DIE BIRNE: Die Suche nach Ribbecks „wahrer“ Birne Göttergabe, Landschaftszierde und Sommerobst
Im Havelland werden Birnbäume gezüchtet, die aus Fontanes Gedicht stammen könnten
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Ribbeck/Nauen - Unscheinbar stehen sie in einer Nauener Baumschule in drei Reihen. Auffällig sind an den zwei Meter hohen und dünnen Obstbäumen allein die leuchtend blauen Namensschilder.
„Blutbirne“, „Römische Schmalzbirne“ oder „Petersbirne“ deuten auf eine jahrelange Spurensuche hin, die bei Theodor Fontanes (1819-1898) bekanntem Birnengedicht von 1889 ihren Anfang nahm. „Mit größter Wahrscheinlichkeit sind das die Birnen, die Gutsherr von Ribbeck Mitte des 17. Jahrhundert an die Dorfkinder verschenkt hat“, sagt Pomologe Artur Steinhauser.
Als der gelernte Forstwirt und Obstbaum-Spezialist nach der Wende durch das Bayrische Umweltministerium als Berater nach Brandenburg kam, besuchte er auch Ribbeck im Havelland. „Der Birnenbaum vor der Kirche war alles andere als ein Original“, sagt Steinhauser. Nach jahrelangem Literaturstudium zu etwa 5000 Birnensorten filterte er acht mögliche Spezies heraus, die Hans-Georg von Ribbeck (1689-1759) in seinem Garten gehabt haben könnte.
Ableger dieser Sorten fand Steinhauser unter anderem im brandenburgischen Landessortengarten in Müncheberg. Referatsleiter und Obstbauer Hilmar Schwaerzel ist dort seit 30 Jahren uralten Obstgehölzen auf der Spur. In der freien Landschaft oder Alt-Berliner Gärten hat er Raritäten wie die „Römische Schmalzbirne“ ausfindig gemacht. Zweige davon pfropfte Steinhauser mit anderen Arten auf Wurzelstöcke von krankheitsresistenten Birnen und klonte die über 200 Bäume für die Nauener Baumschule. „Man wird jedoch leider nie mit Absolutheit sagen können, dass das die wahren Ribbeck-Birnen sind“, sagt Baumschulen-Inhaber Immo Hobohm.
Mit einer Kostprobe der ersten Früchte könne man jedoch einige Restzweifel ausräumen, glaubt Steinhauser. Aussehen und Geschmack der „Melanchtonsbirne“, so der sächsische Name der „Römischen Schmalzbirne“, wurden bereits 1560 als „auf der einen Seite rot, auf der andern gelb gesprenkelt, saftig und überaus wohlschmeckend“ beschrieben (Quelle: Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 412). Obwohl Birnenbäume normalerweise erst nach Jahrzehnten Früchte bringen, sollen die Jungbäume 2010 erstmals tragen, um die Arten näher bestimmen zu können.
Friedrich Carl von Ribbeck, Nachkomme des legendären Gutsherren, hat unterdessen mit der Vermarktung der neuen „Ribbeck''schen Birnen“ für 95 Euro pro Baum begonnen. Kürzlich pflanzte er ein Exemplar gemeinsam mit Bürgern der niederbayrischen Gemeinde Mitterskirchen im Landkreis Rottal-Inn. Auch in Sinsheim sind die Birnen gefragt, so von Ribbeck. Selbst vor der von seiner Familie sanierten alten Gutsbrennerei in Ribbeck stehen bereits die neuen Bäumchen.
In den vergangenen Jahren ist in Ribbeck ein wahrer Birnen-Boom ausgebrochen. Vor der Kirche wurde 2006 ein Birnenhain angelegt. Vor dem Ribbecker Schloss entsteht ein „Deutscher Birnengarten“.
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) pflanzte dort 2008 den ersten Baum. Die anderen Bundesländer sollen jeweils weitere Exemplare stiften. Die ersten sind bereits eingetroffen.
Die Birnenforscher beobachten das mit Entsetzen. „Die gepflanzten Sorten entstanden um 1860 und haben mit dem Birnenspender nichts zu tun“, sagt Steinhauser. „Das ist, als würde man Friedrich II., einen Zeitgenosse unseres ''Birnen-Ribbeck'', auf seinen Standbildern mit Eierhandgranate und Kalaschnikow aufrüsten.“ Hilmar Schwaerzel sieht die Pflanzungen aus dem Blickwinkel der Erhaltung der Artenvielfalt: „Wer dort solche Sorten etabliert, pflanzt Infektionsträger in die Landschaft“.
Die Politik hingegen versteht die Entrüstung nicht. „Es geht uns um einen symbolischen Akt“, sagt Landratssprecher Erik Nagel vom Landkreis Havelland. Fontanes Legende sei das einzige deutsche Gedicht, das ganz Deutschland mit einem bestimmten Ort verbinde. „Mit dem Birnengarten wollen wir umgekehrt ganz Deutschland nach Ribbeck holen.“ Die Früchte des Gartens sollen kostenlos an Kindereinrichtungen gehen.
Bereits vor 3000 Jahren erwähnte der antike Dichter Homer die Birnenfrucht. 1000 Jahre später beschrieb der römische Schriftsteller Plinius der Jüngere (zirka 61-113) bereits 35 Arten.
Heute sind etwa 5000 Spezies bekannt. In Europa werden hauptsächlich vier Sorten genutzt, sagt Pomologe Artur Steinhauser. Dazu gehören die bekannten Sorten Abate Fetel und Williams Christ.
Mehr als 200 Sorten sind vor mehreren Hundert Jahren bei einem meteorologischen Phänomen, der „Kleinen Eiszeit“, eingegangen. Diese Kaltwetter-Periode dauerte vom 15. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts.
Besonders kalt war es zu Hans-Georg von Ribbecks Zeiten zwischen 1675 und 1715. Nur besonders klimaresistente Birnensorten haben die Frostperiode überlebt. Zu den Spezies, die Gutsherr Ribbeck in seinem Obstgarten gehabt haben könnte, gehören die Römische Schmalzbirne, die Petersbirne, die Blut-Birne, die Sommereier-Birne, die Lübecker Prinzessin-Birne, die Kleine Muskateller-Birne.
Die Typen Kleine Peters-Birne und Schmalzbirne waren zu dieser Zeit oft in der freien Landschaft zu finden.
Die Birne stammt ursprünglich aus Asien und wuchs unter anderem entlang der Handelsstraßen. Sie wurde anfangs durch Tierkot verbreitet. Über die großen Karawanenstraßen wie die Seidenstraße gelangte die Birne nach Europa.
Die „Römische Schmalzbirne“ kam dann über Griechenland nach Rom und zur römischen Kaiserzeit mit den Legionären über die Alpen bis nach Deutschland.
Die „Melanchthonsbirne“ erhielt ihren Namen vor 1560, nachdem der Theologe Philipp Melanchthon (1497-1560) auf seiner Reise zu Kurfürst August von Sachsen (1526-1586) im Garten des Pfarrers von Zessen (Zöschen) nahe Leipzig rastete und erstmals die Birnen kostete. Er war begeistert, brachte August ein paar Exemplare mit, der sie auch einem Kurfürsten von Brandenburg vorstellte. ddp
Beatrice George
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