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Otto Becker war von 1910 bis 1945 Organist und Glockenist der Garnisonkirche.

© Potsdam Museum

Garnisonkirche in Potsdam: „Ein Amt von Gottes Gnaden“

Am Montag wäre Otto Becker, der Organist und Glockenist der Garnisonkirche, 150 Jahre alt geworden. Am heutigen Sonntag wird in der Friedenskirche an ihn erinnert.

Potsdam - Der Berliner Schriftsteller Ludwig Sternaux begleitete Ende der 1920er-Jahre den Glockenisten und Organisten Otto Becker bei seinem Weg zur Spielwerkkammer im oberen Turmgeschoss der Garnisonkirche. „Eine Gestalt von Amadeus Hoffmann, dem Gespenster-Hoffmann, so auch klimmt vor uns der kleine Professor Becker... , unser freundlicher Führer, die Treppe hinauf, verschwindet bei Biegungen, taucht wieder auf – im Pelz mit dem hoch geschlagenen Kragen, Noten unterm Arm, das Schlüsselbund in der Hand, mahnend, tröstend, zuweilen unverständlich vor sich hinmurmelnd“, schreibt Sternaux in seinem Feuilletonband „Unter dem Glockenspiel“. Von 1910 bis zum 13. April 1945 bestieg Otto Becker fast täglich den Turm, um das Glockenspiel des barocken Gotteshauses in Bewegung zu setzen.

Becker spielte auch in der Potsdamer Synagoge - bis sie 1938 zerstört wurde

Eine Gedenkstunde, veranstaltet von der Stiftung Garnisonkirche, erinnert am Sonntag in der Friedenskirche Sanssouci an Otto Becker. Andreas Kitschke, Kenner der Regional- und Kirchengeschichte Potsdams, ist zu einem Vortrag über den Kirchenmusiker eingeladen, der am 24. Februar 1870, also vor 150 Jahren in Breslau geboren wurde, in seiner Heimatstadt und in Berlin studierte. Bevor er 1910 nach Potsdam kam, wirkte er in Berlin als Organist und Hochschullehrer. Das Musizieren auf dem Glockenspiel der Garnisonkirche in Potsdam machte ihn dann weithin bekannt. Dem stand der Ruf eines vorzüglichen Organisten in nichts nach. Becker, der während seiner Berliner Zeit mit dem Komponisten Max Reger bekannt war, setzte sich für das Orgelwerk des Spätromantikers Reger ein, das damals wegen „Unspielbarkeit“ weitgehend gemieden wurde. Zur Feierstunde wird Kantor Johannes Lang an der Woehl-Orgel verschiedene Reger-Werke zu Gehör bringen.

Konzerte auf der Wagner-Sauer-Orgel in der damaligen Garnisonkirche gehörten neben den liturgischen Aufgaben zu Beckers Aufgaben. In einem Brief schrieb er „Das Orgelspiel sollte immer eine Predigt in Tönen sein. Für mich ist die Orgel ein Sprachrohr Gottes, und mein Organistenamt erachte ich als ein Amt von Gottes Gnaden.“ Auch die Kammermusik pflegte er regelmäßig, oftmals mit seiner ersten Frau, der Violinistin Bianka Samolewski. Im Nebenamt spielte er auf der Orgel der Potsdamer Synagoge. Bis zum 9. November 1938. Der Tag nach der Reichspogromnacht, einer der dunkelsten der deutschen Geschichte, bedeutete das Aus für die jüdische Gemeinde. Freunde des protestantischen Kirchenmusikers mussten nun den Judenstern tragen, wurden in Vernichtungslager verschleppt und getötet.

Nach der Bombardierung am 14. April 1945 verstummt sein Instrument

Die mehr als 2000 Glockenspielkonzerte von Becker waren legendär. Hunderte Potsdamer und Besucher der Stadt lauschten den Klängen, nicht nur den seit 1797 mehrmals täglich erklingenden Melodien von „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ und „Üb immer Treu’ und Redlichkeit“, sondern auch dem weit gespannten Repertoire aus der Musikgeschichte. Sigrid von Rohr, die Witwe des Hitler-Gegners Hansjoachim von Rohr erinnert sich: „Mein Mann war nach dem 20. Juli 1944 von der Gestapo verhaftet und nach Potsdam transportiert worden. Das Gestapogefängnis lag nahe der Garnisonkirche, und das Glockenspiel war für viele Gefangene ein täglicher Trost, besonders auch die Sonntage, wenn das Programm etwas länger war.“ Am 14. April 1945 verstummte das Instrument. Die Feuerflammen der Zerstörung Potsdams trafen auch die Garnisonkirche. Sie erreichten den Ort, wo das Verbrechen zwölf Jahre zuvor seinen Lauf nahm. Neun Jahre später, am 16. Oktober 1954 starb Otto Becker.

1991 übergab die „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“ der Stadt Potsdam ein Carillon, das seitdem auf der Plantage steht. Schon damals war die Aufstellung unumstritten. Laut einem Offenen Brief von 100 teils namhaften Künstlern, Wissenschaftlern und Architekten gegen das Carillon entfernte die Stadt „Widmungen an die ehemaligen deutschen Ostgebiete an sieben Glocken“ damals stillschweigend.

Im September 2019 wurde es endgültig abgeschaltet. Im Zuge des Wiederaufbaus des Turms waren im Herbst Experten im Auftrag die Garnisonkirchen-Stiftung in Holland unterwegs, um ein neues Glockenspiel mit historischer Stimmung für die neue Garnisonkirche in Visier zu nehmen.

Beginn des Gedenkveranstaltung mit Musik und Vortrag ist am heutigen Sonntag um 15 Uhr in der Friedenskirche Sanssouci.

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