Landeshauptstadt: „Du sollst dich erinnern“
Freya Klier zeigt am kommenden Mittwoch auf dem Hermannswerderaner Abend ihren jüngsten Dokumentarfilm über den Aufstand am 17. Juni 1953
Stand:
Frau Klier, wie kam es dazu, dass Sie Ihren Film über den 17. Juni auf Hermannswerder vorstellen?
Mit Hermannswerder verbindet mich etwas: In den 80er-Jahren bin ich mit Stephan Krawczyk auf Hermannswerder aufgetreten. Eine Lehrerin der Schule hat sich daran erinnert und mich zu der Veranstaltung eingeladen.
Ihr Film „Wir wollen freie Menschen sein! Volksaufstand 1953“ wurde anlässlich des 60. Jahrestages des Aufstands im vergangenen Jahr produziert. War der Film ein Auftragswerk für einen Sender oder ist Ihnen das Thema ein persönliches Anliegen?
Der 17. Juni ist ein Problem unserer Generation. Ich bin Jahrgang 1950. Wir sind mit einer furchtbaren Gehirnwäsche aufgewachsen. Der 17. Juni war in unseren Geschichtsbüchern immer der fachistische Putsch, bei dem eine KZ-Aufseherin befreit wurde. Das war, wie wir heute wissen, eine glatte Lüge. Aber wir DDR-Dissidenten mochten deshalb den 17. Juni nicht so recht. Ich hatte schon lange das Gefühl, eine Schuld gegenüber diesen mutigen Menschen von 1953 begleichen zu müssen. Bereits zum 50. Jahrestag des Aufstands habe ich einen Rundfunk-Essay für den damaligen SFB verfasst.
Im Zentrum Ihres Films steht Leipzig und nicht Berlin. Warum?
Das ist ein weiterer Grund, warum mir die Aufarbeitung des Aufstands so wichtig ist. Es war ein Volksaufstand in über 700 Ortschaften der DDR, in der Erinnerung ist er aber immer mehr zum Berliner Arbeiteraufstand geschrumpft. Die anderen Städte wurden damit ausgeblendet. Mein Ziel ist es schon ganz lange, das geradezurücken.
Auch Kinder kommen bislang wenig in der Aufarbeitung vor.
Ja, zu wenig. Ich habe zwei Jungen in den Mittelpunkt gestellt, von denen einer noch lebt, der aber als 10-Jähriger einen Bauchschuss erlitten hat. Ein 15-Jähriger wurde erschossen. Ich habe versucht, in Spielfilmszenen die Geschichten nachzustellen. Das ist auch für Schüler sehr eingängig.
Die meisten Ihrer Filme und Bücher setzen sich mit der Aufarbeitung von Diktaturen auseinander. Sie werden auch als Demokratie-Lehrerin bezeichnet. Lässt Sie das Thema gar nicht los?
Auf meiner Webseite habe ich mein elftes Gebot stehen: „Du sollst dich erinnern!“ Ohne Erinnerung können wir die Gegenwart nicht gestalten und die Zukunft erst gar nicht. Aber es wird immer schwerer, zu vermitteln, was Diktatur bedeutet. Die jungen Leute wachsen in unserer Demokratie auf. Auf Schülerprojekttagen werde ich manchmal gefragt, warum wir damals nicht einfach als Protest E-Mails geschrieben haben. Sie haben keine Ahnung davon, was es heißt, in einer Diktatur zu leben. Dabei haben wir noch heute mehr als 50 Diktaturen. Das ist also auch für die junge Generation wichtig.
Bei der Kurzbeschreibung zu Ihrem Film fallen einem die Bilder über die Kundgebungen auf dem Maidan in Kiew ein, etwa dass Verwundete aus Krankenhäusern flohen, um den Schikanen des Staates zu entgehen. Sehen Sie diese Parallele zu dem Protest in der Ukraine ein?
Unbedingt. Eine Parallele ist, dass auch der Volksaufstand am 17. Juni 1953 keine Chance auf Erfolg hatte, weil die Sowjets die DDR okkupiert hatten. Erst als Gorbatschow 1989 nicht mehr eingriff, hatte ein Volksaufstand Erfolg. Auch in der Ukraine mischt der russische Geheimdienst kräftig mit und überall in den ehemaligen Sowjetrepubliken sitzen Leute von denen. Das macht es auch so schwer beim Ringen um Demokratie.
Für den Film haben Sie viel in Archiven recherchiert? Haben Sie überall Zugang gefunden?
Ich mache seit 25 Jahren Filme und Bücher zur Aufarbeitung. Ich kenne die deutschen Archive und auch die Menschen, die dort arbeiten. Ich weiß, wo etwas zu finden ist. Für diesen Film allerdings wäre es mir wichtig gewesen, auch im russischen Militärarchiv zu suchen, um Akten über den Tod des 15-jährigen Paul Ochsenbauer zu finden. Ich habe es über verschiedene Kontakte versucht, über Journalisten, Grünen-Abgeordnete in Brüssel. Aber schon seit Putins erster Amtszeit sind die russischen Archive fast komplett geschlossen, da geht nichts mehr.
Das Gespräch führte Grit Weirauch
Hermannswerderaner Abend am 19. Februar, um 19 Uhr in der Aula des Evangelischen Gymnasiums
Freya Klier wurde 1950 in Dresden geboren. Sie studierte Schauspiel und Regie und ist Mitbegründerin der DDR-Friedensbewegung. Seit ihrer Ausbürgerung 1988 lebt sie in Westberlin.
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