Von Peer Straube: Die Traumwelt eines Spätberufenen
Hans-Joachim Oberländer arbeitet seit 20 Jahren beim Wachschutz. Jetzt ist er auch noch Schriftsteller
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Am Stern - Anders sieht Frank Schätzings Arbeitsplatz vermutlich auch nicht aus. Ein Laptop, daneben liegen handgeschriebene Seiten. Nun ja, mag sein, dass das Zettelwirrwarr beim „Schwarm“-Autor ein bisschen größer ist als bei Hans- Joachim Oberländer.
Aber Oberländer schreibt ja auch keine komplexen 1000-Seiten-Wälzer über Klimakatastrophen und Weltuntergänge. Nein, Oberländer, 61 Jahre alt, schreibt Fantasy-Geschichten für Kinder und Erwachsene. Und das tut er in seiner Zwei-Zimmer-Plattenbauwohnung Am Stern.
„Der Nebelfächer“ heißt sein erstes Buch, das erst vor wenigen Wochen erschienen ist. Es geht um zwei Kinder, es geht um eine Zeitreise ins Mittelalter, um Drachen und andere Fabelwesen. Ein Schelm, wer da an „Harry Potter“ oder den „Herrn der Ringe“ denkt. Doch Oberländer hat weder in Joanne K. Rowlings noch in J. R. R. Tolkiens Universum gewildert. Er hat weder ihre Bücher gelesen, noch die Filme gesehen. Der Wachschutz-Mitarbeiter erschafft seine eigene Traumwelt.
Dass es überhaupt dazu kam, hat er seiner jüngsten Enkelin zu verdanken. „Wir waren im Zoo, Finia saß auf meinen Schultern und spielte in meinem Haar herum“, erinnert sich Oberländer. „Und plötzlich ist irgendetwas in mir explodiert.“ Seine Eltern, seine fünf Geschwister, seine Großeltern – sie alle haben ihm nie so stark dieses Gefühl gegeben, geliebt zu werden, wie dieses kleine Mädchen. Er entschloss sich, ein Buch zu schreiben, sich nicht mehr nach den Wünschen anderer zu richten. „Jahrelang habe ich gemacht, was mir andere gesagt haben.“
Für seinen Werdegang sollte diese Haltung Konsequenzen haben. Geboren und aufgewachsen in Groß Glienicke, wollte Oberländer eigentlich Brückenbau studieren. Sein Vater entschied anders. Der Junge absolvierte eine Lehre als Betonfacharbeiter, dann ging er zur Armee. Drei Jahre – weil sein Vater es wollte. Aus drei Jahren wurden 20 – als Grenzsoldat der Staatssicherheit stempelte Oberländer am Kontrollpunkt Dreilinden täglich Hunderte Reisepässe ab. „Ich habe nie jemandes Post geöffnet, keine Telefone abgehört und keinen bespitzelt“, sagt er. Auch die Stasi habe nicht nur aus Leuten bestanden, die andere ausspionierten. „Es gab da Kfz-Mechaniker und Putzfrauen.“ Für Oberländer war es ein Job wie jeder andere. Er sieht sich als klassischen Mitläufer. Als es mit der DDR zu Ende ging, begannen sich Oberländers Augen zu öffnen. Er verließ die SED.
Wie viele Mitarbeiter der Staatssicherheit bekam er einen Job bei einem Berliner Wachschutzunternehmen. Dort arbeitet er bis heute. Und dort begann er auch, sich wieder mit dem Schreiben zu befassen. Gedichte zunächst, so wie in der Jugend schon einmal.
Doch es war die Initialzündung durch seine Enkelin, die ihn zum Buchautor werden ließ. Beim Semikolon-Verlag in Berlin war man vom „Nebelfächer“ begeistert – trotzdem musste Oberländer einen Teil als Produktionskostenzuschuss selbst finanzieren. Erst wenn 3000 Exemplare verkauft sind, beginnt er, auch etwas daran zu verdienen.
Derzeit schreibt Oberländer schon an der Fortsetzung, die den Arbeitstitel „Sieben Steine“ trägt. Der Held will darin zurück ins Mittelalter – was er auch schafft, erzählt der Autor. Die letzten drei Seiten sind schon fertig. Mit dem Schluss hat Oberländer auch beim „Nebelfächer“ angefangen. „Der Held hat noch etwas vor“, sagt Oberländer. Der Autor auch. Einen dritten Teil. Und einen Gedichtband würde er gern noch herausbringen. Sein Verleger hat die Verse schon gelesen. „Er hat mir gesagt“, erzählt Oberländer stolz, „dass da echte Pralinen dabei sind.“
Der 61-Jährige macht einen zufriedenen Eindruck, wie jemand, der seinen Platz im Leben gefunden hat. Seine Frau, seine beiden Kinder, seine drei Enkel – sie sind der Quell seiner Inspiration. Die vielen Familienfotos auf den Schränken zeugen davon. Und er hört zu, wenn Menschen erzählen. „Aus jedem Wort“, meint der spätberufene Schriftsteller, „kann man eine Geschichte machen“.
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