Landeshauptstadt: „Die Wege haben sich getrennt“
Studiochef Carl L Woebcken über Babelsberger Traditionen und das Filmemachen heute
Stand:
Herr Woebcken, Studio Babelsberg wird am Sonntag 100 Jahre alt. Sie sind seit acht Jahren Chef des ältesten Großatelier-Filmstudios der Welt. Wie erleben Sie das Jubiläum?
Zurzeit dreht sich alles nur um 100 Jahre Babelsberg. So intensiv habe ich es ehrlich gesagt nicht erwartet. Uns ist erst im Laufe des vergangenen Jahres richtig bewusst geworden, was dieses Ereignis für eine große Tragweite hat.
In der Marlene-Dietrich-Halle liegen noch die alten Holzdielen aus der Gründungszeit. Ist die Geschichte des Studios immer greifbar, präsent?
Natürlich sind vor allem die alten, denkmalgeschützten Gebäude ein sichtbarer Teil der Historie von Babelsberg. Um die Patina und die Tradition des Ortes zu kultivieren, haben wir tatsächlich die Zwischengänge in der Marlene-Dietrich-Halle teilweise nicht mit neuem Studioboden ausgestattet, sondern mit Absicht den alten Holzboden liegen lassen. Auch einige andere Requisiten, so möchte ich sie fast nennen, haben wir bewusst erhalten. Zum Beispiel alte elektrische Schalter oder Sicherungsanlagen. Doch im Defa-Fundus sieht man die Geschichte vielleicht am deutlichsten.
Dort lagern 250 000 Kostüme und mehr als eine Million Requisiten. Aber heißt er wirklich noch Defa-Fundus?
Nein, aber so wird er liebevoll in der Branche bezeichnet. Denn er ist über die letzten 60 Jahre vor allem in der Babelsberger Defa-Zeit entstanden. Mit einigen Spezialgebieten lässt er sich hervorragend am Markt platzieren. Allerdings ist der Fundus ein sehr schwieriges Geschäft mit minimalen Margen, denn die meisten Gegenstände werden nur einmal im Jahr oder sogar nur alle zwei oder drei Jahre vermietet. Deshalb kommt es darauf an, möglichst niedrige Lagerkosten zu haben.
Da hat Studio Babelsberg bekanntlich ein Problem, denn die Fundus-Gebäude stehen nicht auf Ihrem Grund und Boden.
Ja. Die Gebäude gehören dem Filmpark, wir können sie nur noch bis Ende dieses Jahres nutzen. Eine günstige Nachfolgelösung für diesen Traditionsbereich haben wir noch nicht gefunden. Wir sind aber zuversichtlich und hoffnungsvoll, dass wir das hinkriegen.
Sie denken also nicht daran, den Fundus abzuschaffen oder zu verkaufen?
Wir führen seit mehreren Jahren mit verschiedenen Kooperationspartnern Gespräche, und daraus wird sich vielleicht eine Lösung ergeben. Teilweise sind die Kooperationspartner Mitbewerber aus der Region. Insofern würde es dann eher zu einer Konzentration des Angebots kommen als zu einer Aufgabe des Bereiches.
In diesem Detail spiegelt sich ein wenig die Babelsberger Gratwanderung wieder: Da sind auf der einen Seite der Mythos, die Historie, und auf der anderen das internationale Filmbusiness, das lange nicht mehr so funktioniert wie früher.
Zu Defa-Zeiten war Babelsberg ein Staatsbetrieb, und auch in der Zeit von 1933 bis 1945 war das Studio teilweise verstaatlicht. Wenn man das Früher mit heute vergleichen will, müsste man in die 1910er, 1920er Jahre zurückgehen, in denen die Ufa die Rechte an den hier produzierten Filmen besessen und auch eigene Kinos betrieben hat. Damals war die Ufa ein voll integrierter Studiokonzern, wie sie heute fast nur noch in den USA existieren. Ansonsten sind diese Zeiten vorbei.
Heute ist Studio Babelsberg vor allem ein Produktionsdienstleister.
Die Wege haben sich getrennt. Die UFA ist heute der größte Fernsehproduzent in Deutschland. Sie kann an jedem Standort produzieren, während wir ja nicht reisen können mit dem Studio. Wir können uns nur mit Produzenten zusammentun, mit denen wir gemeinsam Filme produzieren, die auch bei uns gedreht werden. Da stehen wir im Wettbewerb mit anderen Produktionsdienstleistern in Europa und kriegen immer nur einen Teil des Ganzen ab. In der Immobilienwirtschaft würde man sagen, wir sind eine Art Baufirma, ein „Generalübernehmer“, der die komplette Verantwortung übernimmt für alles, was erforderlich ist, um ein großes Haus zu bauen – oder in unserem Fall den Film in die Kamera zu kriegen. Da sind wir dann in derselben Lage wie ein Automobilzulieferer: Wir sind ein Zahnrad in einem Getriebe, das aber auch nur funktioniert, wenn es regelmäßig mit einer Standortförderung geschmiert wird.
