Von Henri Kramer: Die Netzhaut weggestrahlt
Ein Wasserwerfer-Einsatz zerstörte sein linkes Auge: 38-jähriger Potsdamer verklagt nun die Polizei
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Wenn Steffen B. nach dem Schlaf seine Augen aufschlägt, empfindet er manchmal „tiefe Traurigkeit.“ Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren ist sein linkes Augen so schwer verletzt worden, dass der Potsdamer damit heute noch zu zwei Prozent sehen kann. Es ist faktisch blind – und der Strahl eines Wasserwerfers daran schuld.
Das Unglück stieß Steffen B. beim G8-Gipfel zu, als sich die Regierungschefs der mächtigsten Länder der Welt in Heiligendamm an der Ostsee trafen. Mit tausenden anderen Demonstranten wollte B. am 7. Juni 2007 einen Zufahrtsweg zum Gipfel „friedlich“ blockieren, so der 38-jährige. Er stand demnach relativ weit vorn auf einer Wiese, Polizisten vor ihm. Als die Polizei „plötzlich“ ihre Wasserwerfer einsetzte und er sich nicht rechtzeitig ducken konnte, traf ihn der harte Strahl am Auge. Selbst Spezial-Ärzte konnten auch nach etlichen Operationen seine herausgespülte Netzhaut nicht retten. Sie ist vernarbt. Zwei Jahre später wartet Steffen B. immer noch auf juristische Aufklärung seines Falls – und will nun für eine Entschädigung vor Gericht ziehen.
Die Schmerzensgeldklage gegen die Polizeidirektion Rostock, die damals für den Einsatz verantwortlich gewesen sei, bereitet der Potsdamer Jurist Steffen Sauer vor. Nächste Woche soll der Brief nach Rostock gehen. Steffen B. möchte 30 000 Euro – und hofft zugleich, dass mit einem möglichen Prozess auch Verantwortliche für seine Verletzung gefunden werden. „Wenn die Polizei den Schadenersatz ablehnt, müssen beide Seiten das Gericht mit Beweisen überzeugen“, sagt Sauer.
Denn Verantwortung für das verlorene Auge von Steffen B. – Wasserwerfer dürfen laut einer Dienstvorschrift der Polizei nicht in Kopfhöhe zielen – hat bisher niemand übernommen. Noch immer ermittelt die Staatsanwaltschaft Rostock gegen zwei Polizisten aus Nordrhein-Westfalen wegen fahrlässiger Körperverletzung, zwei Jahre später. „Ich wurde erst vor etwa einem halben Jahr überhaupt vernommen. Zumindest aber die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft hat Steffen B. mit seinem Anwalt schon studiert, über die für sie offenbar dürftigen Details dürfen sie aber laut Gesetzeslage nicht reden. „Aber ich kann sagen, dass ich mich ermittlungstechnisch verarscht und meinen Fall auf die lange Bank geschoben fühle.“
Bei der Staatsanwaltschaft Rostock verteidigt Sprecher Peter Lückemann auf Anfrage die „schwierigen“ Ermittlungen. „Es gab das Problem, dass hier gegen Beamte aus einem anderen Bundesland ermittelt wurde und deswegen Akten stets hin und her geschickt werden mussten.“ Im Juni, also im nächsten Monat, werde die Untersuchung aber abgeschlossen – entweder, so Lückemann, werde das Verfahren dann eingestellt oder Anklage erhoben.
Eine andere Entscheidung als eine Anklage dürfte für Steffen B. kaum nachvollziehbar sein. Seine Pupillen werden dauerhaft unterschiedlich groß bleiben, je nach der Helle des Tageslichts. Übermäßig lichtempfindlich ist sein Auge dazu, die Sonnenbrille muss er im Sommer ständig tragen. Außerdem kann er nicht mehr dreidimensional sehen, sein Gesichtsfeld ist dauerhaft eingeschränkt. Seinen Beruf als Rettungssanitäter kann er deswegen nur noch eingeschränkt ausüben, weil er nicht mehr Auto fahren darf. „Ich weiß nicht, ob man sich irgendwann daran gewöhnen kann – man nimmt es eben hin.“
Doch nicht hinnehmen will Steffen B., der noch nie kriminell in Erscheinung getreten ist, die juristische Aufarbeitung. Deswegen nun auch sein Schritt an die Öffentlichkeit. „Ich möchte nicht, dass sich andere Leute wegen solcher Vorfälle einschüchtern lassen.“ Denn die Proteste von damals findet er immer noch richtig, wichtig um sich gegen „Ungerechtigkeit in der Welt“ zu wehren. Steffen B. sagt: „Jeder muss in diesem Land demonstrieren können, ohne davon bleibende Schäden zu tragen – und wenn Polizisten unverhältnismäßig hart gegen Demonstranten vorgehen, muss das geahndet werden.“
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