
© Manfred Thomas
Potsdamer Verkehr: Die Nerven liegen blank
Potsdam versinkt im Verkehrschaos und die Stadt empfiehlt das Vermeiden des Berufsverkehrs. Das empört vor allem Menschen, die auf das Auto angewiesen sind.
- Henri Kramer
- Katharina Wiechers
Stand:
Fahrtzeiten durch die Stadt von bis zu einer Stunde, im Stau steckende Busse, verzweifelte Hebammen und Taxifahrer – Potsdam versinkt förmlich im Verkehrschaos. Grund dafür sind vor allem die Baustellen an Hauptverkehrsadern wie der Breiten oder der Nuthestraße, die zum Teil sogar nur noch einspurig sind. Und damit nicht genug: Ab Montag soll auch noch die Leipziger Straße am Brauhausberg gesperrt werden und ab 15. Juli kommt noch die Heinrich-Mann-Allee hinzu. Schon jetzt dauert es etwa vom „Kaufland“ in Potsdam-West bis zur Langen Brücke bis zu 45 Minuten, wie mehrere PNN-Leser berichteten.
Die Stadt weist die Kritik an ihrem Verkehrsmanagement zurück: Die Bauarbeiten würden konzentriert in den Ferien durchgeführt, weil dann in den Spitzenzeiten ein Rückgang des Verkehrs um 20 Prozent zu erwarten sei, hatte die Verwaltung erklärt. Gleichwohl gehen täglich Beschwerden über den Dauerstau ein, wie ein Sprecher bestätigte. Der Bereich Verkehrsmanagment hatte empfohlen, die Rush Hours in Potsdam zwischen 7.30 und 8.30 Uhr am Morgen und zwischen 15.30 und 17.30 Uhr am Nachmittag zu meiden. Für diejenigen Potsdamer, die auf das Auto angewiesen sind, muss das wie blanker Hohn klingen. Wir haben mit einigen von ihnen gesprochen.
Die Hebamme
Hebamme Christina Dümchen braucht das Auto, um von Kundin zu Kundin zu kommen. Nicht nur, dass sie wegen der Staus derzeit häufig unpünktlich bei ihren Kundinnen ankommt oder Hausbesuche ganz verschieben muss. Hinzukommen die angemeldeten Hausgeburten, bei denen sie helfen soll: „Wenn ich im Stau stehe, dann hoffe ich immer, dass es nicht gerade jetzt los geht“, sagt sie. Denn im Zweifelsfall – wenn sie im Verkehrschaos stecken bleibt – müsste sie der werdenden Mutter dann empfehlen, doch mit dem Notarzt ins Krankenhaus zu fahren. „Zum Glück ist das noch nicht passiert.“ Umsteigen auf den öffentlichen Nahverkehr oder aufs Fahrrad kann die Babelsbergerin nicht, da sie stets ihre Ausrüstung zur Betreuung von schwangeren Frauen mitführen muss.
Die Pflegerin
Ebenfalls auf das Auto angewiesen sind die Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste, wie etwa jener im Babelsberger Oberlinhaus. „Wir leiden sehr unter der Verkehrssituation. Wir müssen von Babelsberg aus bis in die Waldstadt, die Fahrzeiten haben sich erheblich verlängert“, sagt Mitarbeiterin Marina Schröder. Oft müssten sie und ihre Kollegen in letzter Zeit bei den Kunden anrufen und sich für Verspätungen entschuldigen, weil sie im Stau stünden. „Dass uns dann auch noch emfohlen wird, die Stoßzeiten zu meiden, bringt uns echt zum Lachen“, fügt sie zynisch hinzu. Zum Beispiel Insulin müsse eben morgens eine halbe Stunde vor dem Frühstück gespritzt werden, und das möglichst jeden Tag zur selben Zeit. „Wenn wir das einfach mal ausfallen lassen oder zwei Stunden später kommen, kann der Blutzucker extrem steigen oder fallen“, sagt Schröder. Für die Planung der Stadt hat sie kein Verständnis: „Gerade haben wir die Baustelle am Horstweg überstanden, und jetzt wollen sie mit der Heinrich-Mann-Allee anfangen.“
Die Ferienprogramm-Gestalterin
Geradezu verzweifelt hat sich die Potsdamerin Katrin Binschus-Wiedemann an die PNN gewandt. Als Mitarbeiterin beim Treffpunkt Freizeit soll sie ab Montag zwei Wochen lang morgens um 8 Uhr zur „Stadt der Kinder“ am Schlaatz fahren. Sie wohnt in Golm und hat vier zu betreuende Kinder im Schlepptau – an Fahrradfahren ist also nicht zu denken. Sie habe „nicht die geringste Ahnung“, wie sie mit den vier Kindern zu ihrer Arbeitsstelle kommen solle, schrieb Katrin Binschus-Wiedemann. „Kann ich beim Verkehrsplaner der Stadt Potsdam jetzt einen Ersatz des Verdienstausfalls beantragen? Und wer betreut dann die Kinder? Was ist mit den Besuchern der ’Stadt der Kinder’, die auf mich warten?“, fragte sie.
