zum Hauptinhalt
Anne Andres hat kein Problem mit der Privatsphäre. Sie zeigt ihr Blockhaus gern vor und liefert dazu noch eine fundierte Führung durch die russisch-preußische Geschichte.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Druschba macht hungrig

In der Russischen Kolonie wurde zwei Tage gefeiert, gesungen, gespielt und alles weggefuttert

Stand:

Nauener Vorstadt - „Wir haben uns diesmal entschlossen, das Fest auf zwei Tage auszudehnen. Falls es wieder einen Tag regnet, bleibt uns noch der andere“ – das hatte Lutz Andres, Vorstand des Kultur Alexandrowka e. V., noch kurz vorm dritten Festival der russischen Kultur in der Alexandrowka erklärt. Im Vorjahr war das Fest nämlich im Platzregen ziemlich sang- und klanglos untergegangen.

Die Rechnung ging am Wochenende im doppelten Sinne auf. Der Regen hielt sich zurück, die Besucher nicht, sie kamen an beiden Tagen in Scharen. Und so radelte der Vereinschef im Andreaskreuz hin und her, um allen unter die Arme zu greifen, dem lesenden Thomas Sander, der noch schnell ein paar Exemplare seines fälschlich als Krimi angekündigten Buches „Abgebrannt“ zum Signieren bekam, anderen mit erklärendenWorten, um dann – das Fahrrad stehenlassend – in die Kutsche zu steigen und mit einigen im Empire-Stil gekleideten Damen durch die Gegend zu fahren, und um schließlich im eigenen Haus Geld für die Führungen zu kassieren, die seine Frau Anne mit viel Bravour und großen historischen Kenntnissen absolvierte. Das Andres-Haus, die Alexandrowka Nr. 12, war das einzige Haus, das einen Einblick in die Innenräume gewährte, die zwar für den Eigengebrauch ausstaffiert sind, gleichzeitig aber auch einen musealen Touch haben, um der erstaunten Besucherschaft zu zeigen, was man aus den einst für die Sängersoldaten genormten und sicher ziemlich spartanisch eingerichteten Räumen machen kann. Bei dem Andrang war eine Einbahnstraßenregelung unbedingt notwendig. „Fangen sie unten mit der Besichtigung an und verlassen sie es bei Feuer über die Freitreppe“, verlangte Andres lachend.

Halt, noch ein Haus hatte geöffnet, die Nr. 11. Sie kann man noch kaufen, muss allerdings eine Menge Geld in die Sanierung stecken. Seit einem Jahr wird das Haus von der Maklerin Sabine Mehlitz angeboten, die sich über die vielen Nachfragen am Sonntag aber recht zufrieden zeigte.

Und so trübte weder Langeweile, natürlich auch kein Feuer, nur ganz zum Schluss ein Regenguss das Fest. Und die Erzählung „Abgebrannt“ hatte auch ziemlich wenig mit dem Brand im Haus Nr. 7 zu tun, in dem 1856 die Witwe Schischkoff wohnte. Es ging vielmehr um ihren Transvestiten-Sohn, der es mit zwei Unteroffizieren getrieben hatte. Was in Preußen strafbar war und ihm Gefängnis einbrachte, den Soldaten aber nicht. Eine Farce. Die Zuhörer nahmen die Krimi-Abweichung erstaunt zur Kenntnis.

Offenbar hatte sich am Samstag noch nicht so richtig herumgesprochen, dass eine lange Nacht geplant war, denn die Russische Kolonie leerte sich gegen 18 Uhr zusehends, nachdem bei Märchen, Essen und Trinken und dem Gesang des St. Petersburger Chores die eigene „russische Seele“ prächtig gestreichelt worden war. Die Sänger hatten bei tröpfelndem Regen einen sehr guten Schauplatz gewählt, das Haus der Grigorieffs. Sie gelten als letzte Nachfahren der Sängersoldaten.

Erstmalig hatten am Sonntag mehrere Hausbewohner ihre Gärten geöffnet und sich einiges einfallen lassen, um ihre Gäste gegen einen Obolus mit Essen und Trinken zu versorgen. Sie hatten allerdings nicht mit einem solchen Ansturm gerechnet. „Wir sind völlig kahl gegessen“, meinte zum Beispiel Monika Duif vom Haus Nr. 3. 160 Bratwürste habe man verkauft und Obst kostenlos zum Naschen hingestellt. Alles weg. Sogar das Brot zur Eigenversorgung sei drangegeben worden. Auch in der 13 musste noch Schmalz nachgeordert werden. Wodka war allerdings noch vorhanden. Im Kaffee-Restaurant in der Nr. 1 ging nicht nur der Borschtsch weg wie warme Semmeln, auch die kalte Okroschka fand ihre Liebhaber. Das Rezept ist kein Geheimnis: Kefir, Buttermilch, Gurken, Radieschen, Fleischwurst und viele Kräuter. Die erfolgreiche Bilanz zweier deutsch-russischer Druschba-Freundschaftstage:  Es kamen über 10 000 Besucher. Hella Dittfeld

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })