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Beschäftigte in Brandenburg nehmen mehr Medikamente: Doping am Arbeitsplatz
Bundesweit greifen immer mehr Beschäftigte zu Medikamenten, um leistungsfähiger im Job zu sein. Auch Arbeitnehmer in Brandenburg bilden dabei keine Ausnahme, wie eine neue Studie zeigt. Es sind aber nicht nur Top-Manager, die sich dopen.
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Potsdam - 105 000 Brandenburger dopen sich für den Job. Um Leistungen zu steigern, die Stimmung zu heben oder Ängste abzubauen, schlucken immer mehr Erwerbstätige Medikamente. 6,7 Prozent aller Deutschen nehmen Stimulanzien, Antidementiva, Antidepressiva oder Betablocker in der Annahme, so besser am Arbeitsplatz bestehen zu können. „Die Dunkelziffer liegt sogar bei zwölf Prozent“, sagt Jörg Marschall vom Forschungs- und Beratungsinstitut für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen (IGES), das im Auftrag der DAK die repräsentative Studie erstellt und am Donnerstag in Potsdam präsentiert hat. In Brandenburg fallen die Zahlen annähernd gleich aus.
Für den Report wurden mehr als 5000 Beschäftigte gefragt. Demnach hat Doping am Arbeitsplatz in den vergangenen sechs Jahren bundesweit zugenommen. Der Umfrage zufolge kann sich jeder zehnte Erwerbstätige vorstellen, leistungssteigernde Medikamente zu nehmen. Tatsächlich gaben in Brandenburg von rund 800 Befragten 5,4 Prozent an, schon einmal psychoaktive Substanzen eingenommen zu haben. 3,2 Prozent haben es in den vergangenen zwölf Monaten getan, 1,8 Prozent schlucken regelmäßig Tabletten. „Das Wissen über Hirn-Doping hat zugenommen“, sagt Marschall. Vor allem die 40- bis 50-Jährigen greifen zu Pillen. Eine Erfahrung, die Cornelia Ulrich in ihrem Job täglich macht. Die Fachärztin für Psychosomatik, Psychotherapie und Suchtmedizin hat vor anderthalb Jahren als Chefärztin am Fachklinikum Uchtspringe eine Station für über 50-Jährige eingerichtet. „Die 16 Betten waren sofort voll“, sagt sie: „Die Wartelisten sind lang.“
Chefs müssen Verantwortung übernehmen
Zudem bestätigt die Medizinerin eine Erkenntnis der Studie, dass es entgegen bisheriger Annahmen oder früherer Erfahrungen nicht nur gestresste Top-Manager sind, die sich für den Job dopen. Es sind inzwischen mehr ungelernte und einfache Arbeitskräfte, die Medikamente nehmen. Während Führungskräfte und Besserverdienende ihre berufliche Belastung meist kompensieren können – durch eine ausgeprägte Eigenverantwortung, finanzielle Möglichkeiten für Ausgleich und Stressbewältigung oder auch durch ein zufriedenstellendes Gehalt –, hätten Geringverdiener diese Möglichkeiten kaum. Im Gegenteil: „Oft kommen ein Zweitjob und eine familiäre Belastung noch dazu, die zu einer Überforderung führen“, sagt Report-Autor Marschall. Für Unternehmen und Chefs wachse die Verantwortung und Fürsorge, Maßnahmen für ein betriebliches Gesundheitsmanagement zu entwickeln, so DAK-Regionalleiter Ralf Seifert.
Doping auf Rezept
Häufig würden der Einnahme von Psychopharmaka keine Diagnosen zugrunde liegen. Dennoch ist das Rezept eines Arztes die meistgenannte Bezugsquelle unter den Befragten, weshalb Marschall von einer hohen Überzeugungskraft der Betroffenen ausgeht, um ein vermeintliches Leiden zu schildern. „Ärzte-Hopping, um an Medikamente zu gelangen, ist dabei weit verbreitet“, sagt Marschall. Fast 54 Prozent der Hirn-Dopingmittel werden von Ärzten verschrieben. Vergleichsweise gering mit 8,5 Prozent erfolgt der Bezug über Internetapotheken, bei denen nicht immer nach einer Verschreibung gefragt wird.
Leistungsdruck vor allem bei Männern
Die Gründe für die Einnahme bis hin zum Missbrauch von Medikamenten bei Erwerbstätigen sind vielfältig. 40,7 Prozent der Befragten gaben an, es vor Prüfungen, Präsentationen, wichtigen Verhandlungen oder schwierigen Gesprächen zu tun. Bei Männern ist vor allem das Motiv der Leistungssteigerung stark ausgeprägt. Fast 40 Prozent der Männer begründen die Einnahme von Präparaten mit der Annahme, Ziele besser erreichen zu können – bei Frauen sind es 25 Prozent. Jeder vierte Befragte – egal ob Frau oder Mann – meint, mithilfe von Medikamenten auch nach der Arbeit noch Energie und gute Laune zu haben.
Einher geht die Zunahme von Hirn-Doping mit einem nahezu gleichbleibend hohen Krankenstand, der in Brandenburg im vergangenen Jahr bei 4,9 Prozent und damit einen Prozent über dem Bundesdurchschnitt lag. Alarmierend ist der Anstieg der Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen, die seit 2013 innerhalb eines Jahres um elf Prozent zunahmen. Sie sind der zweithäufigste Grund für Krankschreibungen. An erster Stelle stehen Rückenleiden.
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