Seit Sie und Ihr Partner Christoph Fisser 2004 Studio Babelsberg übernommen haben, gab es nur zwei, drei wirklich gute Jahre. Die anderen waren wirtschaftlich eher schwierig, das Studio ist „mit einem blauen Auge davongekommen“, wie Sie selbst sagen. Kann es auf Dauer funktionieren, das Zahnrad zu sein, das auf die Standortförderung angewiesen ist?
Die Frage ist absolut berechtigt: Wie überlebensfähig ist man als Produktionsstandort in Deutschland, wenn die Förder- und die Rahmenbedingungen nicht wettbewerbsfähig sind? England und Ungarn – das sind die wichtigsten Länder in Europa, mit denen wir im Wettbewerb stehen – sind uns klar überlegen. Und es ist offensichtlich in Deutschland auch nicht der politische Wille, Wettbewerbsfähigkeit in den europäischen Fördersystemen herzustellen.
Was müsste dafür geschehen?
Der Deutsche Filmförderfonds DFFF, der jetzt 60 Millionen Euro pro Jahr umfasst, müsste erhöht werden. Außerdem müsste die Fördergrenze von zehn Millionen Euro pro Film – was bei einer Produktion mit einem Budget von 100 Millionen Euro nicht viel ist – abgeschafft werden. Dann würden wir mehr sehr große Produktionen, echte Blockbuster, für den Standort Babelsberg interessieren können. Die Erhöhung des DFFF ist notwendig, weil wir in einem Teufelskreis stecken: Der DFFF hat erreicht, dass viel mehr Produktionsoutput in Deutschland da ist. Doch er ist nach sechs Monaten ausgereizt – mit dem Effekt, dass nur das erste Halbjahr gut ist und das zweite schlecht, weil dann das Geld alle ist. Damit hat man auch nichts gewonnen.
Gibt es Überlegungen, Babelsberg angesichts dieser Abhängigkeit vom staatlichen Geld anders aufzustellen – vielleicht als Filmstudiokonzern nach US-amerikanischer Art?
Das werden wir, glaube ich, nicht machen, denn dafür müssten wir einen Vertrieb aufbauen. Und da gibt es selbst innerhalb Deutschlands schon sehr viel Wettbewerb und ein festgeprägtes Marktgefüge, in das wir nicht einbrechen würden.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Studio Babelsberg besser auszulasten und unabhängiger vom Fördergeld zu machen?
Wir versuchen jetzt, durch Koproduktion oder Kooperation mit England und Frankreich bei größeren Filmen zu einer besseren und einheitlicheren Auslastung zu kommen. Ziel ist, Produktionen einen Dreh in Deutschland anzubieten, für den sie hier Förderung bekommen, und die Vertonung und Bildbearbeitung – also die Postproduktion – zum Beispiel in England machen und fördern zu lassen. Wenn wir das hinbekommen, bestehen wir in Europa auch gegenüber Kanada im Wettbewerb. Dort bekommt man die Förderung immer da, wo man arbeitet.
Welche Hürden gibt es für das England-Modell?
Es gibt verschiedene Regularien. Die größte Hürde ist der Kulturtest in beiden Ländern, der den sogenannten kulturellen Zweck der Förderung nachweisen soll. Den muss man sowohl in England als auch in Deutschland erst einmal bestehen, bevor man die Fördermittel beantragen kann. Außerdem können in Deutschland, anders als in England, nur Produzenten die Fördermittel beantragen. Studio Babelsberg hat nur rund zehn Prozent Wertschöpfung, das bei einer Kinoproduktion vor Ort ausgegeben wird. Der Rest geht an andere Unternehmen, die meisten regional, und an die freischaffenden Filmleute. Aber glücklicherweise haben wir noch ein bisschen Zeit, neue Wege auszuprobieren, denn der Deutsche Filmförderfonds ist bis Ende 2012 verlängert worden.
Unbelastet und ohne Sorge feiern Sie das Babelsberg-Jubiläum also nicht?
Wir freuen uns darauf, es wird ein tolles Jubiläum. Die Feierlichkeiten geben uns einen Schub, die große Aufmerksamkeit ist für Studio Babelsberg sehr positiv. Aber da die Auftragsbücher für den Sommer noch nicht voll sind, haben wir natürlich auch gemischte Gefühle. Wir müssen schauen, wie wir die Mäuler stopfen, und da ist das Hemd näher als der Frack, als den ich den Geburtstag hier einmal bezeichnen will. Das Hemd, das ist das Drehen von Filmen. Da versuchen wir zurzeit, zwei, drei größere Projekte nach Babelsberg zu holen. Wenn die dann drin sind, bin ich auch wieder ganz entspannt - zumindest für ein halbes Jahr.
Das Interview führte S. Schicketanz
Carl L. Woebcken, genannt „Charlie“, ist Vorstandschef der Studio Babelsberg AG. Der 1956 Geborene studierte Maschinenbau und arbeitete zuvor als Unternehmensberater und -sanierer.
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