Landeshauptstadt: Dokumentierte Leidenschaft
Charlotte von Mahlsdorfs Gründerzeitmuseum saniert / Zwölf komplette Zimmereinrichtungen zu sehen / Erinnerung an Museumsvater Lothar Berfelde alias Charlotte von Mahlsdorf, bot vor 50 Jahren erstmals Führungen an
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Berlin - Die Chefin des Gründerzeitmuseums Monika Schulz-Pusch ist sich sicher: „Charlotte würde das neu eingerichtete Haus gut gefallen. Er könnte sofort einziehen.“ Gemeint ist Lothar Berfelde alias Charlotte von Mahlsdorf, die vor 50 Jahren erstmals Führungen durch das Landhaus im Berliner Ortsteil Mahlsdorf anbot.
Ende Juli soll mit einem Festakt und am 1. August mit einem Tag der offenen Tür der Abschluss der jahrzehntelangen Sanierungsarbeiten des Museums gefeiert werden.
Dazu werden Gäste aus nah und fern anreisen. Denn Lothar Berfelde (1928-2002) war nicht nur ein Berliner Original und eine Ikone der deutschen Schwulenbewegung. Spätestens seit der US-Amerikaner Doug Wright das Stück „I Am My Own Wife“ über ihn schrieb und der Schauspieler Jefferson Mays damit erfolgreich tourte, erlangte der Mann in Frauenkleidern Weltberühmtheit. Inzwischen wird das 2004 mit dem „Tony Award“ ausgezeichnete Stück in 20 Ländern gezeigt, seit einigen Wochen auch in Japan.
Einen Film mit gleichem Titel („Ich bin meine eigene Frau“) drehte der schwule Regisseur Rosa von Praunheim bereits 1992. Wrights Theaterstück ist in Deutschland aus rechtlichen Gründen unter dem Titel „Ich mach ja doch, was ich will“ zu sehen – Dominique Horwitz glänzt darin als Charlotte. Ein weiteres Stück schrieb der Historiker Peter Süß, das 2006 in Leipzig uraufgeführt wurde. Ab 30. August soll deshalb in dem Museum auch eine gesonderte Schau über die Charlotte-Darsteller aus aller Welt informieren. Aber auch der Museumsvater kommt nicht zu kurz: Schulz-Pusch legt Wert auf die Einheit von Gründerzeit-Schau und Erinnerung an Berfelde. „Für uns ist das eine faszinierende Persönlichkeit“, sagt sie, „wir wollen auch zeigen, unter welchen Umständen Charlotte das Haus bezog und rettete.“ Begonnen hatte alles im Ost-Berlin der 50er Jahre. Eigentlich sollte das Landhaus am Hultschiner Damm abgerissen werden. Weil aber die dafür notwendigen 60 000 Mark fehlten, durfte sich Berfelde der Ruine annehmen. Der Mahlsdorfer arbeitete als Restaurator für Musikmaschinen im Märkischen Museum. Später jobbte er nebenher als Hausmeister.
„Charlottes Faible für die Gründerzeit reicht weit zurück. Bereits mit zwölf Jahren half Berfelde bei einem Antiquitätenhändler aus“, sagt Schulz-Pusch. Als in den 50er und 60er Jahren Gründerzeitutensilien in Massen auf dem Müll gelandet seien, habe Berfelde die Dinge systematisch gesammelt. Mit einem Leiterwagen zog er über Land oder schaute bei Haushaltsauflösungen vorbei. Neben Möbeln kamen so wertvolle Wecker-, Spazierstock- und Lampensammlungen zusammen.
Aus der Leidenschaft von Lothar Berfelde wurde über die Jahrzehnte ein einzigartiger Anziehungspunkt in der Berliner Museumslandschaft.
Zu sehen sind zwölf komplette Zimmereinrichtungen aus der Epoche des 19. Jahrhunderts. Eine Küche und ein Dienstmädchenzimmer werden bald im Keller eingerichtet. „Dafür brauchen wir als Förderverein aber noch 150 000 Euro“, sagt Schulz-Pusch. Allein die jüngste große Sanierung habe 800 000 Euro gekostet.
Bereits begehbar ist im Keller die „Mulackritze“. Berfelde hatte die Einrichtung des berühmt-berüchtigten Lokals in der Mulack-Straße in Mitte vor dem Abriss des Gebäudes gerettet und nach Mahlsdorf geholt. Für große Augen vor allem bei Kindern sorgen heutzutage die noch funktionstüchtigen Vorläufer der Musikboxen: In einem Zimmer tönt ein wuchtiges Orchestrion, nebenan ein Pianola, für das 1000 Lieder-Walzen parat liegen. Erst jüngst rettete ein altes Grammophon eine Hochzeitszeremonie im Museum, als der mitgebrachte CD-Player nicht funktionierte.
Von Torsten Hilscher
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