zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Die Lizenz zum Experimentieren

Viele Partner, ein Ziel: Jede Kita soll ein „Haus der kleinen Forscher“ werden. Dafür bildet das Exploratorium weiter

Stand:

Die Thesen von Axel Werner sind belegt – durch die Praxis der vergangenen Wochen: Mädchen sind für Naturwissenschaften genauso zu begeistern wie Jungen. Kinder haben ein Körpergedächtnis – sie lernen durchs Fühlen und Erleben. Und sie werden im deutschen Bildungssystem zu spät sowie falsch an Physik und Chemie herangeführt. Axel Werner ist Kurator des Mitmachmuseums Exploratorium, in dem „Kinder“ zwischen drei und 99 Jahren experimentieren können. Inzwischen gehört die Potsdamer Einrichtung zu einem bundesdeutschen Netzwerk für frühkindliche Erziehung in Naturwissenschaften. Ziel dabei ist es, alle Erzieherinnen in den 4000 Kitas in Berlin und Brandenburg für die Naturwissenschaft zu begeistern und jede Kita zu einem „Haus der kleinen Forscher“ umzugestalten.

17 Erzieherinnen aus Kitas in Berlin, Schulzendorf, Thyrow und Potsdam nahmen gestern das Angebot wahr. Insgesamt haben sich bislang 320 Erzieherinnen aus 80 Kindertagesstätten angesagt. Hört man Axel Werner über die Bildungsansätze des Projektes reden, glaubt man an ein neues Bildungssystem im Land. Kinder sollen selbst aktiv werden. Es sei falsch, im Chemieunterricht mit der Methodik zu beginnen, die Praxis sollte im Vordergrund stehen. Der Fehler habe Auswirkungen auf die Gesellschaft, so Werner. Wenn ihn Schüler einer siebten Klasse im Exploratorium besuchen, „brauchen die viel länger, ehe sie hier Spaß haben“. Ihnen sei vorher gesagt worden, heute werde Physik gemacht, berichtet er über seine Erfahrungen mit den Jugendlichen. Die Mädchen hätten noch mehr Schwierigkeiten damit als die Jungen. Dabei habe er mit seinem Team in den vergangenen Monaten die Erfahrung gemacht, dass Jungen und Mädchen zwischen fünf und zehn Jahren sich gleichermaßen für die Experimente und dieNaturwissenschaft dahinter interessieren. Erklärungen allein helfen dabei nicht, sie sollen ihre Erfahrungen mit der Physik und der Chemie machen. Und das so zeitig wie möglich. Seine Theorie: Wer sich in diesem Alter auf diese Art und Weise mit Naturwissenschaften beschäftigt, „hat selbst in der langweiligen Physikstunde in Klasse 7 Spaß“. Nun versucht Axel Werner gemeinsam mit der Initiative „Haus der kleinen Forscher“ auszugleichen, was in vielen deutschen Grundschulen verpasst wird: Das spielerische Erlernen von Naturgesetzen durchs Experimentieren.

Er präsentiert ein kleines Experiment: Ein Glas Wasser wird mit einem Stück Papier bedeckt und umgestülpt. Resultat: Das Papier hängt wie angeklebt daran und verschließt das Glas – das Wasser läuft nicht heraus. Ein Partygag mit wissenschaftlichem Hintergrund. Was Kinder, Eltern und Erzieher gleichermaßen in Erstaunen versetzt, hat eine einfache, logische Begründung. Denn der Luftdruck von einem Kilo pro Kubikzentimeter auf das Papier ist größer als der Druck des Wassers aus dem Glas. Rein rechnerisch haben bei einer Glasöffnung von zehn Quadratzentimetern dann zehn Kilo Luft das Blatt an das Glas gedrückt – in die Gegenrichtung drängten etwa 200 Gramm Wasser. Als Frage steht nun, wie viel Liter Wasser müssten im Glas sein, damit der Druck aus dem Glas bei einer Fläche von zehn Quadratzentimetern höher ist als der Luftdruck?

Axel Werner hat noch weitere „Tricks“ auf Lager. Er lässt Kinder an einem Strohhalm aus einem Glas trinken. Kein Problem. Danach wird der Strohhalm jedoch verlängert, jedes weitere Kind steckt einen Strohhalm auf den anderen. Warum kann das achte oder neunte Kind nicht mehr durch diesen langen Trinkhalm aus dem Glas trinken? Es sind diese kleinen Versuche, die Kinder für die Wissenschaft begeistern sollen. Und die ihnen womöglich künftig nicht allein durch einen Besuch im Exploratorium, sondern selbst im Kindergarten erklärt werden. Dafür bekommen die Erzieherinnen in verschiedenen Workshops Arbeitsmaterial zur Verfügung gestellt – und die Lizenz zum Experimentieren. Das soll bei den Kindern nicht nur für Lust auf Versuche sorgen und die Neugier stärken, sondern auch die Lese- und Sprachkompetenz sowie die Feinmotorik.

Vier Partner haben das bundesweite Programm aufgebaut: Die Helmholtz-Gesellschaft, die Siemens AG vor dem Hintergrund eines Fachkräftemangels, die Dietmar Hopp Stiftung des gleichnamigen SAP-Mitbegründers sowie die Bildungsinitiative der Unternehmensberater McKinsey. Die Pisa-Studie habe ergeben, dass Physik und Chemie die unbeliebtesten Fächer deutscher Schüler sind, sagte Mirko Streich vom „Haus der kleinen Forscher“. Ziel ist es daher, gegenzusteuern und innerhalb der nächsten zehn Jahre alle 45 000 Kindertagesstätten mit dem Programm zu erreichen. Im September ist ein bundesweiter Tag der kleinen Forscher geplant, ab dem 2. Mai stehen laut Mirko Streich auf der Internetseite Experimente samt Anleitung und Auswertung zum kostenlosen Download bereit.

Und die Antworten auf die beiden Fragen von Axel Werner lauten: Ab zehn Liter Wasser in dem Glas kippt das Druckverhältnis zwischen Wasser und Luft. Und bei den Trinkhalmen reicht der im Mund erzeugte Unterdruck sowie der Luftdruck auf das Wasser im Glas nicht mehr aus, um daraus trinken zu können.

Das Projekt im Internet

www.haus-der-kleinen-forscher.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })