Hella Dittfeld findet, man sollte Kleingärtnern und anderen Vereinen keinen Krieg erklären, wenn man am Leben hängt: Die Luft wird brennen
Ja seid ihr denn lebensmüde? Wieso legt ihr euch ausgerechnet mit den Kleingärtnern an?
Stand:
Ja seid ihr denn lebensmüde? Wieso legt ihr euch ausgerechnet mit den Kleingärtnern an? Ich mache mir ernsthaft Sorgen um euch Architekturstudenten der Potsdamer Fachhochschule, die ihr beim Schinkel-Wettbewerb des Architekten- und Ingenieurvereins Berlin die Bebauung des Hinzenbergs mit Wohnungen angeregt habt.
Zwar werden bei diesem Wettbewerb ausdrücklich Arbeiten ohne Tabus verlangt und ohne den kleinen Mann im Ohr, der bei jedem Ansatz zum Höhenflug sagt: Das geht aber nicht, in solchen Fällen gibt es gaaanz große Widerstände. Diese Warner im Ohr machen nämlich jeden großen, genialen Entwurf zunichte, ehe er noch groß und genial werden konnte. Aber sich die Kleingärtner ohne Not zum Feind zu machen, das grenzt denn doch an lebensbedrohlichen Leichtsinn. Wissen Studenten heutzutage überhaupt noch etwas vom Alltag einfacher Menschen? Zum Beispiel von solchen, die schon zu Kaiserszeiten auf dem Hinzenberg gegärtnert haben? Na ja, heute sind es nicht mehr ganz dieselben wie damals. Aber an der Wehrhaftigkeit des Kleingärtners hat sich nichts geändert. Bei der Verteidigung ihrer Scholle gehen sie noch immer mit Hacken und Spaten auf die Obrigkeit los, und mit dem Einsatz von Rasenmähern an der Nord- und Vertikutierern an der Südflanke gebe ich ihnen auch gute Gewinn-Chancen.
Eigentlich wollte ich ja den Studenten beistehen, denn Denken muss erlaubt sein. Doch erstens lebe ich gern noch ein paar Jährchen und zweitens hätschele ich via Hinzenberg ganz andere Begehrlichkeiten. Deshalb lasse ich mich auch nicht zu solch entlarvenden Sätzen hinreißen wie die Stadtsprecherin Potsdams, die das Studentenprojekt „städtebaulich nachvollziehbar“ genannt hat. Aber ich bewundere den Mut dieser Frau. Immerhin hat der Verbandschef der Kleingärtner schon angekündigt: „Die Partei, die das vorhat, die kann sich abmelden. Dann brennen hier die Laternen!“ Und ich sage euch, nicht nur die Laternen, dann brennt die Luft!
Trotzdem mache ich mich jetzt gestalterisch auch mal ans Werk und das im vollen Bewusstsein, dass andere Vereine ebenso wehrhaft sind wie die Kleingärtner. Wenn ich nämlich Architekt und vielleicht auch ein bisschen Königin wär, würde ich die Kleingartensparte am Hinzenberg lassen, wo sie ist, und mich bei ihr mit einem Knicks bedanken, dass sie sich so besucherfreundlich tagsüber jedem öffnet, der durchspazieren möchte. Ich würde stattdessen die durchgängige Planung eines Uferweges zwischen Hafenbecken an der Langen Brücke und Kiewitt in Angriff nehmen. Danach geht es dann ja ungehindert weiter bis in die Pirschheide.
Um das zu erreichen, müsste ich allerdings das Innenministerium zur Uferöffnung verdonnern, einige Angler- und Wassersportvereine dazu bewegen, eine Passage freizumachen und das auch noch auf ihrem bis zum Sankt Nimmerleinstag gepachteten Land, ich müsste der Deutschen Bahn einen Fahrradweg über die Brücke abringen, der das Hochwuchten der Räder über die Treppe erübrigt. Im Gegenzug wäre ich bereit, mein Fahrrad über den bereits vorhandenen Fußweg zu schieben. Wenn man sich die Strecke anschaut, so ganz ohne Tabus und Kostenvoranschläge, die gleich mit Millionen hantieren, weil alles super ausgebaut werden muss, dann wäre das durchaus mit wenig Mitteln machbar. Ein paar Wegweiser inclusive, denn um die Winkel und Ecken, die der eigensinnige Uferwanderer jetzt bewältigen muss, findet kein Tourist oder Ortsunkundiger.
Wie Sie bemerken, kenne auch ich keine Tabus, bin ganz schön mutig und hänge nur bedingt an meinem Leben.
An dieser Stelle schreibt alle zwei Wochen Hella Dittfeld über Dinge, die sie erfreuten oder ärgerten und hofft, dass dadurch Potsdam etwas heller wird.
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