Landeshauptstadt: Die Kunst der Schadensverwaltung
Zum 300. Geburtstag Friedrich des Großen soll ein Teil des Neuen Palais saniert sein. Ein Rundgang zeigt: Die Zeit drängt
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Betritt Volker Thiele den Grottensaal im Neuen Palais, richtet sich sein Blick weniger auf die Schönheiten an Decke und Wänden. Die Kristalle in ihren verschiedensten Formen und Farben aus der Steinesammlung Kaiser Wilhelm II. interessieren ihn kaum. Volker Thiele schaut auf die Schäden im Grottensaal. Lange braucht er nicht zu suchen. Allzu offensichtlich sind Risse in der Decke und an den Wänden, die Abnutzung des Marmorfußbodens. Seit vier Jahren ist Thiele als Architekt und Bauassessor in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten auch für das Neue Palais verantwortlich. Mittlerweile kann er fast schon durch Wände schauen.
Ende Januar wurde mit einem Festakt im Schlosstheater des Neuen Palais ein anspruchsvolles Projekt ins Leben gerufen: „Friedrich 300“. Am 24. Januar 2012 jährt sich der Geburtstag des bekannten Preußenkönigs Friedrich der Große zum 300. Mal. Unter dem Slogan „Friedrich 300“ will die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg bis zu diesem 300. Geburtstag die Rolle des preußischen Königs in seiner damaligen und heutigen Bedeutung sowohl für Deutschland als auch Europa vielfältig erforschen. Ein weiteres Projekt ist die Sanierung von Teilen des Neuen Palais. Für die komplette Sanierung sind 126 Millionen Euro veranschlagt. Laut einem aktuellen Masterplan der Stiftung stehen in den kommenden Jahren 68 Millionen Euro für das Neue Palais zur Verfügung. Damit sollen die notwendigsten Arbeiten und unter anderem die Sanierung der Friedrichswohnung im Südflügel finanziert werden. Für Volker Thiele ist das nur der erste Schritt in die richtige Richtung.
Thiele hat sich Zeit genommen für einen Rundgang durch das Neue Palais um die Schäden zu zeigen, die er derzeit verwaltet. Es wird ein Rundgang der Ernüchterung an dessen Ende die Frage steht, ob Thiele bei diesem Jammerbild nicht gelegentlich resignieren möchte. „Man darf die Erfolge nicht zu hoch hängen und muss sich schon über kleine Schritte freuen“, antwortet er mit seiner ruhigen Stimme, in der die Form von Gelassenheit mitschwingt, die man in so einem Beruf zu brauchen scheint.
Spricht Thiele vom Ausmaß der Schäden, reicht ihm eine Bewegung mit dem Arm. Zuerst zeigt seine Hand zum Boden und geht dann langsam Richtung Dach. Feuchtigkeit im Fundament, Schwamm in den Wänden und Decken und ein Dachstuhl, der wegen giftiger Holzschutzmittel komplett gesperrt ist. Von den mehr als 200 Räumen im Neuen Palais sind derzeit für die knapp 300 000 Besucher jährlich nur 30 zugänglich. Ein Teil der Räume wird als Depot und zur Unterbringung von Werkstätten genutzt. Geplant ist, dass die Depots und Werkstätten in die Innenstadt ziehen. Thiele sagt, dass dies frühestens in drei bis vier Jahren möglich sei. Der andere Teil der Räume wurde gesperrt, um noch mehr Schäden oder Schlimmeres zu verhindern. So darf seit Anfang des Jahres kein Besucher mehr die Große Kammer im ersten Stock betreten. Hausschwamm und Holzwürmer haben dem Fußboden derart zugesetzt, dass hier die Tragfähigkeit gefährdet ist.
Thiele schaut auf die Wände in der Großen Kammer und es scheint, als würde er schon jetzt sehen, welche Schäden ihn hinter der Verkleidung erwarten. „Das Problem bei der Sanierung ist, dass wir abschnittsweise vorgehen müssen.“ Da sich der Hausschwamm fast immer vom Fundament bis hinauf zum Dach ausbreitet, mache es keinen Sinn, einzelne Räume zu sanieren. Und bei der Sanierung darf nur so viel verändert werden wie nötig. Schließlich wolle man das Denkmal Neues Palais soweit wie möglich als Original erhalten, das nach dem Ende des siebenjährigen Krieges von 1763 bis 1769 als „Fanfaronade“, als zur Schau gestellte bauliche Prahlerei errichtet wurde. Der schnellen Bauzeit musste schon nach 22 Jahren Tribut gezollt und vom Schwamm befallene Decken ersetzt werden.
Dann zeigt Volker Thiele auf die Fußböden, die beim genauen Hinsehen gar nicht mehr so prächtig sind. An vielen Stellen ist die ein Zentimeter dünne Marmorschicht abgerieben oder großflächig zerbrochen. Manche Räume sind selbst für Mitarbeiter gesperrt, weil die Einlegearbeiten aus Edelholz förmlich auseinander fallen. Bis zum 300. Geburtstag Friedrich des Großen in viereinhalb Jahren wird es in bestimmten Räumen noch immer so aussehen. Aber andere werden dann schon saniert sein. Es sind die kleinen Schritte die zählen, sagt Thiele.
Dirk Becker
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