Von Gabriele Schönherr: Ein Dieb am Sternenhimmel
Der Röntgenpulsar Hercules X-1 strahlt auf Kosten seines Nachbarn HZ Herculis
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Im gegenwärtigen Jahr der Astronomie berichten Potsdamer Astrophysiker regelmäßig in den PNN von ihren liebsten Himmelskörpern.
Wer kennt schon Hercules X-1? Vermutlich kaum jemand. Denn Hercules X-1 leuchtet, unsichtbar für das menschliche Auge, am Röntgenhimmel. Erst seit 1962 wissen wir, dass es auch außerhalb des Sonnensystems Röntgenquellen gibt, eine Entdeckung, die dem italienischen Forscher Riccardo Giacconi den Nobelpreis einbrachte. Hercules X-1 wurde dann 1971 mit dem neuen Röntgensatelliten Uhuru entdeckt und als erste Quelle im Sternbild „Hercules“, die Röntgenstrahlung (englisch: „X-rays“) aussendet, benannt.
Anders als die optische Astronomie, die Beobachtung von visuell sichtbarem Licht, ist die Röntgenastronomie auf Beobachtungen aus dem Weltraum angewiesen. Denn Röntgenstrahlen werden von der schützenden Erdatmosphäre abgeblockt. Wäre das menschliche Auge für Röntgenlicht empfindlich und gäbe es keine Atmosphäre, so würden wir an Stelle des uns bekannten ruhigen Sternenhimmels ein spektakuläres, ständig bewegtes Szenario bestaunen. Der Röntgenhimmel ist ein Fenster zum heißen und explosiven Universum.
Hercules X-1 ist Teil eines Doppelsternsystems. Doppelsterne sind nichts Ungewöhnliches. Werden zwei Sterne nahe beieinander geboren so können sie in ihrer Bewegung aneinander gebunden bleiben. Sie kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt und entwickeln sich ansonsten zunächst weitgehend unabhängig voneinander über verschiedene Stadien eines Sternlebens weiter. Normale Sterne, ähnlich unserer Sonne, leuchten, indem sie in ihrem Inneren erst leichte, dann schwerere Elemente durch Kernfusion „verbrennen“. Spannend wird es, wenn einer der beiden Sterne sein Endstadium erreicht. So ging dem Vorgängerstern von Hercules X-1 eines Tages der Brennstoff aus. Das Gleichgewicht zwischen Strahlungsdruck nach außen und eigener Schwerkraft war zerstört, der Stern plötzlich instabil. In einem explosiven Prozess, einer Supernova, stieß er seine äußere Hülle ab und kollabierte zu einem Neutronenstern.
Neutronensterne sind unvorstellbar kompakt. Die elementaren Bausteine normaler Materie, Elektronen und Protonen, sind im Sterninneren zu dicht gepackten Neutronen verschmolzen. Hercules X-1 komprimiert die fast Millionenfache Masse der Erde auf nur zehn Kilometer Radius und bekommt damit wahrhaft herkulische Kräfte. Zu Besuch auf Hercules X-1 wären wir 100 Milliarden Mal schwerer als auf der Erde – eine ungemütliche Vorstellung! Wegen der hohen Schwerkraft wird selbst das Licht auf seiner Bahn abgelenkt. Nur Schwarze Löcher haben eine noch größere Schwerkraft: hier entkommt das Licht dem Gravitationspotenzial gar nicht mehr.
Aber wieso kann Hercules X-1 überhaupt leuchten – ohne Brennstoff? Der Neutronenstern bestiehlt den Blauen Riesen „HZ Herculis“, seinen zwar hunderttausendfach größeren, aber schwächeren Begleitstern. Mit seiner extremen Schwerkraft verformt der Neutronenstern den Riesen und saugt ihm gar Masse ab („Akkretion“). Unter Bildung einer sogenannten Akkretionsscheibe fließt die Materie zum Neutronenstern über. Sie trifft dort mit extrem hoher Geschwindigkeit auf die magnetischen Pole auf, wird plötzlich abgebremst und in Röntgenstrahlung umgewandelt.
Hercules X-1 ist gut 20 Tausend Lichtjahre von uns entfernt. Wir können die beiden Sternpartner optisch nicht trennen, sondern das Doppelstern-System erscheint uns als Lichtpunkt. Der Name Hercules X-1 / HZ Herculis bezeichnet daher streng genommen das Gesamtsystem bezüglich seiner Röntgen- oder optischen Abstrahlung. Alles Wissen über die beiden Einzelsterne, ihre Bewegung und die Akkretion muss aus der Analyse des empfangenen Lichts Schritt für Schritt erschlossen werden.
So verraten alle 1,24 Sekunden auftretende Strahlungspulse, dass der Neutronenstern ein Pulsar ist, ein schnell rotierender Neutronenstern mit einem sehr starken Magnetfeld. Für Hercules X-1 messen wir eine Feldstärke von mehreren Billionen Gauß. Zum Vergleich: das Erdmagnetfeld bringt es gerade einmal auf ein halbes, das Sonnenmagnetfeld auf ein Gauß. Das Feld bündelt die Strahlung stark an den magnetischen Polen des Neutronensterns. Ähnlich einem Leuchtturm treffen die Strahlungskegel bei jeder Umdrehung den Beobachter und erzeugen periodische Strahlungspulse.
Aus einer weiteren Periodizität des Lichts erschließt sich die Bahnbewegung der beiden Sterne umeinander: Knapp zwei Tage dauert ein Umlauf. Dabei verdeckt manchmal der eine Stern den anderen und blockt dessen Strahlung ab – beobachtbar als kurzer Helligkeitseinbruch. Eine weitere, sehr spezielle Variabilität von Hercules X-1 ist ein 35-Tage-Intensitäts-Zyklus, interpretiert als ein „Wackeln“, eine Präzessionsbewegung der Akkretionsscheibe, die sich zwischen Strahlung und Beobachter schiebt. Und so gehört Hercules X-1 zwar zu den beststudierten Objekten der Röntgenastronomie, sein Licht bietet jedoch auch weiterhin noch viel Entdeckungspotenzial.
Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Referentin des Vorstands am Astrophysikalischen Institut Potsdam.
Gabriele Schönherr
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