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Landeshauptstadt: Ein Abschied

150 Menschen gedachten am Freitagabend im Potsdamer Stadtteil Schlaatz Elias und Mohamed. Kerzen wurden angezündet, es flossen viele Tränen

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Am Schlaatz – Anja Berger fällt es sichtlich schwer, ihre Tränen zu verbergen. Dennoch steht die junge Frau tapfer oberhalb der kleinen Treppe vor dem Bürgerhaus im Potsdamer Stadtteil Schlaatz und spricht zu den rund 150 Trauernden auf der Gedenkveranstaltung für Elias. Sie danke allen, die mitgeholfen hätten, zu suchen. „Wir und die Familie sind euch unendlich dankbar dafür. Ihr habt uns geholfen, jeder von euch.“ Nun sei es leider Gewissheit, dass man Elias nicht mehr in die Arme schließen könne.

Der sechs Jahre alte Junge war am 8. Juli spurlos verschwunden. Anja Berger ist eng befreundet mit dessen Mutter und ihrem Lebenspartner. Sie spricht auch für die Familie, die verständlicherweise an diesem Tag nicht hier vor Ort ist.

Ihre Trauer und ihren Schmerz über den grausamen Tod des Jungen teilten am Abend viele Anwohner und Nachbarn. Immer mehr Kerzen wurden auf der Treppe vor großen Plakaten mit den Bildern von Elias, dem vierjährigen Mohamed und auch von Inga platziert, dem Mädchen, das im Mai nahe Stendal in Sachsen-Anhalt verschwand und noch immer vermisst wird. Direkt vor dem Foto von Elias legte jemand einen weißen Plüschhasen ab, weitere Stofftiere kamen hinzu sowie rote und weiße Rosen.

Dann legte sich wie auf ein unsichtbares Zeichen Stille über den Platz zwischen den Plattenbauten, nur das Bellen eines Hundes in der Ferne störte kurz die Ruhe. Immer wieder hielten sich Trauernde fest in den Armen. Seelsorger standen bereit, um zu helfen.

Eine ältere Frau schaute gedankenverloren auf das Lichtermeer der Kerzen. Sie habe damals im Juli mitgeholfen und für die freiwilligen Helfer Brötchen geschmiert und Kaffee gekocht, sagte sie. Die meisten Anwesenden waren bei der Suche nach dem Jungen aktiv dabei und durchkämmten im Sommer gemeinsam mit der Polizei die Plattenbausiedlung tagelang ergebnislos. Jetzt haben sie Gewissheit, immerhin.

„Was geht in einem solchen Menschen vor? Wie kann man einem kleinen Jungen so etwas nur antun?“, hieß es immer wieder unter den zusammengekommenen Menschen. Trauer, sprachloses Entsetzen, Wut - und doch auch bei dem ein oder anderen Erleichterung, dass jetzt klar ist, was mit Elias passierte. Er habe selbst eine kleine Tochter, sagte ein früherer Nachbar von Elias und dessen Mutter, die schon vor Monaten aus dem Stadtteil wegzog, den PNN. „Wir lassen die Kinder nicht mehr aus den Augen.“ Dennoch sei er erleichtert. „Aber man weiß ja nicht, wie viele solcher Täter es noch gibt.“

Am Schlaatz verbreitete sich die Nachricht, dass Elias mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso wie der vierjährige Mohamed von Silvio S., einem 32-jährigen Brandenburger aus Kaltenborn bei Niedergörsdorf ermordet worden ist, am Vormittag in Windeseile.

Anja Berger war gerade an ihrem Arbeitsplatz, als sie davon hörte. „Ich habe die Zeit und alles um mich herum vergessen. Ich musste weinen, fing an zu zittern“, sagte sie. Dann habe sie den Lebenspartner der Mutter von Elias angerufen. „Der wusste noch nichts. Das war schlimm.“ Aber immerhin besser als es über die Medien zu erfahren, sagte Berger. Im Juli habe sie wochenlang Elias’ Mutter beigestanden und die Familie unterstützt. Die Polizei hatte am Freitag jedoch versichert, die Mutter von Elias sei informiert worden, bevor die Nachricht an die Öffentlichkeit gegeben worden sei.

Auch die Stadtteilpfarrerin vom Schlaatz, Ute Pfeiffer, reagierte betroffen auf die Nachricht im Fall von Elias. Eigentlich habe sie am Freitag in den Urlaub fahren wollen. Stattdessen nahm sie an der Trauerfeier in ihrem Kiez teil. „Wir haben so lange verzweifelt gesucht, gehofft, manche haben gebetet. Das ist jetzt für uns natürlich ein Schock“, sagte Pfeiffer. „Unsere schlimmsten Befürchtungen sind jetzt offensichtlich eingetreten.“ Nun bleibe nur, Abschied zu nehmen. Es werde aber noch dauern, bis die Menschen hier einen Schlussstrich ziehen könnten, meinte Pfeiffer. Elias sei ein „Kind von uns hier im Kiez“ gewesen, sagte sie. Man habe gemeinsam nach dem Kind gesucht und so wie der Schlaatz gesucht habe, trauere der Schlaatz auch – zusammen. Schlimm sei vor allem, wie der Junge gestorben sei. „Da fehlen sogar mir als Pfarrerin die Worte“, so Pfeiffer.

Wenn das Grauen etwas Gutes in sich tragen kann, dann ist es vielleicht der Zusammenhalt im Kiez.

Darauf spielte auch Anja Berger in ihrer kurzen Rede vor den Trauernden an. Was sie persönlich aus den vergangenen Monaten seit dem Verschwinden von Elias mitnehme sei, dass man Zusammenhalt und Hilfe finden könne, auch bei Fremden. „Und dass man jeden Tag mit seinen Liebsten genießen sollte, als wäre er der letzte.“

Stefan Engelbrecht

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