
© A. Klaer
Landeshauptstadt: „Diese Hilflosigkeit ist zum Kotzen“
Birger Westphal kann wegen einer schweren Krankheit nur noch die Augen bewegen. Per Computer erzählt er vom Alltag mit ALS
Stand:
Herr Westphal, ist das Schreiben am augengesteuerten Computer anstrengend?
Ja, sehr. Ich muss jeden Buchstaben einzeln ansteuern. Meist schreibe ich vormittags und nachmittags jeweils zwei Stunden, dann brennen meine Augen und ich kann mich nicht mehr konzentrieren.
Wie lange brauchen Sie für eine Zeile?
Das ist unterschiedlich, mal 30 Sekunden, mal viel länger. Manchmal hängen meine Augen an einem Buchstaben fest und ich kann den Blick nur schwer lösen. Dann mache ich viele Fehler.
Wie lange hat es gedauert, das zu lernen?
Zum Glück hat es gleich geklappt, doch es bedarf großer Konzentration, und ich habe den Eindruck, dass die Beweglichkeit meiner Augen nachlässt.
Seit wann haben Sie den Computer? Hat die Krankenkasse den bezahlt?
Meinen ersten augengesteuerten PC bekam ich 2007. Mit dem kam ich aber nicht gut zurecht, die Kamera verlor immerzu den Augenkontakt. Danach habe ich es mit einem Muskelsensor versucht, den hat die Kasse abgelehnt, aber meine ehemalige Firma hat ihn mir bezahlt, dafür war ich ihnen sehr dankbar. Dann sah ich im Fernsehen eine Frau mit dem Eye-Gaze-Rechner und war beeindruckt. Den habe ich dann zunächst privat gemietet – die Kasse hat erst nach einem Widerspruch die Kosten dafür übernommen.
Bringt Ihnen der Rechner auch mehr Unabhängigkeit?
Nur eingeschränkt – nein, kaum, meine Pfleger sind immer in der Nähe, zumindest im Nebenraum. Es kann sehr schnell passieren, dass sich Sekret in meiner Luftröhre sammelt, ich keine Luft mehr bekomme und abgesaugt werden muss.
Gibt es für Sie überhaupt noch so etwas wie Privatsphäre?
Nicht wirklich, die Pfleger sind immer da.
Ist das belastend, immer auf andere angewiesen zu sein?
Das ist das eigentliche Problem, diese Hilflosigkeit ist zum Kotzen, ich kann nicht mal um Hilfe schreien oder mich kratzen, geschweige denn den Po abwischen.
Wie viele Pfleger kümmern sich um Sie?
Im Moment habe ich vier Pflegekräfte fest um mich, eigentlich gehören fünf ins Team, die offenen Dienste werden mit Aushilfspflegern besetzt.
Ist es schwer ein passendes Team zu finden?
Ja, es gibt einen großen Pflegekräftemangel in Deutschland und ich brauche ja eine sehr individuelle Betreuung.
Was machen Sie den ganzen Tag? Was lenkt sie ab?
Vormittags bin ich mit Therapien und Körperpflege beschäftigt, dienstags gehen wir zur Schwimmtherapie. Danach werde ich an den PC gesetzt und ich unterhalte mich mit den Pflegern, schreibe Mails an Freunde, Verwandte und Kollegen. Nachmittags gehen wir einkaufen, spazieren im Park oder auf ein Bier in eine meiner Lieblingskneipen.
Welche Dinge fehlen Ihnen besonders?
Mir fehlt die Bewegung, ich bin früher gejoggt, habe Sport gemacht. Auch dass ich mein Gartengrundstück nicht mehr in Ordnung bringen kann, fehlt mir, und meine Arbeit. Und ich will so gern meinen Kindern mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Sie bedeuten Ihnen viel?
Meine Kinder liebe ich über alles, ohne sie würde ich nicht mehr weiter leben. Ich bin auch froh so viele Freunde, Bekannte und Verwandte zu haben. Durch den Verein ALS-mobil habe ich engen Kontakt mit anderen ALS-Betroffenen.
Wie sieht Ihre Zukunft aus, worauf müssen Sie sich einstellen?
Das ist eine schwere Frage, manchmal habe ich keine Kraft mehr und möchte nicht mehr weiter leben. Dann sehe ich meine Kinder und will sie nicht verlieren. Ein schöner Ausflug mit Freunden hilft, dann genieße auch ich das Leben. Und es hilft mir sehr, wenn andere Betroffene mir Mut machen. Meine Krankheit wird nicht besser, doch beatmet kann man schon einige Jahre Lebenszeit gewinnen.
Haben Sie den Film „Ziemlich beste Freunde“ gesehen?
Ja, natürlich, er war einfach klasse!
Das Interview führte Steffi Pyanoe
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