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Schauen in dieselbe Richtung. Sabine und ihr Mann Seite an Seite in ihrer gemeinsamen Wohnung. Dass es jetzt so ist, war nicht selbstverständlich, ihr Mann war Alkoholiker.

© A. Klaer

Selbsthilfegruppe für Alkoholiker-Angehörige Potsdam: Die Nachbarn müssen das nicht wissen

Die Potsdamer Selbsthilfegruppe für Angehörige alkoholkranker Menschen war für Sabine und ihren Mann die Rettung. Dort gibt es keine Vorwürfe, sondern Hilfe für Teilnehmer aus Potsdam und Umgebung.

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Potsdam - Vier oder fünf Mal würde sie hierher kommen, dachte Sabine. Sie würde Orientierung finden, wie es weitergehen sollte und dann einen Strich drunter machen. „Ich dachte, die geben mir einen Rat: Trenne ich mich von meinem Mann oder nicht?“ Aber so einfach war das nicht. Es gab keinen Rat. Was es gab, waren Menschen, die ihr zuhörten. Die aber auch von sich erzählten. Ganz ähnliche Geschichten, Dinge, die Sabine gut kannte, die aber bisher niemand in ihrer Familie, ihrem Umfeld hören wollte. „Ich stieß auf so viel Verständnis, Vertrauen und Herzlichkeit, das hatte ich so noch nicht erlebt.“

Die einzige Selbsthilfegruppe dieser Art in Potsdam

Das war vor etwa 27 Jahren, als Sabine zum ersten Mal eine Selbsthilfegruppe für Angehörige und Freunde alkoholkranker Menschen besuchte. Sie blieb, bis heute. Und als die Gruppe einschlief, half sie, 1998 eine neue zu gründen, die es bis heute gibt – als Teil des internationalen Al-Anon-Netzwerks, das vor 50 Jahren die erste Gruppe in Deutschland aufbaute. Die Potsdamer Gruppe besteht aus etwa 20 Mitgliedern. Es ist die einzige Selbsthilfegruppe für Angehörige in Potsdam. Ganz bestimmt gibt es viel mehr Menschen in Potsdam, vermutet Sabine, die von so einer Gruppe profitieren könnten. Das ist der Hauptgrund, dass sie darüber reden möchte. Die Menschen sollen erfahren, wie sehr es helfen kann, das Thema zu enttabuisieren. Jeden Samstag treffen sie sich, der Samstagnachmittag ist Sabine heilig. Seit Jahren. Im Internet findet sich sogar Sabines Telefonnummer. Jeder kann bei ihr anrufen. Tag und Nacht. Es ist eine Notfallnummer. „Weil ich weiß, was für ein Elend es ist, mit so einem Menschen zusammen zu leben.“

Das sind starke Worte. Sie überraschen ein bisschen, weil der Mensch von damals derselbe ist, der heute das Kaffeetablett ins Wohnzimmer bringt. Kaffee für den Gast, Matchatee für Sabine. Der später noch einmal ins Wohnzimmer kommt und seine Frau in den Arm nimmt. Vor 27 Jahren wusste Sabine nicht, ob sie mit ihrem Mann zusammenbleiben wollte. Und in der Gruppe sagte auch keiner: Mach so oder so. Aber hier hört sie, dass sie nicht verrückt sei und schon gar nicht Schuld trage daran, dass der Partner viel zu viel trinkt. Das half. Das gab Kraft. Sie konnte eigene Strategien entwickeln und irgendwann schlug ihr Mann vor, eine Paartherapie zu versuchen. Sabine zog den Scheidungsantrag zurück.

Der gemeinsame Haushalt ist nun eine alkoholfreie Zone

Heute ist ihr gemeinsamer Haushalt eine alkoholfreie Zone. Sie haben ihren Weg gefunden, zusammen zu bleiben. Haben die vier Kinder ihrer Patchworkfamilie groß bekommen und sich auf ihrer Insel eingerichtet. Kleine Wohnung, zwei Mal im Jahr Urlaub an der See. „Viele fragen mich, warum ich denn noch zur Gruppe gehe, jetzt wo alles so gut läuft“, sagt Sabine. „Aber ich hätte Angst, wieder im eigenen Saft zu schmoren.“ In der Gruppe lösen sich Probleme manchmal einfach so auf. Diesen geschützten, besonderen Ort kann sie nicht einfach aufgeben.

Vielleicht auch, weil sie es sich hart erkämpft hat, wie so viele der anderen Teilnehmer. Man muss erstmal an den Punkt kommen zu realisieren, dass man selber Hilfe braucht, weil man in einer Ko-Abhängigkeit steckt. Weil man den Alltag so organisiert, dass der Partner nicht stört, dass alles halbwegs läuft und möglichst keiner mitbekommt, was wirklich los ist. Sabine schützte ihre Kinder vor dem Vater, der nachts nach Hause kam und laut wurde. Aber sich selbst konnte sie nicht schützen, sie ging langsam kaputt.

Niemand bewertet, was erzählt wird

In der Gruppe hörte sie, dass es anderen auch so ging. Dort gibt es grundsätzlich keine Vorwürfe und niemand bewertet, was erzählt wird. Niemand verteilt platte Ratschläge. Die Arbeit der Al-Anon-Gruppen funktioniert überall auf der Welt nach denselben Prinzipien. Die Potsdamer Gruppe kooperiert mit der Gruppe der Anonymen Alkoholiker. Sie finden parallel statt und es gibt einmal im Monat gemeinsame Treffen. Es gibt Paare, die besuchen zeitgleich die Gruppen und gehen sehr offen damit um, so wie Sabine und ihr Mann. Andere Angehörige kommen allein und verheimlichen das auch vor dem betroffenen Alkoholkranken. Anonymität ist ihnen allen wichtig. Über Alkoholprobleme spricht man noch immer nicht gerne in der Gesellschaft.

Auch Sabine will unerkannt bleiben, die Nachbarn müssen das nicht wissen. Selbst die Gruppenmitglieder wissen nur wenig übereinander. Keine Nachnamen, manchmal nicht mal den Beruf. Nur wer möchte, gibt mehr preis, dann entstehen auch private Kontakte. Und einmal im Jahr treffen sie sich zu einem Picknick. Bis vor wenigen Jahren war Käte noch mit dabei, die heute 97 Jahre alt ist. Eine Frau, die von Anfang an in der Gruppe war. Sabine und Käte telefonieren noch immer häufig. „Wir haben viel Spaß“, sagt Sabine.

Zu DDR-Zeiten wäre das nie so gekommen. Es gab offiziell kein Alkoholproblem, Betroffene sollten von der Gesellschaft aufgefangen und integriert werden. Eine einzige Selbsthilfegruppe existierte in Halle, angebunden bei der Kirche. Aus ganz Deutschland kamen die Teilnehmer angereist.

Der erste Schritt fällt unheimlich schwer

Zur Gruppe im Kirchsteigfeld kommen Teilnehmer aus Potsdam und dem Umland, aus verschiedenen Berufen und verschiedenen Alters. Die meisten sind Frauen. Sie dürfen einen Raum der Kirchgemeinde nutzen, Ausgaben finanzieren sie über ihre eigenen Spenden. „Wir wollen keine Fördermittel, wir wollen unabhängig bleiben“, sagt Sabine. Freuen würden sie sich über neue Teilnehmer. Aber sie weiß auch, dass dieser Schritt oft unheimlich schwer fällt. „Ich selber brauchte ein Vierteljahr vom Entschluss zu gehen bis ich es wirklich tat.“

Al-Anon für Angehörige jeden Samstag um 16.30 Uhr im Gemeindezentrum Kirchsteigfeld, Anni-von-Gottberg-Straße 14. Kontakttel.: (0331) 626 15 05. Beratung für Angehörige von Alkoholkranken bietet auch die Awo, Großbeerenstraße 187, Montag, Dienstag und Mittwoch 9.30 Uhr bis 18 Uhr, Freitag bis 15 Uhr, Mittwoch nach Vereinbarung, Tel.: (04331) 73 04 07 40

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