Der Taxi-Unternehmer
Auch Erhard Fietze vom Vorstand der Taxi-Zentrale in Potsdam kann über Empfehlungen der Verkehrsplaner, die Staustellen könnten auch umfahren werden, nur den Kopf schütteln. Denn in der derzeitigen Situation gebe es für Autofahrer, die durch Potsdam wollen, keine Ausweichchance. Auch sei es falsch, dass in den Ferien deutlich weniger Verkehr gäbe – gerade jetzt seien doch viele Touristen in Potsdam unterwegs. So müssten die Taxifahrer pro Tag gleich mehrfach im Stau stehen: „So schlimm war es noch nie.“ Für Taxis sollten daher zumindest einige Busspuren mit zur Verfügung stehen, forderte Fietze.
Die Polizistin
An der Polizei geht die Situation auf den Straßen ebenfalls nicht spurlos vorbei, wie Sprecherin Ingrid Schwarz bestätigte. So seien Zeitverzögerungen bei der Aufnahme von Strafanzeigen an Tatorten in der Stadt nicht ausgeschlossen. Nicht sonderlich betroffen sei allerdings das Polizeirevier selbst, dass an der parallel zur Breiten Straße verlaufenden Henning-von-Tresckow-Straße liegt. Diese sei zwar zur Entlastung für den Verkehr in beiden Richtungen geöffnet worden, dadurch könnten die Kollegen den Stau auf der Breiten Straße umfahren. Allerdings sei das Parken auf der Ausweichstrecke verboten. „Das kann natürlich ein Problem sein, wenn Leute bei uns Anzeige erstatten wollen“, so Schwarz.
Der Busfahrer
Wer kann, steigt auf das Fahrrad oder den öffentichen Nahverkehr um. Doch auch dieser ist wegen der Baustellen deutlich eingeschränkt. Vor allem die Busse seien betroffen, insbesondere die Linien 638, 639, 603, 595, 690 und 694, sagte ein Sprecher der Verkehrsbetriebe Potsdam (Vip). Zum Beispiel habe die Linie 638/639 zeitweilig vier Baustellen gleichzeitig auf einer Fahrt gehabt. Die Baustellen wirken sich sogar negativ auf die Statistik der Vip aus: Während die Pünktlichkeit bei Bussen und Trambahnen im Januar noch bei 90 Prozent gelegen habe, habe sie zu Beginn der ersten großen Bauarbeiten im März nur noch bei 86 Prozent gelegen. Im April war sie bei 84, im Mai bei 85 Prozent. Vor allem die Baustellen an der Breiten, der Geschwister-Scholl- und der Friedrich-Ebert-Straße machten den Fahrern zu schaffen. Und auch die Ausweichmöglichkeiten seien stark begrenzt, da es mehrere Baustellen gleichzeitig gibt. Nicht nur, dass die Fahrer lange im Stau stehen, auch die Beschwerden durch die Kunden haben zugenommen. „Wir bitten unsere Fahrgäste darum, Beschwerden in erster Linie an die Kundenzentren zu richten und nicht an das Fahrpersonal“, sagte der Sprecher.
Der Kurierfahrer
Mit rund zehn Autos gleichzeitig ist der Potsdamer Kurierdienst Opexx unterwegs – eigentlich sollte die Ware möglichst schnell von einem Ort zum nächsten gebracht werden. Doch bei dem Unternehmen gibt man sich abgebrüht: „Wir sind das schon gewohnt, in Potsdam wird immer überall zur gleichen Zeit gebaut. Das ist zwar nervig, aber wir kommen trotzdem klar. Unsere Fahrer kennen ihre Schleichwege“, sagt Mitarbeiter Thomas Schütz.
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