Homepage: Die Menschheitsaufgabe
Volkswirt, Unternehmer, Jesuit: Heute sucht Ottmar Edenhofer nach Lösungen der Klimakatastrophe
Stand:
„Schule hat mich nicht sonderlich interessiert“, sagt Ottmar Edenhofer. Ein Studium auch nicht. Aber schon als Kind hatte er einige Fragen. Große Fragen, die so einfach klingen, und so schwierig zu beantworten sind, dass ein Menschenleben nicht lang genug dazu ist. Was hält die Welt zusammen? Wie viel ist eigentlich unendlich, so unendlich wie die Macht Gottes? Als Kind konnte Edenhofer noch nicht einmal richtig zählen, da stellte er sich eine unvorstellbar große Zahl vor, zu der er immer noch eine Eins dazu addierte. Edenhofer, in eine katholische Unternehmerfamilie in Niederbayern hineingeboren, spürte zum ersten Mal, welche Ausmaße Göttlichkeit haben muss.
Der Lebenslauf des 44-jährigen Chefökonomen am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ist beeindruckend, aber auch verwirrend. Volkswirt, Unternehmer, Mitglied im Jesuitenorden inklusive Theologie-Studium, Leiter einer humanitären Hilfsorganisation, Journalist und nun Klimaforscher. Was hält ein Leben zusammen? Die Fragen, die einen nicht loslassen. Bei Edenhofer sind es mit einer schier unglaublichen Konsequenz noch immer die selben Fragen, die er sich als Kind gestellt hat. Etwa über die Hühnerschlächterei, die Abfälle in ein Gewässer leitete. Warum, fragte Edenhofer seinen Vater, müssen wir unsere Welt zerstören? Wegen der Arbeitsplätze war die Antwort, die Ottmar Edenhofer nicht akzeptieren wollte. Der Zielkonflikt zwischen Ökologie und Ökonomie müsse doch zu lösen sein.
Schon während seines ersten Studiums, Anfang zwanzig, gründete Edenhofer ein Unternehmen, um sich zu zeigen, dass es auch „ohne Ausbeutung“ und ohne Zielkonflikt geht. Er erschuf einen Versicherungsverein, der auf Gegenseitigkeit beruhte. „Eine relativ gelungene Form der Pflegeversicherung“, beschreibt er. Das Unternehmen existiert noch heute. Zur Volkswirtschaft kam Ottmar Edenhofer mit 14 Jahren über die Lektüre von Karl Marx, doch sein Studium hat ihn regelrecht frustriert. „Dieser langweilige homo oeconomicus mit seiner kalkulierenden Krämerseele“ konnte seine Fragen auch nicht beantworten. Das Schlüsselerlebnis trägt ein genaues Datum. „Es war am 8. März 1980“, erinnert sich der Wissenschaftler. Im Autoradio hört er den 90-jährigen Oswald von Nell-Breuning, Jesuit und Nestor der katholischen Soziallehre, über Gerechtigkeit sprechen. Was muss man tun, um mit so einem Mann zusammen zu arbeiten? Er muss in den Jesuitenorden eintreten. Edenhofer lebt sieben Jahre nach den drei Grundregeln Gütergemeinschaft, Verpflichtung zur Ehelosigkeit und Gehorsam gegenüber dem Ordensoberen. Neben dem Philosophiestudium verläuft die theologische Ausbildung zum Priester. Dann bricht der Ostblock zusammen, und zeitgleich gerät Ottmar Edenhofer in eine Krise. Er stellt fest, dass die Philosophie nur eine akademische Disziplin ist. Ein Handwerk, das man erlernen kann, das aber keine Lösungen bietet. Für die Jesuiten geht Edenhofer in die Bürgerkriegsgebiete Bosnien und Kroatien. Er baut ein Hilfswerk auf, tritt einmal wöchentlich im Rundfunk auf, um Spendengelder zu sammeln. Vier Millionen D-Mark kann er einsammeln. Er spürt, wie er als Jesuit auf sich selbst gestellt ist, Einzelkämpfer bleibt. Das Leid täglich vor Augen zeigt ihm nur seine Ohnmacht.
Im Kriegsgebiet, wo Moslems, orthodoxe Christen und Katholiken aufeinander treffen, stellt sich ihm die nächste große Frage. Was sind die Ursprünge dieser Gewalt? „Es klingt seltsam“, beschreibt Edenhofer, „aber dieses Thema hat mich zur Ökonomie zurückgebracht.“ Er verlässt den Orden, trifft seine jetzige Frau. „Ein Idyll aus Haus, Garten und Schwimmbad ist mir ein Gräuel, es wird eher ungemütlich mit mir“, sagte er ihr. Sie akzeptiert trotzdem. Fortan beschäftigt er sich mit der so genannten Spieltheorie, einem mathematischen Modell, um Konflikte zu lösen.
Im PIK, oben auf dem Telegrafenberg, ist Ottmar Edenhofer wieder bei dem Zielkonflikt seiner Kindheit angelangt. Wirtschaft kontra Klimaschutz. „Apokalyptisch“, nennt der Wissenschaftler diese Aussicht. Stärkt man die eine Seite, verliert die andere. Entweder ökologische Katastrophe oder weltweite Wirtschaftskrise. Edenhofer musste sein Wissen aus Wirtschaft, Mathematik, Philosophie und Religion zusammennehmen, um eine Lösung aufzuzeigen. „Ich habe einfach den Zielkonflikt verweigert!“ Odysseus sei auch zwischen den Ungeheuern Skylla und Charybdis hindurch gesegelt. „Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber es gibt diesen Weg“, erklärt Edenhofer sein Modell. Danach wird das weltweite Wirtschaftswachstum nicht nachhaltig gebremst, obwohl die Zielvorgaben bei der Reduktion des Klimakillers Kohlendioxid eingehalten werden. Das Modell war eine Sensation, es wurde von den zehn weltweit führenden Volkswirtschaftlern mit ihren eigenen Modellen bestätigt.
In seinem winzigen Büro auf dem Telegrafenberg ist Ottmar Edenhofer nicht mehr Einzelkämpfer. Er sehe es als Privileg an, hier mit hochbegabten Leuten zusammen arbeiten zu können. Entscheidungsträger weltweit hören auf die Forscher des PIK. Es geht um den radikalen Umbau des Weltenergiesystems, letztlich um eine neue Wirtschaftsordnung. „Eine große Herausforderung, die den Vergleich mit anderen großen Menschheitsaufgaben nicht zu scheuen braucht“, sagt Ottmar Edenhofer. Er ist den Antworten auf seine Lebensfragen vielleicht näher als jemals zuvor.
Matthias Hassenpflug
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: