DIE STORY: Die Stimme des Todes
Jetzt ist die letzte Klappe gefallen: Im Studio Babelsberg wurde seit März Markus Zusaks Bestsellerroman „Die Bücherdiebin“ verfilmt. Die PNN waren einen Tag lang am Set dabei
Stand:
Mitte März war Drehstart in Babelsberg, jetzt ist die letzte Klappe gefallen: Die Verfilmung des Bestsellerromans „The Book Thief“ – deutscher Titel: Die Bücherdiebin – ist im Kasten. Fast drei Monate lang standen Geoffrey Rush („The Kings Speech“), Emily Watson („Breaking The Waves“) und die 13-Jährige kanadische Nachwuchsschausspielerin Sophie Nélisse („Monsieur Lazhar“) in der Titelrolle vor der Kamera von Regisseur Brian Percival. Die PNN konnten Anfang April einen Tag am Set im Studio Babelsberg dabei sein.
Schon die ersten Sätze hätten ihn umgehauen. Geoffrey Rush hat das Buch von der Couch geholt und biegt es jetzt nachdenklich in den Händen, ein zerlesenes Taschenbuchexemplar mit etlichen eingeklebten gelben Notizzetteln. Es ist Nachmittag an einem ganz normalen Arbeitstag im Studio Babelsberg, wo der australische Schauspieler und Oscarpreisträger („The Kings Speech“) für die Literaturverfilmung „The Book Thief“ – Die Bücherdiebin – vor der Kamera steht. Von der Kälte des viel zu frostigen Apriltages draußen ist in der Mini-Sitzecke in Rushs Trailer – ein geräumiger Wohnwagen, wie ihn die wichtigsten Beteiligten der Produktion zum Rückzug haben – nichts zu spüren.
Auf dem Außenset „Berliner Straße“ dagegen tragen manche Handwerker und Filmleute sogar Skihosen. Die berühmte Babelsberger Außenkulisse, die auf ihren 15. Geburtstag zugeht, wurde für den Film erheblich ausgebaut. Statt eines Straßenzugs gibt es nun zwei – die „neue“ Himmelstraße, die mit Hakenkreuzflaggen bestückt ist, ist ein kleinstädtisches Ensemble mit zweigeschossigen Häusern, gebaut mit Liebe zum Detail: In der Nummer 33 wohnt Familie Hubermann.
Es ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte nach dem Roman von Markus Zusak. Hier, bei der ruppigen Rosa und dem gutherzigen Hans Hubermann, findet die neunjährige Liesel Meminger ein Zuhause, nachdem sie ihren Vater und den jüngeren Bruder verloren hat. In einer fiktiven Kleinstadt bei München erlebt die Bücherdiebin Hitlerdeutschland mit all seinen alltäglichen Abgründen.
Wenn im Roman der Tod als Erzähler das Wort erhebt, falle man regelrecht hinein in die Geschichte um das unerschrockene Mädchen, sagt Rush, der den Pflegevater Hubermann spielt. Er schlägt das Buch auf und rezitiert mit seiner knarrenden Stimme die ersten Sätze: „Zuerst die Farben. Dann die Menschen. So sehe ich die Welt normalerweise. Ich versuche es zumindest.“
In der Studiostraße herrscht Geschäftigkeit. Rund 250 Leute sind vor Ort für den Film beschäftigt, sagt Eike Wolf, der Sprecher von Studio Babelsberg, das den Film der US-amerikanischen Fox 2000 Pictures koproduziert. Gedreht wird nicht nur auf dem Studiogelände: Die Crew war auch schon auf dem Untermarkt in Görlitz, im Schloss Marquardt und im Bahnhofsgebäude von Werder/Havel. Für die Traditionsfilmstudios ist es eine von derzeit drei hochkarätigen US-Produktionen in diesem Frühling – bekanntlich dreht auch George Clooney seinen Weltkriegsthriller „Monuments Men“, Wes Anderson wiederum hat für „The Grand Budapest Hotel“ ein Staraufgebot nach Babelsberg gebracht.
Einige seiner Hollywood-Kollegen hat Geoffrey Rush in den vergangenen Wochen schon getroffen, wie er amüsiert erzählt: Landsmännin Cate Blanchett etwa, mit der ihn seit beinahe 20 Jahren eine Freundschaft verbinde, Christoph Waltz oder Ralph Fiennes. Auch sonst genießt der Schauspieler den Aufenthalt in Berlin, wo er sich seit der Berlinale im Februar einquartiert hat. Rush schwärmt von einem Konzert der Berliner Philharmoniker, einer Tannhäuser-Inszenierung, dem „Hamlet“ an der Schaubühne. Von Potsdam hat er bisher noch nicht viel gesehen. „Man hat mir erzählt, dass das während der preußischen Zeiten eine Art Versailles war“, sagt Rush.
