Homepage: Die neu gewonnene Großfamilie Nachfahren von Moses Mendelssohn zu Besuch
Prof. Julius H. Schoeps ist Ururururur- enkel von Moses Mendelssohn
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Familientreffen sind für gewöhnlich Feste des Wiedersehens. Ganz anders am vergangenen Donnerstag. Der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ), Julius H. Schoeps, hatte die Nachkommen des weit verzweigten Mendelssohnclans zu einem Besuch nach Potsdam eingeladen und kannte von den über zwanzig Gästen niemanden. Kein Wunder, denn der Stammbaum, auf den sich die Anwesenden beziehen, umfasst gut 300 Jahre. Moses Mendelssohn, der jüdische Aufklärer, gilt als Urvater. Viele seiner Töchter, Söhne, Enkel und Urenkel, unter ihnen zahlreiche Musiker, Schriftsteller, Bankiers und Industrielle, sind auch heute noch mindestens ebenso berühmt wie er. Erinnert sei nur an die Schriftstellerin Dorothea Schlegel und die Komponistin Fanny Hensel, an deren Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy und dessen Sohn Paul, den Firmengründer von AGFA.
Wenn eine Stadt schon so viele berühmte Kinder in einer Familie aufzuweisen hat, dann sollte diese auch als solche geehrt werden, dachten sich die Stadtväter von Berlin. Aus Anlass der Restauration einiger Gräber von Mendelssohn-Nachfahren lud der Berliner Senat die repräsentative Familie am vergangenen Wochenende medienwirksam ein. Mit vierzig Erben wurde gerechnet, 240 kamen. Angereist aus aller Welt, mit Kindern und Lebenspartnern stellten sie sich einander zunächst über die genealogischen Linien vor. Unter ihnen der 82-jährige Kardiologe Thomas Leo aus Florida und der 27-jährige Max Winter aus Basel, der über Hegel promoviert, beide Nachfahren von Fanny, der Komponistin. Wenn im Alltag die Jahrhunderte übergreifende Familiengeschichte auch keine Rolle spiele, so sei so ein Treffen, doch ein „schöner Anlass“. „Schön“, weil über die Familienbande einmal nicht am Grab eines so eben Gestorbenen gesprochen wird, sagte der immer noch fließend deutsch sprechende Leo, der 1940 auswandern konnte. „Schön“, weil sich über die Familiengeschichte soviel zur Kulturgeschichte erfahren lässt, sinniert der junge Doktorand Winter.
Für den Historiker Julius H. Schoeps, der schmunzelnd und nachfragend zuhörte, entwickelte sich die Begegnung mit seinen unbekannten Verwandten zugleich zu einer unschätzbaren Quelle. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass sich spätestens ab den Enkeln von Moses, dem Philosophen, die Forscher die Haare raufen. Denn Schoeps selbst stammt von Paul ab. Nicht von Paul, dem Sohn von Felix Mendelssohn Bartholdy, sondern von Felix“ Bruder Paul. Die beiden Geschwister entschieden sich für einen Bindestrich im Nachnamen als Unterscheidungsmerkmal. Die Familie von Felix schrieb sich ohne, die von Paul mit Bindestrich. Den Forschern, deren Aufgabe es auch ist, Geschichte zu tradieren, ist dieses eigentlich geniale Unterscheidungsmerkmal selten aufgefallen. Mal ließen sie es weg, mal setzten sie den Bindestrich, wo er nicht hingehört – und stifteten so einmal mehr Verwirrung in dem Mendelssohnschen Stammbaum. Anlässlich des großen Familientreffens hat nun die Berliner Staatsbibliothek, die einen Teilnachlass von Felix Mendelssohn Bartholdy verwaltet, eine CD mit allen genealogischen Verästelungen herausgegeben.
Der Besuch in Potsdam galt dann auch dem anderen Erbe, jenseits der Biologie, dem geistigen Erbe. Der Urururururenkel von Moses Mendelssohn, Julius H. Schoeps, brauchte über eine Stunde, um all die wissenschaftlichen Projekte zu umreißen, die das Forschungszentrum zur Zeit betreut, bevor er seine neu gewonnene Großfamilie zum Essen in ein nahe gelegenes Restaurant einlud.
Lene Zade
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