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Landeshauptstadt: Dramatischer Jahreswechsel

Ein Toter in Babelsberg, 31 Brände und ein Feuerwehr-Crash in der Stadtmitte – für die Potsdamer Feuerwehrleute und Rettungskräfte hatten in der Silvesternacht viel zu tun

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Innenstadt - Rainer Schulz scheint ständig unter Hochspannung zu stehen. Reflexartig reagiert der 45-jährige Oberinspektor auf das Ertönen des vierstufigen Gongschlages, der überall in der Feuerwehr-Hauptwache zu hören ist. Mit langen Schritten läuft er zum Rutschschacht und gleitet über die berühmte Stange ins untere Geschoss. Nur noch wenige Schritte sind es bis zum Löschzug; routiniert stülpt er Schutzbekleidung und Helm über. Sekunden nach dem Anruf in der Leitstelle wegen eines Dachstuhlbrandes in der Merkurstraße in Babelsberg öffnet sich die Alarmausfahrt der Feuerwache. Maximal acht Minuten braucht der Löschzug bis zum Brandherd.

Es ist fünfzehn Minuten nach Mitternacht in der Silvesternacht und jetzt treffen die Alarmrufe Schlag auf Schlag ein. In den nächsten sechs Stunden werden die Feuerwehrleute und Rettungskräfte zu 80 Einsätzen gerufen. Einmal kommt jede Hilfe zu spät: Jemand stirbt morgens um 4.30 Uhr in einer Wohnung in der Karl-Gruhl-Straße an Rauchvergiftung.

Um 8 Uhr ist die Dienstzeit von Rainer Schulz zu Ende. Doch in der nächsten Schicht geht das Unruhe-Neujahr weiter: Brand eines Dönerstandes am Schlaatz, hilflose Person in der Hebbelstraße ...

Ein paar ruhige Minuten haben die 37 Männer der Feuerwache an der Werner-Seelenbinder-Straße zu mitternächtlicher Stunde: Potsdam wartet auf den Silvesterknall. Bei Kaffee und Pfannkuchen versammeln sich die Männer um den großen Tisch im Aufenthaltsraum. Die Bäckerei Schröter hat traditionsgemäß eine Stiege mit Silvesterpfannkuchen herübergeschickt. Die Männer trommeln auf die Tischplatte, als die Glocken der nahen Erlöserkirche das neue Jahr verkünden. Durch das Fenster steigen zischende Raketen, Luftblitze und bunte Fontänen über den Häuserdächern in die Höhe. „Die Qualität des Feuerwerks hat sich ganz schön verbessert“, stellt Schulz fest, aber dann bleibt ihm beim nächsten Gong der Pfannkuchen im Mund stecken. Sein erster Rutsch an der Stange im neuen Jahr: Laubenbrand am Horstweg. Tatütata.

Der Alarm erweist sich zum Glück als Flop. Vor Ort sind Fahrzeuge der Wachen in Potsdam und Babelsberg sowie der Freiwilligen Wehr Klein Glienicke, die in der Silvesternacht ebenfalls Bereitschaft hat. Die Leitstelle erhält die Mitteilung, dass ein weiterer Einsatz nicht notwendig sei: Nur ein abgefackelter Weihnachtsbaum, kein Laubenbrand, nichts Schlimmes, Kommando zurück.

In der Leitstelle an der Werner-Seelenbinder-Straße nehmen Mario Felgner und Thomas Kiebis Notrufe entgegen. Im 12-Stunden-Dienst speisen sie das Feuerwehr-Herzstück, den Leitstellenrechner, mit den gemeldeten Daten. „Der weiß genau, was jetzt zu tun ist“, sagt der Beamte. Und tatsächlich: in Null-Komma-Nichts erscheint die richtige Variante für den Notruf auf dem Flachbildschirm. Jetzt löst der Beamte den Gong aus und alarmiert die Einsatzkräfte. Über einen Lautsprecher gibt es die notwendigsten Informationen über Ort und Art des Geschehens. Der Rechner stellt die Ampeln an der Ausfahrt in der Breiten Straße auf „Rot“ und gibt die Alarmausfahrt frei.

Leiter der Wachabteilung in der Silvesternacht ist Thomas Haseloff. 37 Kameraden hat er im Einsatz, acht mehr als an normalen Tagen. In der Leitstelle arbeitet neben den beiden reguläreren Beamten ein „Mann in Weiß“. Rettungsassistent Peter Riedel sitzt zum Jahreswechsel bis zwei Uhr zusätzlich am Rechner, um die vermehrten Einsätze zu koordinieren. In dieser Nacht sind es dreimal mehr Rettungsfahrten als an normalen Tagen. 4700 Einsätze gäbe es im Jahr, berichtet Riedel, viele wären überflüssig, wenn sich die Menschen bei kleinen Verletzungen selbst zur Behandlung begeben würden. „Eine Knochenarbeit“, weiß Rainer Schulz über die Belastung der Einsatzkräfte. Die meisten litten unter Rückenproblemen wegen der oft schwierigen Transporte von Verletzten und des „Equipments“, wie er die schwere Ausrüstung bezeichnet.

Eine halbe Stunde nach Mitternacht rückt ein Löschgruppenfahrzeug zu einem Einsatz in die Berliner Straße aus. Es passiert die Ausfahrt an der Breiten Straße und bewegt sich mit Blaulicht und Sondersignal in Richtung Einsatzort. Auf der Kreuzung Friedrich-Ebert-Straße dann ein folgenschwerer Crash: Ein von der Langen Brücke kommendes Auto fährt auf das schwere Feuerwehr-Fahrzeug auf. Der Pkw-Fahrer erleidet eine Kopfverletzung und muss ins Krankenhaus. Dazu kommen erhebliche Sachschäden; auch das Feuerwehr-Fahrzeug ist nicht mehr einsatzfähig. „Unverständlich der Zusammenstoß, wir fuhren mit Sondersignal“, sagt der Leiter der Wachabteilung sichtlich aufgeregt. Abgesehen vom Unfall selbst kann der Ausfall eines Löschgruppenfahrzeuges in einer akuten Situation prekär werden.

Die Bilanz, die Oberinspektor Schulz vor Ende seines Neujahrseinsatzes registriert, ist erschreckend: 31 Brände, davon sechs Container, zwei Pkw in Flammen, zwei Ödlandfeuer, zehn brennenden Wohnungen und ein Toter; der Rettungsdienst muss Silvester/Neujahr 80-mal ausrücken, dazu kommen Hilfeleistungen wie das Beseitigen umgestürzter Robinien auf der Michendorfer Chaussee in den Vormittagsstunden aufgrund des stürmischen Wetters. Von einem „guten Rutsch“ ins Jahr 2007 mag daher keiner der Feuerwehrleute sprechen, vom Rutsch an der Stange einmal abgesehen – den haben sie reichlich geübt.

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