Von Erhart Hohenstein: Die Reise nach Bonn
Erstes Ziel von OB Hans Daniels war nicht sein Potsdamer Amtskollege, sondern die Redaktion der BNN
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Überraschender Besuch für BNN-Chefredakteur Georg Jopke. Ende November 1989 war Bonns Oberbürgermeister Hans Daniels nach Potsdam gekommen, um der nach dem Mauerfall dahindämmernden Städtepartnerschaft neues Leben einzuhauchen. Nach der Ankunft führte Daniels erster Weg aber nicht zum SED-Oberbürgermeister Manfred Bille, mit dem er einen Arbeitsbesuch vereinbart hatte. Vielmehr suchte er die BNN-Redaktion in der Lindenstraße (damals Otto-Nuschke-Straße) auf.
Damit demonstrierte Daniels, dass ihm die SED-fernen Potsdamer, von denen mehr als 11 000 die BNN lasen, näher standen als die Funktionärsriege im Rathaus. Für die Redakteure unserer Zeitung, aber auch der mit eingeladenen Blätter der CDU, „Märkische Union“, und der LDPD, Lokalausgabe des „Morgen“, war dies durchaus ein stolzer Augenblick. Obwohl, dies sei nicht verschwiegen, in den drei kleinen Redaktionen insgesamt sieben Mitarbeiter als IMs die Staatssicherheit ihre Kollegen bespitzelten. Einer davon, „Morgen“-Lokalredakteur Klaus-Dieter Eule, saß bei dem Gespräch mit der Bonner Stadtspitze am Tisch. In den BNN erörterte Daniels mit seinen Gastgebern auch praktische Fragen. Dazu gehörte die Rettung eines barocken Baudenkmals an der Ecke Linden- und Spornstraße. Mit Hilfe Bonner Baubetriebe sollte es zum Domizil eines Klubs „Potsdam – Bonn“ ausgebaut werden. Der noch heute existierende Klub wurde gegründet, das Bauprojekt verschwand mit der Wende-Euphorie in der Versenkung. Thema des Gesprächs war dann die Städtereise von zweimal 58 BNN-Lesern nach Bonn, zu der die Partnerstadt eingeladen hatte. Unsere Redaktion ging sogleich darauf ein und bat die Leser, sich zu bewerben. Innerhalb kürzester Zeit erreichten uns 1201 Einsendungen.
Dem Lokalchef Jürgen Mundt und mir, die an dem Gespräch mit Daniels teilgenommen hatten, wurde die Auslosung der Gewinner übertragen. Öffentlich, um Betrugsvorwürfe zu vermeiden. Am 28. November standen die Bewerber dicht gedrängt im Kulturraum der BNN bis hinein in den Flur. Eine beliebig ausgewählte Leserin, Margot Lerche, zog die Teilnehmer der Busfahrt. Dennoch hagelte es Verdächtigungen, etwa, als sie zufällig zweimal gleichnamige Verwandte aus der Trommel fischte. Zu den Gewinnern zählten eine weit über 80-Jährige und eine im siebenten Monat schwangere junge Frau. Beide bestanden auf die Teilnahme an der Fahrt. „Ich bin Krankenschwester, notfalls kann ich mir selber helfen“, erklärte die werdende Mutter.
Am 8. Dezember begann die Wochenendreise. Vom Stau der gen Westen tuckernden Trabant-Kolonnen behindert, erreichte der Bus erst nach zehn Stunden sein Ziel. Bonns Stadtpolitiker hatten im Alten Rathaus geduldig auf die Ankunft gewartet. Ein Potsdamer überreichte ein von ihm geborgenes Stück der Berliner Mauer. Danach nahmen Bonner Familien die Havelstädter unter ihre Fittiche und zeigten ihnen ihre schöne Stadt. Als Journalist wurde ich von einem Redakteur des „Bonner Generalanzeigers“ aufgenommen. Sein Wohnhaus war doppelt so groß und viermal so schön wie die Bungalows der Mitglieder des SED-Politbüros in Wandlitz, die ich besichtigt hatte. Welche Privilegien ein stellvertretender Chefredakteur genieße, wurde gefragt. Wahrheitsgemäß antwortete ich, dass ich monatlich 1000 DDR-Mark netto bekam, mit meiner vierköpfigen Familie im Plattenbau wohnte, einen Kleingarten gepachtet hatte und kein Auto, wohl aber zwei Fahrräder mit Kindersitz besaß.
„Bis in den frühen Morgen“, schrieb ich in meinem Bericht für die BNN, „wurden zwischen Gastgebern und Besuchern heiße Diskussionen über die politische Entwicklung in der DDR und die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten geführt. Von einem längerfristigen Annäherungsprozess bis zu einer sofortigen Wiedervereinigung gab es dabei zahlreiche Vorstellungen. Die Potsdamer waren beeindruckt von der technologischen Überlegenheit, dem hohen Lebensstandard, dem Warenangebot und dem hervorragenden Bauzustand in der Partnerstadt. Dies löste auch Bitternis aus, wie es in der DDR trotz fleißiger Arbeit der meisten Menschen zu so einem großen Rückstand kommen konnte.“
Der Autor war Redakteur der Brandenburgischen und später der Potsdamer Neuesten Nachrichten.
Erhart Hohenstein
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