Landeshauptstadt: Die „Stange“ kehrt zurück Schluss mit dem Tempaccio
Potsdamer Traditionsbier wird ab heute im Forsthaus Templin ausgeschenkt Nicht-Sommer hat Potsdams Italienern nicht nur das Geschäft verregnet – es leidet auch ihr Seelenheil
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Potsdamer Traditionsbier wird ab heute im Forsthaus Templin ausgeschenkt Nicht-Sommer hat Potsdams Italienern nicht nur das Geschäft verregnet – es leidet auch ihr Seelenheil Von Sabine Schicketanz Heute Abend um 19 Uhr sticht am Hafenbecken der Weissen Flotte die „Charlottenhof“ in See. Sie nimmt kostenlos alle Interessenten mit, die im Forsthaus Templin den Anstich der „Potsdamer Stange“ miterleben wollen. Michael Weidner, Vorsitzender des Berliner Vereins für Brauereigeschichte, will den ersten Hahn ins Fass schlagen. Dazu spielt die Band „Whisky und Soda“. Die beiden Braumeister Jörg Kirchhoff und Thomas Köhler, die das Ausflugslokal betreiben, wollen das Traditionsbier wieder in der Stadt heimisch machen. Es war schon seit dem 18. Jahrhundert in der vom Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. eingerichteten Königsbrauerei am Brauhausberg hergestellt worden. 1829 ging diese Brauerei in den Besitz von Adelung und Hoffmann über, dann wurde sie Teil der Berliner Kindl Brauerei. Hier wurde die „Stange“ noch bis in die 30er Jahre produziert, aber auch in den Potsdamer Brauereien Senst und Franz Lamm, in den Vereinigten Werderschen Brauereien und in der Löwen-Brauerei Berlin. In der DDR-Zeit schlug der Versuch fehl, 1969 bei der Eröffnung des Interhotels eine durch ein Neuererkollektiv des VEB Getränkekombinat Potsdam entwickelte „Stange“ wieder auf den Markt zu bringen. Dabei mag auch der relativ hohe Preis von 1,28 DDR-Mark eine Rolle gespielt haben. Das stark kohlendioxidhaltige, perlende Bier, in dem ein hinein geworfenes Reiskorn „tanzen“ muss, wird von den beiden Braumeistern in einer Variation hergestellt, die spritziger und weniger bitter ist als die Vorgängersorten. Den Hopfen setzen sie nicht wie in Großbrauereien üblich als Extrakt zu, sondern beziehen ihn aus einem Anbaugebiet am Bodensee. Die Stange wird im traditionellen, mit fünf Wochen etwas länger dauernden „kalten“ Brauverfahren hergestellt, was dem Geschmack offensichtlich zugute kommt. Die üppige Schaumbildung des leicht trüben Kräusel(Jung)bieres, das die Verdauung anregt, verlangt hohe Gläser, so genannte Stangen, denen das Getränk den Namen verdankt. Kirchhoff und Köhler haben ein besonderes Glas mit der Aufschrift „Braumanufaktur Potsdamer Stange“ und der Abbildung der Abwurfstange eines Hirschgeweihes herausgebracht. Es wird zum Preis von drei Euro verkauft, der halbe Liter Bier kostet 2,90 Euro - ebenso viel wie das Pilsner und Lager, das im Forsthaus gebraut wird. Die Braumeister streben an, die „Stange“ an andere Gaststätten und Hotels zu liefern. Erste Interessenten hätten sich bereits gemeldet. Mit einer Kapazität von 4000 Litern je Sud, wie er zweimal wöchentlich angesetzt wird, reicht die Menge zur Außerhausbelieferung aus. Auch können die Gäste das Getränk in Edelstahlfässchen mit nach Hause nehmen. Kirchhoff und Köhler knobeln derzeit daran, die „Stange“ in die Flasche zu bringen. Das müsste aber, um dem starken Druck zu begegnen, eine Art Sektflasche sein. Aus alten Unterlagen wissen die Braumeister jedoch, dass es die Flaschenabfüllung für die „Potsdamer Stange“ schon einmal gab. Die Weiße Flotte will den Potsdamern den Weg zur „Stange“ erleichtern. Ihre Chefs Jan Lehmann und Jörg Winkler kündigten gestern an, dass sie den Steg nahe dem Forsthaus Templin in der nächsten Saison wieder in den Linienverkehr einbeziehen wollen. E. Hohenstein Tempaccio! Diesen Klageruf, wie oft haben sie ihn zum Himmel geschickt in den letzten Tagen, Wochen, Monaten. Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Ungläubigkeit über das gesprochen, was sich in Deutschland in diesem Jahr Sommer nennen darf. Und für das es im Italienischen nur eine Bezeichnung gibt: Tempaccio – was so viel heißt wie „kein Wetter“. Unter diese Rubrik fällt alles, was zu einem Sommer eben nicht gehört: Wolken, grauer Himmel, Regen, Temperaturen unter zwanzig Grad. Wären sie nicht mit diesem scheinbar angeborenen unverwüstlichen Optimismus ausgestattet, mit einem Frohsinn und einer Herzlichkeit, für die sie besonders die Deutschen lieben – die Italiener wären in diesem Nicht-Sommer wohl allesamt wieder ausgewandert. „Ich kann mich nicht entsinnen, dass ein Sommer hier in Deutschland schon mal so massiv schlimm war“, sagt Mario Giordano, Inhaber des „Arco“ am Nauener Tor und außerdem Betreiber des „Café im Park“ im Volkspark und einer kleinen Eisdiele in der Brandenburger Straße. „Man muss sich wirklich viel einfallen lassen, damit man nicht in eine Sommer-Depression verfällt.“ Auch angesichts der oft verheerenden Geschäftszahlen, die dieser Sommer den italienischen und sicher auch den meisten anderen Gastronomen bisher eingebracht hat. Allein im Eisverkauf werde er Umsatzeinbußen von 30 bis 50 Prozent haben, schätzt Michelangelo D“Abundo, Inhaber des Eiscafés „Dolce Vita“ in der WilhelmGalerie am Platz der Einheit. Da wird es schwierig, die insgesamt zehn Mitarbeiter durchzukriegen. „So viel Regen wie am Donnerstag ist grausam“, sagt D“Abundo, der ursprünglich von der sonnigen Insel Ischia kommt. Doch die Sonne fehlt nicht nur dem Geschäft. Sie fehlt den Italienern auch für ihren Seelenfrieden. „Gestern war der schlimmste Tag“, sagt Giuseppe Riolo – den meisten bekannt als liebevoller Gastgeber und Koch im kleinen, seinen eigenen Spitznamen tragenden Restaurant „Pino“ – und meint damit den in tropischen Güssen abgesoffenen Donnerstag. Da gehe man ja nervlich kaputt, sagt er, und meint es natürlich nicht ganz so ernst. Doch auch er muss sich anstrengend, damit seine Restaurant-Crew nicht depressiv wird angesichts des Grau in Grau. Schließlich sollen seine Gäste den Nicht-Sommer vergessen, stattdessen „bei einem schönen Wein an schöne Abende in der Toscana denken“. Und selbst wenn die Sonne stur ist – ein spezielles Sommergericht hat Giuseppe „Pino“ Riolo trotzdem kreiert: Gegrillter Thunfisch an Minze auf Fenchel-Orangen-Salat. Mario Giordanos Rezept gegen die Tristesse, die glücklicherweise gerade ein wenig Pause macht, hat vor allem mit Schönheit zu tun. „Ich versuche ganz bewusst, schöne Dinge um mich zu scharen.“ Tanzen gehen, Blumen in die Vase stellen, Feste feiern, gut essen, das sind seine Trotzreaktionen. Und als Gastronom weiß er natürlich, dass ein mit schweren Speisen gefüllter Magen träge macht – dabei wäre Aktivismus doch so gut, um die schlechte Stimmung davon zu jagen. „Pikante Gerichte essen, das regt an. Und Alkohol nur in Maßen, auch für den Kreislauf“, sind Giordanos sommerliche Geheimtipps. Vom Anti-Depressions-Aktionismus des gebürtigen Neapolitaners können übrigens alle Potsdamer profitieren: Heute Abend steigt im am „Café im Park“ ein großes Salsa-Fest, am 8. August wird am Nauener Tor ein Jazz-Fest mit der Freien Musikschule Potsdam steigen. Und warum haben die Italiener gestern, bei Sonnenschein und fast dreißig Grad, wieder Stoßgebete zum Himmel geschickt? Natürlich damit ist er genauso bleibt, der Sommer. „Dieses Wetter ist optimal“, sagt D“Abundo vom „Dolce Vita“. Giordano vom Nauener Tor lehnt sich zurück, schließt die Augen, genießt die Wärme. Und „Pino“ Riolo ist froh, sich heute einmal nicht versichern zu müssen, dass Potsdam auch bei Regen die italienischste Stadt Deutschlands ist.
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