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Landeshauptstadt: Die Welt nebenan

Drewitz ist der Wahlkreis von Sven Petke: Ein Besuch in der Grundschule, der Oase im Stadtteil

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Drewitz - Seit zehn Jahren hat Elvira Eichelbaum die gleiche Bitte an die Stadtverwaltung: Die Toiletten der Grundschule müssten dringend neu gemacht werden. Seit zehn Jahren bekommt sie die gleiche Antwort: Nein. Inzwischen sind die Türen größtenteils nicht mehr verschließbar, es riecht unangenehm, es ist hässlich und einige Eltern haben ihre Kinder bereits dazu erzogen, diese Toiletten nur im wirklich absoluten Notfall zu benutzen. „So etwas gibt“s nur bei unseren Kindern. Nicht im Stadthaus oder im Theater“, sagte Sven Petke gestern bei einer Reise durch seinen Wahlkreis. Ein erstes Aufwärmprogramm für den Kommunalwahlkampf im nächsten Herbst, um die Stimmung in seinem Wahlkreis Stern, Drewitz und Kirchsteigfeld einzufangen – und die ist nicht überall gut.

Der smarte Landespolitiker hat sich bewusst die Grundschule Am Priesterweg angeschaut. Denn groß waren die Rufe aus der Schule, dass in Drewitz nicht mehr alles so ist, wie es sein sollte. Im Stadtteil mit der höchsten Arbeitslosigkeit in Potsdam, mit der höchsten Kinderarmut in der Landeshauptstadt. „Polizei und Schulen bekommen Entwicklungen eher mit als andere“, sagte Petke.

Was Elvira Eichelbaum dem CDU-Ortschef Drewitz erklärte, ist auch besorgniserregend. Schüler, deren Eltern sich keine Schultüten und Ranzen leisten können. Eltern, die aktiv und engagiert sind, aber alles was Geld kostet ihren Kindern nicht bieten können. So sei es in diesem Jahr wieder vorgekommen, dass ein Junge nicht zur Einschulung da war und am ersten Schultag ohne Mappe, Federtasche und Schultüte vor dem Klassenraum stand. Oder ein Schüler der 2. Klasse, der als überaus begabt gilt, deren Eltern aber minderbemittelt sind und ihm erst mit sieben Jahren erstmals ein Bett haben kaufen können. Der wochenlang vom Unterricht ferngeblieben ist, weil seine Mutter krank war und er bei Bekannten unterkommen musste. Schicksale, die Elvira Eichelbaum zu Herzen gehen. Sie hat es sich als Schulleiterin zur Lebensaufgabe gemacht, allen Kindern zu helfen.

Persönlich geht sie zu Eltern nach Hause, von denen sie lange nichts gehört hat. Und die Klassenlehrerinnen machen bereits vor der Einschulung wieder Hausbesuche, um ein Bild von den Lebensverhältnissen zu bekommen und um die Eltern von Beginn an einzubinden. Auch, damit nicht wieder solche Dinge passieren wie in dieser Woche. Eltern haben die Schulbücher für ihre Kinder bestellt, konnten sie als Hartz-IV-Empfänger aber nicht bezahlen. Der Schulbuchverlag hat die Bücher nun kistenweise wieder abgeholt, inzwischen werden die Nachbestellungen über das Sozialamt organisiert.

Vor einigen Jahren hat es in Drewitz noch einen Bürgerverein gegeben, doch die Fluktuation und die beharrliche Ignoranz gegenüber dem letzten Plattenbaugebiet der DDR haben zu einer Situation geführt, die Kommunalpolitiker inzwischen als besorgniserregend bezeichnen. Petke sagt, Drewitz galt jahrelang als jung, die Investitionen flossen daher in andere Gebiete wie Schlaatz, Stern und Waldstadt: „Man hat nicht gemerkt, wie sich der Stadtteil verändert“. Auch Rainer Baatz vom Stadtkontor sieht die Situation als Schieflage an. Hoffnungen setzen die Drewitzer daher in das Sommercamp von Architekten und Studenten, das am Montag beginnt und nach zwei Wochen neue Entwicklungsperspektiven für Drewitz aufgezeigt haben soll. Doch Sanierungen und Neubauten bergen die Gefahr, dass Wohnraum teurer wird. Zudem gebe es keine Wohnungsbauförderprogramme mehr.

„Das Projekt ,Stärken stärken“ wird dazu führen, dass Eltern abwandern“, so Petke und nennt als Beispiel die Prignitz. Dort seien es bald weniger als 70 000 Einwohner, während in Potsdam in den nächsten Jahren mit einem Zuzug von 14 000 Menschen gerechnet wird. „Leute werden ihre Heimat verlassen und vor der Potsdamer Tür stehen bleiben.“ Auch in Drewitz.

„Die soziale Struktur in Drewitz ist gekippt“, sagt Elvira Eichelbaum. Wohlwissend, was das in der Außendarstellung für ihre Schule bedeuten kann. Den Stempel der Schule mit Schmuddel-Image würde sie so schnell nicht mehr los. Doch bislang ist das Image das Gegenteil: Die Grundschule mit ökologischem Profil gehört zu den angesehenen Einrichtungen der Stadt: Agendaschule, Umweltschule, Gesunde Schule 2006 sowie Stützpunkt zur Erkennung von Hochbegabung und beste Noten bei den Schulvisitationen. Einzig die bauliche Substanz spiegelt den Erfolg nicht wieder, selbst das ökologische Dach haben Sponsoren bezahlt. Nun will sich Petke um die Toiletten kümmern – Politikerehrenwort.

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