
© David Shankbone
Jüdischer Widerstand zur NS-Zeit: Ein Akt der Selbstbehauptung
Potsdamer Historiker stellen fest, dass es auch einen jüdischen Widerstand gegen das NS-System gab. Doch dessen Spielraum war denkbar klein. Das oft bemühte Bild wehrloser jüdischer Opfer sei jedoch zynisch, sagt Julius H. Schoeps vom Potsdamer Moses-Mendelsohn Zentrum.
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Ein jüdische Zwangsarbeiter war nachts aus dem Arbeitslager Sasow in Galizien ausgebrochen. Nicht um zu fliehen oder sich Partisanen anzuschließen, sondern um seine Frau und seine Kinder, die am Tag zuvor getötet worden waren, aus einem Massengrab zu bergen. Er brachte sie auf einen vier Kilometer entfernten jüdischen Friedhof, um sie dort zu begraben. Dann kehrte er als gebrochener Mann in das Lager der NS-Besatzer zurück. Diese Begebenheit erzählte der US-Historiker Martin C. Dean auf der Konferenz zum jüdischen Widerstand gegen die NS-Vernichtungspolitik. Auch dies sei ein Akt des Widerstands gewesen, so Dean.
In auswegloser und verzweifelter Situation die menschliche Würde zu wahren, diese Selbstbehauptung halb ausgemergelter Zwangsarbeiter sei als Widerstandshandlung gar nicht hoch genug einzuschätzen, hatte der Direktor des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums, Julius H. Schoeps, zuvor angemerkt. Dass es überhaupt so etwas wie einen jüdischen Widerstand gegen den deutschen Völkermord im Zweiten Weltkriege gegeben hat, ist erst seit einigen Jahren Thema der Historiker. Bekannteste Beispiele sind der Aufstand im Warschauer Ghetto im April 1943 oder die Aufstände von Treblinka und Sobibor. Dass es aber auch im Alltäglichen eine Vielzahl von Widerstandshandlungen gegeben hatte, sei heute nur noch bekannt, insofern die Betroffenen überlebten und damit davon berichten konnten. Die jüdischen Wissenschaftler Raul Hilberg und Hannah Arendt maßen dem jüdischen Widerstand keine Bedeutung zu. Auch im Nachkriegsdeutschland fiel der Fokus schnell auf den Widerstand, der es auf das NS-System als Ganzes abgesehen hatte. Kleinere und zumeist aussichtslose Aktionen blieben bis in die 80er-Jahre von der Historiografie meist unbeachtet.
Das oft bemühte Bild von den Juden, die sich widerstandslos wie Schafe zur Schlachtbank hätten treiben lassen, hatten einst Historiker geprägt. Dies sei – wenn auch ungewollt – zynisch gewesen, würde es doch unterschwellig unterstellen, dass die Juden selbst Schuld an ihrem Schicksal seien, sagte Schoeps, der mit dem MMZ die internationale Tagung am Holocaust-Gedenktag ausrichtete. Das Bild sei schlichtweg falsch. Es rührt wohl eher daher, das der Widerstand oft aussichtslos blieb. Zwar habe es auch bei der Selektion an der Rampe Widerstand geben, sagte die Historikerin Sara Berger. Doch die Übermacht des ausgeklügelten Vernichtungssystems der Nationalsozialisten ließ auch solches Aufbäumen meist ins Leere laufen. Gerade in den großen Vernichtungslagern wie Belzec, Treblinka oder Auschwitz trieben die Mörder ihre Opfer in die Enge. Bei Anzeichen von Widerständigkeit wurden Angehörige im Familienblock wie auch Mithäftlinge in Sippenhaft genommen und ermordet. Der Spielraum für Widerstand oder gar Aufstand war hier äußerst gering. Zumal dem Lagersystem immanent war, dass die Insassen schnell gegenseitig zu Feinden wurden, wie Robert Jan van Pelt anmerkte. Solidarität hatte es hier schwer.
In den zahllosen Zwangsarbeitslagern Osteuropas, die von der deutschen Industrie betrieben wurden, war das Sicherheitssystem offensichtlich etwas durchlässiger. Wie Martin C. Dean am Beispiel von Lagern in Galizien und dem Warthegau zeigen konnte, flüchteten Häftlinge nachts oft in die Wälder, um etwaigen Vernichtungsaktionen in den Lagern zu entgehen. Tagsüber kehrten sie erstaunlicherweise meist zurück, weil es zwischen den Mordaktionen in den Arbeitslagern sicherer war als draußen. Vonseiten der polnischen und ukrainischen Bevölkerung erhielten Juden kaum Hilfe, vielmehr drohte ihnen Denunziation und Ermordung, auch war der Verfolgungsdruck durch SS und die ukrainische Polizei hoch.
Wie die Tagung zeigte, war gerade auch die mangelnden Unterstützung der jüdischen Verfolgten durch die restliche Bevölkerung eine der Ursachen dafür, dass Widerstand es so schwer hatte. So waren Juden zum Beispiel auch bei Partisanen nicht gerne gesehen. In Deutschland selbst spielten sie im Widerstand auf nationalstaatlicher Ebene keine Rolle. „Heute ist weitgehend verdrängt, dass für den deutschen Widerstand das Schicksal der Juden – wenn überhaupt – nur von marginaler Bedeutung gewesen ist“, sagte Schoeps. „Die Männer des 20. Juli stellten sich zwar gegen Hitler, wollten aber mit den Juden nichts zu tun haben.“
Wenn man berücksichtige, dass es für Juden schwer war, an Waffen zu kommen, dass sie sich nicht frei bewegen konnten und durch gezielte Täuschung entmutigt und demotiviert waren, sei es erstaunlich, dass es dennoch eine Vielzahl alltäglicher Widerstandsaktivitäten gegeben habe, so Schoeps. Er nannte als Beispiel den Kölner Richard Stern, der sich während des Boykotts gegen jüdische Geschäfte am 1. April 1933 demonstrativ mit seinem Eisernen Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg vor sein Geschäft stellte. Er habe auf Hitlers Diktum verwiesen, dass auf Beleidigung von Frontsoldaten Zuchthaus stehe. Stern konnte noch rechtzeitig in die USA fliehen und kehrte zum Kriegsende als GI zurück. „Wenn man so will, war es ein deutscher Jude, der mithalf, seine Heimatstadt zu befreien“, so Schoeps.
Dass die Aufstände in den Vernichtungslagern von Sobibor und Treblinka letztlich nur rund 50 bis 60 Flüchtende überlebten, während Hunderte Häftlinge zur Vergeltung ermordet wurden, ist für die Historikerin Sara Berger kein Zeichen von Bedeutungslosigkeit der Aktionen. Ganz im Gegenteil. Zum einen hätten die Flüchtlinge die Insassen anderer Ghettos vor bevorstehenden Vernichtungsaktionen warnen und dort wiederum Widerstand hervorrufen können. Zum anderen hätten sie Zeugnis vom Massenmord ablegen können und somit erst eine Grundlage dafür schaffen, dass die Täter vor Gericht gestellt werden konnten. Insofern sei die bisherige Annahme von der Bedeutungslosigkeit des jüdischen Widerstands widerlegt.
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