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Homepage: Die Schönheit im Alltäglichen Kerstin Stutterheim lehrt, was Bilder erzählen
Der „Nudeldampfer“ ist aus Licht gebaut. Das „Haus Schminke“, das der Architekt Hans Scharoun für Fritz Schminke in 1933 in Lübau in der Oberlausitz baute, erhielt seinen Spitznamen, weil der Unternehmer Schminke Nudeln produzierte.
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Der „Nudeldampfer“ ist aus Licht gebaut. Das „Haus Schminke“, das der Architekt Hans Scharoun für Fritz Schminke in 1933 in Lübau in der Oberlausitz baute, erhielt seinen Spitznamen, weil der Unternehmer Schminke Nudeln produzierte. In dem Film „Mit Licht gebaut“ von Niels-Christian Bolbrinker und der Potsdamer Filmwissenschaftlerin Kerstin Stutterheim berichtet die Jüdin Ello Hirschfeld über ihre Kindheit in dem avantgardistischen Wohnhaus der Familie Schminke (21. Oktober, 12.30 Uhr auf Arte). Der jüdische Unternehmer versteckte das schwarzhaarige Kind zwischen seinen eigenen blonden Kindern, deshalb überlebte es. Die Kamera gleitet durch lichtdurchflutete Räume, beschreibt die transparente Struktur des Gebäudes.
„Was erzählen die Bilder? Das versuche ich meinen Studenten zu vermitteln“, sagt die Filmwissenschaftlerin Kerstin Stutterheim. Film funktioniere zunächst visuell und dann erst über die Sprache. An der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) unterrichtet Stutterheim Mediendramaturgie und -ästhetik. Stutterheims Unterricht vermittelt den umfassenden Rahmen für das Filmen, das aus viel mehr Komponenten als Bildführung und Beleuchtung besteht. Dramaturgie und Spannungsaufbau müssen geplant, aber auch scheinbare Nebensächlichkeiten wollen einstudiert sein.
„Was passiert, wenn sie über den roten Teppich gehen? Wie trenne ich die öffentliche Person, die ich als Schauspieler vielleicht werde, von der privaten?“, auf diese Fragen bereite sie künftige Schauspieler und Filmer vor. Der Gang über der roten Teppich in den Film- oder Restaurantsaal sei eine höllisch laute Angelegenheit. Reporter, Fotografen, Fans, alle rufen nach dem Star und würden ihn am liebsten ganz für sich haben.
Kürzlich hat Stutterheim in Dhaka (Bangladesch) unterrichtet. „Dass über die Stimmung vieles vermittelt werden kann, das über die Sprache hinaus geht, musste ich den Studenten dort erst einmal nahe bringen,“ stellt sie fest. Dokumentarfilm werde häufig wie ein journalistisches Medium begriffen. Aber Dokumentarfilm sei mehr, erzähle auch Geschichten.
Aufgewachsen in Schöneiche bei Berlin war für die Tochter einer Wäscherin nicht vorauszusehen, dass ihr Lebensweg sie einmal zum Film führen werde. „Um ein Haar hätte ich auch an der Heißmangel gestanden“, erinnert sich Stutterheim heute. Sie hatte eine Ausbildung als Industriekauffrau gemacht, um in den Betrieb der Eltern einzusteigen. Mit ihrem ersten Dokumentarfilm, schilderte die Filmerin das Leben in der Wäscherei. Das Unternehmen der Eltern wurde in den 70er Jahren in sozialistisches Staatseigentum überführt, nach der Wende musste man sich kapitalistischen Produktionsgepflogenheiten anpassen, was gelang. Die Tochter schilderte das Unternehmen als Mikrokosmos.
Dann studierte Stutterheim Theaterwissenschaften. Später promovierte sie an der Humboldt Universität über „Okkulte Hintergründe in dokumentarischen Filmen des Dritten Reiches“. Seit ihrer Promotion sei sie immer wieder mit dem Thema konfrontiert worden, zumal die faschistische Ästhetik auch heute noch relevant sei. Das NS-Drama „Napola“ beeindrucke auch gerade deshalb, weil dessen Bilder ungebrochen die Filmsprache des Faschismus wiederhole und der Hauptdarsteller Max Riemelt dem vermeintlichen Erscheinungsbild des blonden Ariers entspreche. „Affekte müssen gebrochen werden, nur so kann eine kritische Auseinandersetzung stattfinden“, konstatiert die Mediendramaturgin. „Napola“ allerdings schwelge geradezu in einer den Zuschauer überwältigenden Bildsprache.
In ihren eigenen Filmen zeigt Stutterheim dem Zuschauer mit langen Kamerafahrten und poetischen Bildern die Schönheit im Alltäglichen. Zwischen Küchenreiben und dampfenden Kochtöpfen erklärt der Künstler Ilya Kabakov in dem Film „Fliegen und Engel“, wie sich der Sozialismus als grauer, erdrückender Schleier über das Leben in der Sowjetunion gelegt habe. Stutterheim begleitet Kabakov beim Aufbau einer Ausstellung und lässt sich viel Zeit, die Stimmung einzufangen, aus der heraus die Werke des Künstlers entstehen. Das ist ein Charakteristikum ihrer Filme. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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