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Landeshauptstadt: Die zappelnde Krankenschwester

Als „Gwendolin“ begeistert Marlis Brüggemann derzeit im Verzehrtheater „Dinner for Fun“. An Potsdam schätzt die Schweizerin vor allem die „freie und kreative Spielfläche“

Von Sarah Kugler

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Die Bühne ist dunkel, weißer Rauch steigt auf. Aus den Lautsprechern ertönt Joe Cockers „You can leave your hat on“ – und jeder weiß, was das bedeutet. Doch die nun folgende Szene fällt etwas anders aus als erwartet. Zwar bekommt man einen Striptease geboten, aber einen der besonderen Art: Mit rauchendem Regenmantel, zappeligen Bewegungen und gefühlten 1000 Grimassen tanzt sich die Dame auf der Bühne zum begeisterten Rhythmus des klatschenden Publikums aus ihren Klamotten. Nur der Hut, in diesem Fall ein Feuerwehrhelm, bleibt natürlich auf dem Kopf.

Es ist „Gwendolin“, eine der Künstlerinnen des Verzehrtheaters „Dinner for Fun“, das zurzeit in dem Zeltpalast neben der Biosphäre in Potsdam zu sehen ist. Der Potsdamer Publikumsliebling amüsiert die Gäste nicht nur während der Show, sondern lockt auch beim Servieren der einzelnen Gänge die letzten Ernstgebliebenen aus der Reserve. Mit ihrem charmanten Schweizer Akzent und einer bezaubernden Mischung aus Witz und Tollpatschigkeit sorgt sie während des gesamten Abends für durchgehend gute Laune. Schon das zweite Jahr ist „Gwendolin“, die eigentlich Marlis Brüggemann heißt, beim „Dinner for Fun“ dabei. Dabei hat sie die erste Anfrage von Sabrina und Dave Bienas noch abgelehnt, weil sie ihre Heimat, die Schweiz, nicht für eine längere Zeit verlassen wollte. „Ich bin ein sehr großes Heimwehkind“, sagt sie lachend. Als die zweite Nachfrage kam, siegte dann doch die Neugierde und sie sagte zu. „Über die Entscheidung bin ich sehr glücklich“, sagt sie. „Das hier ist ein wunderbarer Platz für ,Gwendolin’. Sie hat hier eine freie und kreative Spielfläche. Das gibt es sonst selten.“

Ursprünglich ist Brüggemann gelernte Kindererzieherin. Doch der Beruf hat sie nicht wirklich ausgefüllt, sodass sie ihn nach einem Jahr wieder abgebrochen hat. „Das war eine schwierige Zeit für mich“, erzählt sie und ihr Blick wird sehr ernst. „Hinzu kam, dass ich einen persönlichen Schicksalsschlag erlitt, meine Mutter ist damals beim Baden ertrunken.“ Ihre Familie, vor allem ihr Vater, sei ihr in dieser Zeit eine große Stütze gewesen. Auch bei ihrer Entscheidung, eine Ausbildung im Bereich Bewegungstheater an der Dimitri-Schule in Tessin zu beginnen, stand er immer hinter ihr. „Er hat mir immer Mut gemacht und gesagt, ,Wenn du das willst, mach das’“, so Brüggemann. Dann lacht sie schon wieder und räumt ein, dass wohl auch ihre großen Brüder, die beide Künstler sind, einen Teil dazu beigetragen haben. „Sie haben mir quasi den Weg geebnet. Das ist der Vorteil, wenn man das jüngste von fünf Kindern ist.“

Nach einem Jahr Ausbildung in Tessin trat sie einer Pantomime-Gruppe in Bern bei, mit der sie fünf Jahre lang viele Auftritte zusammen hatte. Anschließend ging sie nach Zürich, um dort eine weitere Ausbildung im Bewegungstheater, diesmal mit dem Schwerpunkt Ausdruck zu beginnen, die sie nach zwei Jahren abschloss. In dieser Zeit entwickelte sich ihre erste Kunstfigur. „Das war damals noch eine klassische Clownfigur“, erzählt sie. „So mit roter Nase und allem.“ Durch Freunde kam sie dann an ihr erstes großes Engagement im Schweizer Broadway Varieté. „Das war eigentlich sehr witzig, ich saß mit denen an einem Tisch im Varieté und der Chef kam irgendwann dazu und hat sich mit uns unterhalten“, so Brüggemann. „Ich war die Einzige, die er nicht kannte – und dann hat er mich aus Sympathie vom Fleck weg engagiert.“

In dieser Zeit entstand dann auch „Gwendolin“, die ihre erste sprechende Figur war und eigentlich als Krankenschwester konzipiert ist. „Mein Chef wollte damals ‚eine Diva mit einem reichen Hintergrund’“, sagt sie lachend. „Also hat ,Gwendolin’ einen Vater, der plastischer Chirurg ist.“ Da Brüggemann zwischendurch selber als Pflegeassistentin im Krankenhaus arbeitet, lag die Idee, eine Krankenschwester zu kreieren, sehr nahe. Sieben Jahre trat sie mit verschiedenen Nummern im Schweizer Varieté als „Gwendolin“ auf. „Anfänglich war sie noch sehr schüchtern“, so die Künstlerin. „Eigentlich sollte sie als Gag Pillen an die Gäste verteilen, aber dann hat sie sie selber genommen, damit sie ,high’ sein und so ihre Schüchternheit überwinden konnte.“ Im Laufe der Jahre habe sich die Figur dann aber immer weiterentwickelt und an Selbstbewusstsein gewonnen. Sogar so viel, dass sie manchmal unerwartet durchbricht. „Manchmal komme ich mir schon ein bisschen schizophren vor“, sagt Brüggemann mit einem Schmunzeln. „Wenn ich zum Beispiel Schuhe für ,Gwendolin’ kaufe, steht sie auf einmal statt mir im Laden und sucht ihre Schuhe aus. Letztendlich ist ,Gwendolin’ eben eine Riesenkarikatur von mir selber.“

Inzwischen hat sich Brüggemann selbstständig gemacht und ist – wenn sie nicht gerade mit dem „Dinner for Fun“ unterwegs ist – für verschiedene Feiern in der Schweiz als „Gwendolin“ buchbar. Die Inspiration für ihre Nummern holt sie sich aus verschiedenen Quellen. So ist etwa ihre Hoola-Hoop-Boxring-Nummer entstanden, als sie einer Kollegin beim täglichen Training mit dem Hoola-Hoop Reifen zuschaute. „Meistens entwickeln sich die Nummern auch über viele Jahre“, sagt sie. „Die Striptease-Sache war zuerst nur ein kurzes Zwischenspiel und auch die Boxring-Nummer ist erst jetzt nach acht Jahren so richtig fertig.“ An ihrer Arbeit schätzt sie vor allem die Abwechslung. Sowohl das Arbeiten im Team als auch die Selbstständigkeit möchte sie nicht mehr missen. „Meine Arbeit ist mein ganzes Herz“, sagt sie. „Natürlich gibt es auch Tage, an denen ich mich aufrappeln muss, aber wenn das Publikum reagiert und der Austausch der Energien funktioniert, dann denke ich nur: ,Was will ich mehr’."

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