Mit Studio Babelsberg kennt der 61-Jährige sich besser aus: „Es ist erstaunlich, dass die Leute nicht viel mehr über die Geschichte der Studios erzählen“, findet er. Schon während seines Studiums in Paris habe er in der Cinemathek die Filme gesehen, die hier gedreht wurden: Murnau, Lang oder Papst, zählt er die Regisseure einiger Babelsberg-Klassiker auf.
Dass er mit der „Bücherdiebin“ in Deutschland drehen könne, sei „ziemlich cool“: „Für uns Darsteller hat das eine große Authentizität.“ Nicht nur wegen der deutschen Kollegen – neben Heike Makatsch spielt unter anderem Rainer Bock („Das weisse Band“) mit, als Liesels bester Freund Rudi steht Nico Liersch („Kokowääh 2“) vor der Kamera. „Hier ist das Land, in dem diese Geschichte passiert ist“, sagt Rush. Die kleinstädtische Perspektive, aus der Hitlerdeutschland gezeigt wird, bringe ihn immer wieder zum Nachdenken: Wie hätte man sich selbst damals verhalten?
Auch Regisseur Brian Percival war vom Drehbuch gleich berührt: „Es zeigt Hitlerdeutschland sehr anders als andere Hollywood-Produktionen“, findet der Brite. Für ihn erzählt der Film von „normalen Charakteren unter außerordentlichen Umständen“.
Es geht etwa um den Anstreicher und Akkordeonspieler Hans Hubermann, den Rush spielt: Als „sehr stillen, relativ einfachen Mann mit einer starken emotionalen Intelligenz“ beschreibt der Schauspieler die Rolle. Weil er sich nicht nur warmherzig seiner Pflegetochter annimmt und ihr das Lesen beibringt, sondern schließlich auch einem Juden hilft, sich vor den Nazis zu verstecken, ist er für ihn auch ein „Hans Superman“. Obwohl in englischer Sprache gedreht wird, arbeiteten die Schauspieler intensiv an ihrem „deutschen“ Akzent, berichtet Regisseur Brian Percival. Immer wieder sind auch deutsche Worte in den Dialog eingeflochten.
„See you, Saumensch!“ In der Himmelstraße fällt wieder eine Klappe. Filmleute mit Wasserschläuchen präparieren das Straßenpflaster für die nächsten Aufnahmen. In der Parallelstraße wird noch gemalert und gezimmert, eine Hausfassade verwandelt sich in ein Weingeschäft, ein anderes bekommt Keramikfliesen angeklebt. In einem leidlich beheizten Zelt hat Hauptdarstellerin Sophie Nélisse ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch: Die Kanadierin, die erst vor wenigen Tagen 13 Jahre alt geworden ist und von Kollege Geoffrey Rush ein Filmpaket geschenkt bekam, trägt noch ihr Kostüm – die senfgelbe Jacke und den knielangen schwarzen Rock der Hitlerjugend. Sie spricht mit großer Begeisterung von den Dreharbeiten. Es mache Spaß, die Liesel zu spielen: „Sie ist eine Kämpferin – wie ich“, sagt die Schauspielerin und klingt dabei ganz selbstverständlich. Von der Ausstrahlung der 13-Jährigen zeigt sich auch Geoffrey Rush beeindruckt: „Sie spielt sehr wahrhaftig und tiefgründig, aber auch spielerisch.“
Eine andere zentrale Besetzungsfrage ist dagegen auch nach Drehstart noch ungeklärt: Wer den Tod im fertigen Film sprechen wird, weiß Regisseur Brian Percival zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es müsse auf jeden Fall eine ganz eigene Stimme sein, mit der niemand ein bekanntes Gesicht verknüpfe, meint er. Geoffrey Rush biegt das Buch wieder in seinen Händen. Auch er hat da eine Idee: „Man sollte den besten isländischen Schauspieler verpflichten.“ Wie sich Regisseur Brian Percival letztendlich entscheidet, wird das deutsche Kinopublikum spätestens beim Filmstart am 13. Februar 2014 erleben.
Der Brite Brian Percival (Bild oben) bringt mit „Book Thief“ den gleichnamigen Roman des Australiers Markus Zusak auf die Leinwand. Erzählt wird die Geschichte des neunjährigen Mädchens Liesel Meminger – gespielt von Sophie Nélisse (Mitte), die ihren Bruder und den Vater verliert und bei einer Pflegefamilie, den einfachen Hubermanns, unterkommt. Liesels Pflegevater – gespielt von Geoffrey Rush (Bild unten) – bringt ihr nicht nur das Lesen bei, sondern hilft ihr auch, im Alltag Hitlerdeutschlands zu überleben, ohne die eigenen Ideale zu verraten. jaha
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: