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Ein Genuss. Statt Torte wie in den Vorjahren gab es bei der Weihnachtsfeier der Arbeiterwohlfahrt für Obdachlose und davon bedrohte Potsdamer diesmal Eis. Das sollte vor allem den Kindern gefallen, schmeckte aber auch älteren Gästen.

©  Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Dinner für viele

Mehr als 650 wohnungslose oder arme Potsdamer genossen die vierte Weihnachtsfeier der Arbeiterwohlfahrt im Dorint Hotel

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Für die Kinder findet der Höhepunkt der Weihnachtsfeier bereits vor dem Festessen statt: Es gibt Eis. Und zwar reichlich. Im Foyer vor dem Saal des Dorint Hotels in der Potsdamer Jägerallee ist es aufgebaut. Eis in Kugeln. Eis als Torte. Sogar Eis in einem Schwan aus Glas. Die Kinderaugen fokussieren genau die Lieblingssorte. „Schokolade“, sagt Tim. Der Neunjährige ist mit seiner Familie zur diesjährigen Weihnachtsfeier der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt (AWO) für Obdachlose und von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen gekommen.

Die Veranstaltung mit dem sperrigen Titel soll armen Potsdamern und Menschen ohne eigene Wohnung einen Nachmittag in Gesellschaft und ein festliches Weihnachtsessen ermöglichen, das sie sich sonst nicht leisten können. Eingeladen wurden die Bewohner des Obdachlosenheims am Lerchensteig, des Familienhauses und des betreuten Gruppenwohnprojekts „W13“. Außerdem wurden Bedürftige über Einrichtungen wie die Potsdamer Tafel und die Suppenküche der Volkssolidarität angesprochen.

Zum vierten Mal gab es am Freitag diese Weihnachtsfeier für Bedürftige im Dorint Hotel – und es kommen immer mehr Gäste. Mehr als 650 waren es in diesem Jahr. Vor Jahresfrist seien es etwa 100 weniger gewesen, sagte Gisela Netzeband vom Vorstand der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt. Das zeige, dass der Bedarf nach Hilfe auch in Potsdam wachse. Es stelle sich jedoch die Frage, was man machen solle, wenn weiterhin bedürftige Menschen dazukommen. Eine Antwort hatte sie nicht. Fürs erste hatte das Hotel einen Teil der weihnachtlichen Dekoration aus dem Saal entfernt, um Platz für eine zusätzliche Tischreihe zu schaffen. Noch einmal geht das nicht. Nur noch die Bühne könnte aus dem Saal geschafft werden, hieß es.

Und es wird nicht nur voller im Saal, sondern es kommen auch mehr Kinder zur AWO-Weihnachtsfeier. Dieses Mal waren 160 angemeldet. Im letzten Jahr waren es noch etwa 130. Wie es sich zu Weihnachten gehört, gab es auch Geschenke. Die Jüngsten bekamen ihre zuerst. Tim freut sich über einen Weihnachtsmann aus Vollmilchschokolade und einen Gummiball. Anschließend sind die Erwachsenen dran.

Die Geschenke für die Gäste hat die AWO durch die Hilfe vieler Menschen verteilen können. In den letzten Wochen haben beispielsweise Kita-Kinder und ihre Erzieherinnen in den Kindertagesstätten des Sozialträgers Weihnachtssterne gebastelt. Diese wurden von Mitarbeitern und Azubis der AWO auf den Weihnachtsmärkten verkauft. Banken, Firmen und Privatpersonen überwiesen Spenden. Hotelchef Stefan von Heine stellte den Saal zur Verfügung und seine Angestellten bedienten die Gäste.

Barbara schaut in den Saal voller Menschen. Sie ist zum ersten Mal hier. Die Hartz-IV-Empfängerin engagiert sich ehrenamtlich bei der Potsdamer Tafel und gibt dort Lebensmittel an Bedürftige aus. Der Bedarf steige nach ihrer Beobachtung. „Zur Essensausgabe kommen immer mehr Familien und Zuwanderer“, sagt sie. Als armer Mensch habe man es in Potsdam schwer. Das liege vor allem an den steigenden Mieten, so Barbara. Vor zwei Jahren sei die Preisbindung ihrer Mietwohnung in einem Potsdamer Plattenbauviertel abgelaufen. Die Miete wurde erhöht. Seitdem habe sie Angst, dass sie ihre Wohnung verlieren könnte. Sie fürchtet um den Verlust ihres gewohnten Umfelds. Außerdem stelle sich auch die Frage, wohin sie denn ziehen solle. „In Potsdam gibt es nicht genug bezahlbare Wohnungen“, sagt Barbara.

„Soziale Schieflagen“ beschäftigten auch Schirmherr Dirk Thiele. Der Eurosport-Moderator begrüßte wie auch in den vergangenen drei Jahren die Gäste mit einer kleinen Rede. Die Kluft zwischen Arm und Reich werde größer. Deshalb müsse man helfen, damit die Würde der Betroffenen erhalten bleibe. Dann spannte Thiele jedoch den Bogen politisch weiter und erklärte, Deutschland benötige mehr Augenmaß bei der Einwanderungspolitik. Wer aus rein wirtschaftlichen Gründen komme, sich nicht integriere oder die Sprache nicht lerne, um den könne sich der deutsche Staat nicht kümmern. Als ausländerfeindlich wollte Thiele das auf keinen Fall verstanden wissen, wie er auf Nachfrage sagte. Wer wirklich um sein Leben fürchte oder hochqualifiziert sei, sei ihm herzlich willkommen. Aber man müsse das Problem offensiv angehen, so der 69-Jährige, und verwies auf das umstrittene Buch „Neukölln ist überall“ des dortigen Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky (SPD).

Ein paar Tische weiter war Politik egal. Die beiden Söhne der 28-jährigen Aslan aus Kurdistan freuten sich über ihr Eis. So eine Feier könne sie sich sonst nicht leisten, sagt sie in akzentfreiem Deutsch.

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