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Warten auf Helfer. Mit dem Ende der Wehrpflicht müssen Pflegebedürftige künftig ohne Zivildienstleistende auskommen. Ob es ausreichenden Ersatz durch den Freiwilligendienst geben wird, ist unklar. Bisher gibt es wenige Bewerber.

© Kitty Kleist-Heinrich

Landeshauptstadt: Die Zivis haben ausgedient

Während die Träger sich auf die Zeit ohne Zivis einrichten, lassen Freiwillige noch auf sich warten

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„Ohne Zivis kommen die gar nicht mehr klar“, beschreibt Torsten Mühl seine Befürchtung. Doch Zivildienstleistende wie der 22-jährige gebürtige Potsdamer sind Auslaufmodelle. Es werden keine jungen Männer mehr zum Zivildienst einberufen, seit mit dem gestrigen Tag die Wehrpflicht abgeschafft wurde.

Torsten Mühl hat seinen Dienst freiwillig verlängert. Noch bis zum Jahresende arbeitet er im Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Potsdam. Hier repariert er Rollstühle, fährt Essen und Post zu Pflegebedürftigen aus und hilft dort aus, wo es nötig ist. Er räumt auf und hilft beim Putzen. „Lauter notwendige Sachen, die jeden Tag gemacht werden müssen“, sagt er. Ab dem kommenden Monat wird er sich allein darum kümmern müssen. Dann wird er der letzte Zivi bei der Potsdamer AWO sein. Als er seinen Dienst begann, hatte er noch drei Zivi-Kollegen.

Dass die Tage für den Zivildienst nach 50 Jahren gezählt sind, deutete sich an. Im vergangenen Jahr wurde die Dienstdauer von neun auf sechs Monate verkürzt. Für viele Trägereinrichtunen, die Zivildienstleistende beschäftigten, eine unpraktische Regelung: Sobald der Zivi eingearbeitet war, stand er schon wieder kurz vor der Entlassung. „Wir haben uns darauf eingestellt und die Arbeit auf viele Schultern verteilt“, erklärt Petra Polzin, Service–Leiterin im Seniorenzentrum der AWO. Vor Jahren habe man 15 Zivis im Haus gehabt. Mit einem wirklichen Ersatz rechnet sie nicht. Auch im Klinikum Ernst von Bergmann gibt es mittlerweile keinen Zivi mehr. Die letzten drei haben ihren Dienst Ende Mai beendet, so Theresa Decker, Pressereferentin des Klinikums.

An Stelle des Zivildienstes für Kriegsdienstverweigerer ist nun der Bundesfreiwilligendienst getreten. Er steht Frauen und Männern aller Altersgruppen nach dem Ende der Schulpflicht offen, soll in der Regel zwölf Monate dauern und dem Allgemeinwohl in sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereichen dienen. Er kann auch im Sport oder im Katastrophenschutz abgeleistet werden. Dafür gibt es ein Taschengeld von höchstens 330 Euro im Monat – weniger als der Regelsatz für einen Hartz-4-Empfänger.

Für dieses Angebot finden sich bisher nur schleppend Bewerber. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums sind es derzeit etwa 3000, die Verträge für den Freiwilligendienst unterschrieben haben. Zum Vergleich: Noch zu Jahresbeginn gab es fast 58 000 Zivildienstleistende. Davon arbeiteten bis Ende Juni gut 100 in Potsdam, wie Gretel Ott mitteilte. Sie ist die Regionalbetreuerin des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben – so heißt nunmehr das ehemalige Bundesamt für den Zivildienst – für Potsdam und Umgebung. Damit war in Potsdam zuletzt nur noch jeder dritte von 308 möglichen Plätzen für einen Zivildienstleistenden besetzt. Diese Plätze könnten künftig auch mit Freiwilligen besetzt werden. Ab September rechnet Gretel Ott mit größerer Nachfrage, wenn Abiturienten keinen Studienplatz finden. Den Dienst können sie sich als Wartesemester anrechnen lassen. Außerdem soll ab dem kommenden Schuljahr verstärkt an Schulen für den neuen Freiwilligendienst geworben werden. Interessenten können schon jetzt in der Stellenbörse auf der Internetseite des Bundesfreiwilligendienstes nach Plätzen suchen.

Obwohl er freiwillig wohl nicht angefangen hätte, ist Torsten Mühl mit seinem Dienst im Seniorenzentrum zufrieden: „Am schönsten ist, wie dankbar die alten Leute sind.“ Selbst wenn man nur eine Glühbirne wechsele, seien die Senioren aus dem Häuschen. „Wenn bald keine Zivis mehr da sind und kein Ersatz kommt, hängen die alle in der Luft“, so Mühl. Er selbst hat vor dem Zivildienst eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker gemacht. Nun möchte er im sozialen Bereich bleiben: „Ich habe hier etwas ganz Neues kennengelernt und kann mir gut vorstellen in Zukunft weiter in der Pflege zu arbeiten.“ Und das sogar freiwillig.

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