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Landeshauptstadt: Ein Anruf nach Haifa

Schüler der Voltaire-Schule suchen im Landeshauptarchiv nach Lebensspuren von Potsdamer Juden

Bornim – Jede Lampe, jeder Stuhl, jeder Spiegel steht in der Liste. Zimmer für Zimmer hat Bertha Simonsohn aufgeschrieben, was ihr Hab und Gut ist. Auch über ihre Familienverhältnisse und die Wohnorte der Verwandten gibt sie Auskunft. Denn das Finanzamt Potsdam wollte eine 16-seitige „Vermögenserklärung“ von ihr. Reine Routine: Alle Juden mussten am Tag vor ihrer Deportation genauestens angeben, was sie dem Staat hinterlassen, erklärt Monika Nakath, Abteilungsleiterin im Landeshauptarchiv auf dem Windmühlenberg in Bornim.

Dort hatte Monika Nakath gestern Besuch von neun Schülern der Voltaire-Gesamtschule. Zusammen mit Religionslehrerin Ulrike Boni-Jacobi kamen die Schüler der 8 c, um in den vergilbten Vermögensakten nach Lebensspuren von Bertha Simonsohn zu suchen. Denn die Klasse beteiligt sich am „Stolpersteine“-Projekt. Dabei handelt es sich um ein Gedenkprojekt für ermordete Juden: Seit 1997 verlegt der Kölner Künstler Gunter Demnig Messingtafeln mit Namen und Lebensdaten vor der letzten Wohnung der Ermordeten. In Potsdam sollen die ersten Steine am 3. Juli 2008 verlegt werden.

Ein Stolperstein soll dann auch vor Bertha Simonsohns letzter Wohnung in der Brandenburger Straße 19 in den Gehweg eingelassen werden. Bis dahin wollen die Schüler allerdings noch mehr über ihr Leben herausfinden. Dafür sind die peinlich genauen Notizen des Finanzamts, das damals am Luisenplatz saß, sehr hilfreich.

Tatsächlich gibt es bereits zwei heiße Spuren: Ins US-amerikanische Florida und nach West Essex, erzählt Josefine. In England gibt es eine Lampen-Fabrik, die möglicherweise Angehörigen von Simonsohn gehört, hat die 13-Jährige zusammen mit ihren Mitschülern herausgefunden. Auch ein Brief ist schon auf dem Weg. Auf Antwort wartet Josefine noch: „Es ist interessant, weil man noch nicht weiß, was wirklich passiert ist.“

Die 13-jährige Hanna-Luise konnte dagegen schon den ersten Erfolg verbuchen: Nach mehreren Telefonaten mit der deutsch-jüdischen Gesellschaft und der israelischen Botschaft fand sie einen Nachkommen der Familie Gormanns, für die auch Stolpersteine verlegt werden sollen. Denn Kurt Gormanns, der älteste Sohn der vierköpfigen Familie, ist bereits 1936 im Alter von 16 Jahren ausgewandert. Im damaligen Palästina machte er eine Kellnerlehre und wohnt heute in Haifa. Vor wenigen Tagen rief Hanna-Luise in Israel an. Aufgeregt sei sie da schon gewesen: Würde sie Deutsch oder Englisch sprechen müssen? Und war Kurt Gormanns der, den sie suchte? „Es war ja unklar, ob er das wirklich ist“, sagt Hanna-Luise. Erleichterung: Auch wenn Gormanns krank ist und selbst nicht ans Telefon konnte, redete die Potsdamerin mit seiner Frau: „Sie spricht Deutsch.“ Die Frau riet ihr, einen Brief mit allen Fragen zu schicken. Besonders eines bleibt Hanna-Luise im Ohr: „Sie hat sich mit Schalom verabschiedet.“ Der Brief ist schon verschickt, jetzt wartet Hanna-Luise auf Antwort: „Vielleicht haben sie ja ein Foto“, hofft sie.

Der Stolz auf die Teilnahme am „Stolpersteine“-Projekt ist der 13-Jährigen anzumerken: „Es ist eine große Aufgabe“, sagt sie. „Es ist wichtig, dass über das Schicksal der Menschen berichtet wird“, fügt die 14-Jährige Nele hinzu. Die Ergebnisse der Recherche sollen im Rahmen der „Stolperstein“-Verlegung im Filmmuseum präsentiert werden.

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