich und wurde genommen.

Neugierige Fragen ist sie inzwischen gewöhnt. Von Bismarck sei ein großer Name, den kenne jeder. Aber Marie-Christine von Hahn möchte das nicht an die große Glocke hängen. Die inhaltliche Arbeit interessiere sie, sagt sie. Menschenrechte und Europapolitik seien wichtige Arbeitsbereiche für ihren Chef. Auch in wirtschaftspolitische Themen habe sie sich eingearbeitet. Auf einmal habe alles zusammengepasst, das Studium und die Praktika. „Geisteswissenschaftler können sich wirklich schneller auf neue Themen einstellen“, sagt sie selbstbewusst. Es ärgert sie, wenn Arbeitgeber das nicht erkennen. Und die Quintessenz aus den Praktika? Sie habe gelernt, dass sie lieber in kleinen Gruppen arbeitet. „Und die Chemie muss stimmen, das ist das Wichtigste“, rät sie zum Abschluss. Dann springt sie auf. Marie-Christine von Hahn muss weiter. Sie ist verabredet. Ihren Kaffee hat sie nicht ausgetrunken.

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