Landeshauptstadt: Die Schöne aus dem anderen Land
Das romantische Havelberg in Sachsen-Anhalt kann mit seinem blühenden Dombezirk punkten
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Der Bürgermeister muss nicht lange überlegen, warum er Großstädtern einen Ausflug nach Havelberg empfiehlt: „Hier erleben Sie mal etwas völlig anderes.“ Bernd Poloski rückt bei diesen Worten seine Schirmmütze zurecht, als wolle er zu einem langen Vortrag über die Vorzüge des Ortes unweit der Mündung der Havel in die Elbe ansetzen. Dann bleibt er aber doch beim Telegrammstil: „Schöne Kleinstadt, fast alles fertig restauriert, einmaliger Blick vom Dombezirk über die Dächer des Ortes, gute Wege zum Radeln und Bummeln oder Paddeln in die nahe Natur, freundliche touristische Gastgeber, nette Leute.“ Zack. Und die Bundesgartenschau? „Die setzt allen schönen Dingen noch die Krone auf und hat vor allem die Verbindung der Einwohner zu ihrer Stadt gestärkt.“ Das klingt beinahe euphorisch, und Poloski ist nun kaum zu bremsen. Er erwarte, dass 700 000 bis 800 000 Besucher bis zum 11. Oktober in die Hansestadt kommen. Die Hälfte aller Buga-Gäste in der ganzen Havelregion? Poloski nickt und lächelt.
Der Einsatz des Bürgermeisters erklärt sich beim Blick auf die Landkarte. Als nördlichster Punkt des BugaBandes liegt Havelberg am weitesten von Berlin und Potsdam entfernt. Vor vielen Jahren machte auch der Bahnhof dicht, sodass Zugreisende den Umweg über Glöwen und dann einen Shuttlebus nehmen müssen. Außerdem verzögerte sich der Bau des „Hauses der Flüsse“, des Infozentrums des Biosphärenreservats Mittelelbe. Statt die ersten Besucher wie geplant zur Eröffnung der Buga Mitte April zu empfangen, wird der Bau nun wohl erst Mitte Juni fertig. Es handelt sich zwar nicht um ein Projekt unter Regie der Buga-Organisatoren, aber auf allen Plänen und Broschüren wurde auf diese Attraktion an der Havel bereits hingewiesen.
Außerdem fällt Havelberg mit seiner Zugehörigkeit zu Sachsen-Anhalt gegenüber der Brandenburger Übermacht etwas aus dem Rahmen. Eine Abstimmung zum Wechsel der Stadt ins Land Brandenburg scheiterte nach der deutschen Wiedervereinigung knapp. Ein großer Teil der Gäste dürfte sich damit also auch aus Richtung Stendal, Genthin oder Magdeburg auf den Weg zum Buga-Ort ihres Bundeslandes auf den Weg machen. Die Besucher können sich auf einen blühenden Dombezirk freuen – und besondere Gartenkunst. „Die Mustergräber sind wahre Kunstwerke“, sagt Chefgärtner Rainer Berger. „Da schneiden die Floristen die Blätter und Pflanzen mit der Nagelschere, damit sie dicht stehen und so haargenau ins Gesamtbild passen.“ 70 Gräber mit teils ungewöhnlichen Grabsteinen haben Friedhofsgärtner aus ganz Deutschland in Szene gesetzt. Zwischen den neu gestalteten Stätten liegen alte Grabsteine. Der alte Domfriedhof, vor fast 100 Jahren aufgegeben, erfährt durch die Buga seine Wiederentdeckung. Gleich nebenan geben Kleingärtner Tipps. Die Tore stehen offen, nur die Kaffeetische bleiben den Eigentümern vorbehalten. Doch die Terrasse eines italienischen Restaurants direkt neben dem Dom bietet die gleiche Aussicht auf die Stadt und die Havel.
Auf dem Fluss selbst geht es eher beschaulich zu. Nichts erinnert mehr an die Zeit, als Havelberg für Kapitäne und Matrosen der wichtigste Feierabend- und Winterhafen auf der Strecke zwischen Berlin und Hamburg war. Der Zweite Weltkrieg mit seinen schlimmen Folgen für die Teilung des Landes hat diese Tradition für immer beendet.
Mit den Spätfolgen des Krieges werden die Besucher auch in der in unzähligen Farben strahlenden St.-Laurentius-Kirche im Zentrum konfrontiert. Palmen weisen hier den Weg zum Eingang in das Gotteshaus, wo die besten Floristen ihr Können in wechselnden Blumenschauen zeigen. Diese Pflanzenpracht verdeckt etwas das Sorgenkind der Kirchengemeinde. „Unsere Orgel braucht dringend finanzielle Hilfe“, sagt Domkantor Matthias Bensch, der auch ab und zu in der Stadtkirche spielt. „Viele Orgelpfeifen sind im Krieg für Munition eingeschmolzen und danach notdürftig durch Pfeifen aus billigem Zink ersetzt worden.“ Nicht nur deswegen macht sich der Kantor Sorgen. „Wir haben hier wirklich eines der wenigen Instrumente, die vom Baumeister Gottlieb Scholtze aus dem 18. Jahrhundert erhalten gebliebenen sind. Es muss aber dringend restauriert werden.“
650 000 Euro kostet die Reparatur. Jeder Buga-Gast in der Kirche könnte einen kleinen Beitrag dazu leisten, der Kantor jedenfalls wirbt längst für Spenden. Havelberg hätte sie verdient.
Claus-Dieter Steyer (Text), Kitty Kleist-Heinrich (Fotos)
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