Landeshauptstadt: „Diesmal ist alles irgendwie vermischt“
Detlef will auch in Deutschland Busse verkaufen. Martin will Verlässlichkeit. Und Horst ist im Zwiespalt.
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Detlef will auch in Deutschland Busse verkaufen. Martin will Verlässlichkeit. Und Horst ist im Zwiespalt. Von Peter Könnicke Vom Rand der Theke aus gesehen offenbart sich eine bunte Mischung. Die Leuchtröhre der Musikbox strahlt wie ein Regenbogen. Die dünnen Rauchschwaden von Lucky Strike, Marlboro und P&M vereinen sich zu einer blauen Wolke. Wernesgrüner, Gaffel-Kölsch und Paulaner bieten sich als abendliche Begleitung an. Links am Tresen haben wir ein junges Pärchen – Detlef und seine Freundin. Rechts Roswitha und Horst. In der Mitte sitzt Martin mit seinem Biker-Kollegen. Am Tisch klönen Werner und sein Kumpel. Später kommen noch Rüdiger und Hedwig. Und mittendrin Holger, der einem schnell anbietet, dass man „Du“ zu ihm sagen kann. Holger ist Chef im „Hillmanns“, der Kneipe am Rande des Holländerviertels. Es ist kurz vor halb Neun an diesem Sonntagabend. Als im „Hillmanns“ der Fernseher angeht, berichten sie in der Tagesschau gerade, dass der Deutschland-Achter bei der Ruder-WM Bronze gewonnen hat. Holger erzählt währenddessen, dass gestern bei einem Sportfest in Kleinmachnow ein Fußball mit der Originalunterschrift von Gerhard Schröder für schlappe 50 Euro versteigert wurde, was ja wohl kein gutes Omen sei. Vorn am Tresen ruft jemand, dass fast 40 Prozent aller Deutschen noch nicht wissen, wen sie am 18. September wählen sollen. Dann beginnen Angela Merkel und Gerhard Schröder ihr Rededuell. Nach anderthalb Stunden ist Detlef überzeugt, dass er auch wieder in Deutschland Geschäfte machen wird. Angela Merkel hat ihm zu dieser Zuversicht verholfen. Detlef verkauft Omnibusse. „Aber nur im Ausland“, wie er einschränkt. Seine Kunden sitzen in Rumänien, Polen und Ungarn. Zwar verhandle Detlef auch in Berlin mit einigen Interessenten, aber von denen wolle im Moment keiner investieren. „Die warten ab, was nach der Wahl passiert.“ Wenn es nach ihm ginge, „braucht nach dieser Sendung keiner mehr zu warten“. Denn Detlef ist überzeugt, dass Angela Merkel demnächst Bundeskanzlerin ist, sich mit der CDU die Wirtschaft stabilisiert und „sich das runterbrechen wird bis auf die Kleinsten“. Er sieht bereits den Mittelstand Investitionen tätigen, Arbeiter und Angestellte wieder Geld ausgeben und sich selbst zu dieser vorgerückten Stunde als Wirtschaftsweisen: „Jetzt kommt die Binnennachfrage wieder in Gang.“ Als Detlef das erste Mal gewählt hat, hätte man ihn noch anders reden hören. Sein Vater war Arbeiter, trug am 1. Mai immer eine rote Nelke am Jacket und wählte SPD. Als Detlef das erste Mal in einer Wahlkabine stand, dachte er an die Familientradition und dass er irgendwie auch da hingehöre. Er ist in Frankfurt am Main aufgewachsen, „wo man mit Türken, Griechen und Italienern gelebt hat und man Multikulti nicht künstlich definieren musste“. Ihm müsse daher niemand erzählen, was Integration bedeutet. Von der SPD hat sich Detlef irgendwann enttäuscht gefühlt. „Das ist so ein machtpolitisches Ding geworden, was Schröder ausstrahlt.“ Man musste sich nicht anstrengen um mitzubekommen, was Detlef von Gerhard Schröder hält – mit jedem Glas Weizenbier wurde es ein bisschen deutlicher. Als Angela Merkel dem Kanzler vorhält, er denke nur Tag für Tag, applaudiert Detlef mit einem lauten „Huhuhu“. Als Schröder meint, die Aufbruchstimmung wäre gerade in Gang gekommen, fertigt ihn Detlef als „Schwätzer“ ab. Kurz vor Ende der Sendung empfiehlt er drei jungen Leuten, die ein Kölsch auf die Schnelle nehmen, „ja richtig zu wählen und nicht diesen Schwätzer da“. Detlef agitiert so, obwohl er weiß, dass „die sozialen Einschnitte noch tiefer gehen werden als heute von der CDU gesagt“. Er ist überzeugt, „dass wir weit davon entfernt sind, auch in Zukunft 35 Tage Urlaub im Jahr zu haben“. Und wenn wir mehr als fünf Tage in der Woche arbeiten müssten, würde er das auch verstehen. „Ich bin ein Extremist“, sagt Detlef. Auch Martin Zühlke wird sein Kreuz hinter der CDU machen, „aber nicht mit hundert Prozent“. Zühlke hat eine eigene Marketing- und Eventagentur, ist jetzt 38 und meint, „wir haben nicht mehr viel Zeit“. Wenn man sich als Unternehmer nur darauf verlassen kann, dass alles teurer wird und es nur noch Hemmnisse gibt, „macht es keinen Spaß mehr, etwas zu unternehmen“. Doch seine Zweifel sind rauszuhören. Er hofft auf Steuergesetze, „die das Land voranbringen“, aber mit dem Unionsexperten Paul Kirchhof „ist das eine wacklige Nummer“. Er wünscht sich, dass „es sozial bleibt“ und meint gleichzeitig, der Staat müsse härter durchgreifen. Er gesteht Schröder zu, durchaus richtige Wege bestritten zu haben, „aber die Wirtschaft bekommt er nicht hin“. „Die Merkel“, sagt Zühlke wie zur eigenen Bestätigung, „hat durchaus Potenzial.“ Horst kennt das Gefühl des Zwiespalts. Der ehemalige Bundeswehr-Oberst nennt sich einen Wechselwähler. „Wenn es die einen nicht gepackt haben, hab“ ich die anderen gewählt. Und wenn die nicht gut waren, wieder die anderen.“ Doch diesmal sei das nicht so einfach. „Diesmal ist das alles irgendwie vermischt“, sagt Horst. Und so wiegt sich dieser Abend hin und her, mal laut, mal leise. Mal lustig, mal zornig. Mal finden Schröders und Merkels Worte eifriges Nicken, mal heftiges Kopfschütteln. Und manchmal spiegeln sie sich auf unfreiwillig komische Art in der Szenerie des „Hillmanns“ wider. Als Merkel von „Politik aus einem Guss“ spricht, zapft die Kellnerin gerade ein neues Pils. Als das Kanzler-Zitat von der Mitnahmementalität fällt, spendiert Holger Hillmann saure Gurken. Und als Schröder anmerkt, dass er eine Menge Kritik aushalten kann, lobt Horst ausdrücklich die Knacker mit Senf.
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