zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Die Welt voller Dings Aphasiker helfen sich seit fünf Jahren selbst

In Hildegards* Sprachschatz gibt es keine Substantive. „Sie dingst so vor sich hin: Gib mir mal das Dings, ich habe gestern ein Dings gesehen“, erzählt Hans-Peter Weichelt.

Stand:

In Hildegards* Sprachschatz gibt es keine Substantive. „Sie dingst so vor sich hin: Gib mir mal das Dings, ich habe gestern ein Dings gesehen“, erzählt Hans-Peter Weichelt. Er gründete vor fünf Jahren in Potsdam die erste Selbsthilfegruppe für Aphasiker.

Weichelt selbst verlor seine Sprache durch einen Schlaganfall im Alter von 37 Jahren. Dass heute ein ganz normales Gespräch mit ihm möglich ist, sei das Ergebnis von hartem sprach-therapeutischem Training, aber auch vom Austausch mit ebenfalls Betroffenen. Seine Mitstreiterin Hildegard verlor die Hauptwörter durch einen Autounfall. Als Außenstehender sei Aphasie schwer vorstellbar, sagt Weichelt. Hildegard erkenne sehrwohl die Gegenstände. „Sie weiß, was es ist, kann es aber nicht benennen“, erklärt der Gruppengründer das Krankheitsbild. Aphasie, schreibt Weichelt im Flyer der Selbsthilfegruppe, sei eine erworbene Sprachstörung aufgrund einer Schädigung der Sprachregion im Gehirn. Ausgelöst werden könne sie durch Krankheit oder Unfall. Manchmal widerspricht der Mund auch dem Kopf. „Das kann zu ganz ulkigen Situationen führen“, versucht der Potsdamer seiner Krankheit auch humorige Seiten abzugewinnen. So könne ein Aphasiker beispielsweise in einer Gaststätte ein Mineralwasser bestellen wollen und rufen: „Herr Ober, bitte einen Stier.“ Der gelernte Computerfachmann selbst war nach seinem Schlaganfall der festen Überzeugung, er könne problemlos drauf losrechnen. „Als ich das versuchte, kam nur Quatsch raus“, gesteht er.

Bei den Gruppentreffen einmal im Monat erzählten sich die zurzeit sieben Mitglieder, was in den vergangenen Wochen passiert ist, welche Fortschritte gemacht wurden oder auch Rückschläge hinzunehmen waren. Einige brächten auch ihre Partner oder Angehörige mit, sagt Weichelt. Die könnten dann übernehmen, wenn das Sprechen zu anstrengend werde. „Die anderen helfen auch, wenn dem Erzähler gerade ein Wort nicht einfällt“, sagt Weichelt. Grundsätzlich müsse das Gegenüber eines Aphasikers aber Geduld mitbringen und gut zuhören können. Das funktioniere natürlich bei der Selbsthilfe am aller besten. In der Gruppe werde nicht nur erzählt, sondern auch gespielt, gemalt und gebastelt. Außerdem werde auch Vergnügliches unternommen, erzählt der Gründer der Selbsthilfegruppe. So habe er schon Ausflüge mit dem Schiff oder einen Gaststättenbesuch organisiert. NIK

(* Name von der Redaktion geändert)

Wer von Aphasie betroffen ist und sich der Selbsthilfegruppe anschließen möchte, kann Hans-Peter Weichelt unter Tel.: (0331) 7480543 kontaktieren oder zum Gruppentreffen an jedem 4. Donnerstag im Monat (15 Uhr) ins Bürgerhaus- Stern*Zeichen in der Galileistraße 37-39 kommen. Der nächste Termin ist am 25. Januar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })