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Homepage: Ein Geflecht von Gründen

Potsdamer Militärhistoriker analysiert, warum bei der Nationalen Volksarmee der DDR in der Wendezeit die Waffen schwiegen

Stand:

Die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR hat im Herbst 1989 nicht auf die demonstrierenden Volksmassen geschossen. Sie deshalb als einen „Garanten der friedlichen Revolution“ zu betrachten, wäre jedoch verfehlt, erklärte Major Heiner Bröckermann vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam (MGFA) unlängst in einem Vortrag. Vielmehr war die NVA langfristig auf den Einsatz auch im Inneren, also gegen das eigene Volk, vorbereitet worden. Dafür wurden, als sich die friedliche Revolution abzeichnete, nicht weniger als 179 Hundertschaften in Bereitschaft versetzt. Sie sollten zum 40. Jahrestag der DDR die Staatsgrenzen sichern und einen störungsfreien Ablauf der Feiern gewährleisten.

Noch nach dem Mauerfall wurden am 10. November auch im Potsdamer Raum stationierte Truppen alarmiert. Tags darauf befahl Minister Keßler sogar, die von Demonstranten besetzte Berliner Mauer militärisch räumen zu lassen – ein Befehl, dem der stellvertretende Minister und Chef der Landstreitkräfte Generaloberst Horst Stechbarth nicht folgte. Sein Kommando befand sich in der heutigen Henning-von-Tresckow-Kaserne in Potsdam.

In Sachsen ging die Volksarmee zwar nicht mit der Schusswaffe, aber mit Schlagstöcken und durch Sperrkettenbildung gegen Demonstranten vor. Ein Schwerpunkt war Dresden, wo an der Offiziersakademie „Friedrich Engels“ die NVA-Offizierselite ausgebildet wurde. Bröckermann wies darauf hin, dass das Militärregime der SED durch Teile der Bevölkerung unterstützt wurde. Die auf die Unterdrückung innerer Unruhen eingeschworenen Kampfgruppen der Arbeiterklasse hatten mehr als 200 000 Mitglieder. Beispielsweise in Babelsberg habe es eine beträchtliche Anzahl von „freiwilligen Helfern“ der Grenztruppen gegeben.

Warum schwiegen dann aber im Herbst 1989 die Waffen? Bröckermann legte dar, dass mit dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Niedergang und der anschwellenden Oppositionsbewegung die Friedenspolitik das einzige Feld blieb, auf dem sich die DDR international legitimieren konnte. Für die Volksarmee hatte Honecker 1988 einen Abbau um 10 000 Mann angekündigt. Zudem setzte die von Gorbatschow geführte Sowjetunion die Waffenlieferungen herab und stellte klar, dass sie Militäraktionen der DDR gegen die Bevölkerung nicht unterstützen würde. Ab Ende der 1980er Jahre gab es zwischen Ost und West gegenseitige Manöverbeobachtungen, die erste bei „Sojus 1987“, wofür der Stützpunkt für die westlichen Militärs übrigens in Potsdam eingerichtet wurde. Dies weichte zwischen den Führungskräften das Feindbild auf, für den einfachen NVA-Soldaten blieb im Politunterricht die Bundeswehr aber eine „aggressive imperialistische Armee“.

Aus diesem Geflecht von Gründen heraus scheute die SED-Führung den Einsatz der NVA im Inneren. Sie sollte als letztes Mittel gegen die friedliche Revolution vorgehalten werden. Dies zeigte sich auch bei der Potsdamer Demonstration vom 7. Oktober 1989, für deren gewaltsame Auflösung ausschließlich die Polizei eingesetzt worden war. Zudem konnte sich die SED der Soldaten nicht mehr sicher sein. Ab Oktober 1989 kam es in den Kasernen zu einer Reihe von Protesten, in denen bessere Lebensverhältnisse und größere Freiheiten gefordert wurden. Leider nannte Bröckermann die größte Aktion dieser Art nicht, den Soldatenstreik von Beelitz in der Silvesternacht 1989.

Aus seinen noch keineswegs abgeschlossenen Forschungen zur Rolle der NVA „im Zeichen von Krise und Umbruch“ leitete Bröckermann ab, dass in der DDR 1989/90 durchaus ein Bürgerkrieg drohte. Dann wäre auch die Armee eingesetzt worden. Erhart Hohenstein

Erhart Hohenstein

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