zum Hauptinhalt

Homepage: „Die Zeit wird sehr knapp“

Der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zu den Ergebnissen von Nairobi

Stand:

Herr Dr. Edenhofer, Klimaforscher sehen derzeit die Erderwärmung schneller als erwartet voranschreiten. Die Ergebnisse des Klimagipfels von Nairobi hingegen stimmen wenig optimistisch. Gab es überhaupt einen Fortschritt?

Es gab nur einen sehr kleinen Schritt in die richtige Richtung. Es wurde ein Arbeitsprogramm für das Jahr 2007 vereinbart. Die Industrieländer, die sich bereits zur Verminderung von Emissionen verpflichtet haben, sollen nun weit ehrgeizigere Verpflichtungen für die Zeit nach 2012 übernehmen. Es muss jetzt schnell gehandelt werden, sonst läuft uns die Zeit davon.

Welche notwendigen Schritte wurden versäumt?

Wir müssen die Konzentration von Kohlendioxid (CO2) auf 450 ppm (parts per million, Teile pro Million) beschränken. Das heißt: In den kommenden 20 Jahren müssen die Emissionen stabilisiert werden, nach 2020 müssen sie jährlich um etwa drei Prozent sinken, am Ende des 21. Jahrhunderts müssen wir eine nahezu emissionsfreie Weltwirtschaft erreichen. Das ist eine enorme Herausforderung. Vor allem müssen sich die USA, Australien, China und Indien am globalen Klimaschutz beteiligen. In Nairobi wurde vereinbart, dass weiter verhandelt wird – das genügt natürlich nicht. Die notwendigen Schritte zur Abwendung eines gefährlichen Klimawandels müssen aber erst noch unternommen werden.

Das Nachfolge-Abkommen von Kyoto ist für 2012 datiert. Ist solch ein langer Zeitraum der Dramatik der Situation überhaupt noch angemessen?

Wenn nach 2020 – vielleicht 2030 – die weltweiten Emissionen sinken, dann könnten wir noch mit einem blauen Auge davon kommen. Damit dies geschieht, müssen aber jetzt Investitionen in den Klimaschutz getätigt werden: Wir müssen die Energieeffizienz erhöhen, die erneuerbaren Energieträger fördern und Pilotprojekte auf die Beine stellen, die zeigen, dass man Kohlenstoff an großen Kohle- und Gaskraftwerken einfangen und unterirdisch lagern kann. Dazu benötigen die Investoren ein klares politisches Signal: Wer die Atmosphäre nutzen will, muss dafür zahlen. Ein Preis von mindestens 30 Euro pro Tonne CO2 wäre in den kommenden Jahren genug, damit Investitionen in den Klimaschutz rentabel werden.

Welche Möglichkeiten bietet die EU-Rats- und G8-Präsidentschaft Deutschlands ab 2007 für den Klimaschutz?

Der Europäische Emissionshandel ist die vielleicht wichtigste Erfindung für den Klimaschutz. Allerdings funktioniert er noch nicht richtig. Die Emissionsobergrenzen sind zu lax, die Emissionsrechte werden verschenkt und nur wenige Sektoren sind daran beteiligt. Die Emissionsobergrenzen müssen verschärft, die Emissionsrechte versteigert und weitere Sektoren – wie etwa der Verkehrssektor – in den Handel miteinbezogen werden. Deutschland muss in Europa eine kraftvolle Vorreiterrolle übernehmen. Wenn der europäische Emissionshandel ein Erfolg wird, stehen die Chancen gut, dass sich auch die USA, Australien und China anschließen. Scheitert der europäische Emissionshandel, wird dem internationalen Klimaschutz ein großer Schaden zugefügt.

Die Klimaschützer sprechen von nur 10 bis 15 Jahren, die zum Umbau der Energiewirtschaft bleiben. Lässt sich ein Umstieg auf erneuerbare Energien in einer so knappen Zeitspanne überhaupt bewerkstelligen?

Die erneuerbaren Energieträger sind nur eine Option im Klimaschutz, der effizientere Umgang mit Kohle, Öl und Gas ist kurzfristig die wichtigste. International stehen wir vor einer Renaissance der Kohle. Daher ist die Abscheidung von CO2 an großen Kohlekraftwerken und seine Lagerung im Untergrund für den Klimaschutz unverzichtbar. Wir brauchen Pilotprojekte, die zeigen, dass das technisch machbar und auch finanzierbar ist.

In der Gesellschaft ist das Problem kaum präsent. Was lässt sich der Verdrängung entgegensetzen?

Der jüngste Bericht von Sir Nicholas Stern hat gezeigt, dass ein ungebremster Klimawandel gefährlich und teuer ist. Der Stern-Bericht sagt auch, dass das Problem sowohl lösbar als auch finanzierbar ist. Klimaschutz kostet nicht die Welt. Die Menschen nehmen aber Gefahren nur dann realistisch wahr, wenn sie auch eine Lösung sehen.

Klimaschutz galt früher als Bremse des Wachstums. Ändert sich das nun?

Ja, vor dem Stern-Bericht waren die meisten Ökonomen der Meinung, Klimaschutz sei teuer, es sei viel billiger, sich an den Klimawandel anzupassen. Die meisten Ökonomen, die so reden, blieben aber die Antwort schuldig, wie sich die Entwicklungsländer anpassen sollen, wenn die globale Mitteltemperatur um fünf Grad Celsius steigt. Am PIK kamen wir zu dem Ergebnis, dass Klimaschutz weniger als ein Prozent des weltweiten Sozialproduktes kostet, wenn der Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf zwei Grad begrenzt wird. Der Stern-Bericht hat unsere Ergebnisse zustimmend referiert. Diesem Prozent stehen viel höhere Schäden gegenüber. Klimaschutz ist daher auch ökonomisch vernünftig.

In Großbritannien gab es unlängst ein Aufwachen, auch in den USA scheint man sich langsam – zumindest in der Opposition – des Ernstes der Lage bewusst zu werden. Ein Licht am Horizont?

In Großbritannien ist die Diskussion in der Tat viel weiter, weil gerade die politische und wirtschaftliche Elite das Problem verstanden hat. Die Manager in Banken, Versicherungen und auch in der Energiewirtschaft wissen, dass Ignorieren und Verdrängen keine Option ist. Davon ist Deutschland noch weit entfernt.

Welche Rolle spielen die wachsenden Schwellenländer – etwa China – für den Klimaschutz? Kann man sie überhaupt ausreichend einbinden?

Ohne die USA, China, Indien und Brasilien wird es keinen effektiven internationalen Klimaschutz geben können. Zunächst aber ist Europa in der Pflicht. Europa muss zeigen, dass der Emissionshandel funktionsfähig ist. Erst dann gibt es eine Chance, dass diese Länder mitmachen.

Der CO2-Ausstoß ist seit Bekanntwerden der Gefahren des Treibhauseffektes ungebrochen weiter angestiegen. Ist es nicht schon zu spät, die Erderwärmung überhaupt noch in den Griff zu bekommen?

Die Zeit wird sehr knapp, aber es ist noch nicht zu spät. Die nächsten zwei Jahrzehnte entscheiden darüber, wohin die Reise geht. Es darf keine Zeit mehr vertan werden.

Fragen von Jan Kixmüller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })