zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: „Ein Gefühlscocktail, den man sich gar nicht vorstellen kann“

PNN-Chefredakteur Michael Erbach über seinen Weg zum Journalismus in der DDR, über literarische Ambitionen, Potsdamer Skandale in der Nachwende-Zeit und die PNN in vielleicht 60 Jahren

Stand:

Herr Erbach, welchen Fisch essen Sie am liebsten?

Zander. Der hat einen guten Eigengeschmack.

Mit Fischen kennen Sie sich aus, wird erzählt. Immerhin waren Sie früher Hochseefischer.

Mein großer Traum war es zur See zu fahren, Matrose bei der Handelsmarine zu werden. Das hing damit zusammen, dass man zu DDR-Zeiten aufgrund der Restriktionen und Reisebeschränkungen kaum Möglichkeiten hatte, die Welt zu sehen. Leider bin ich bei der Handelsmarine abgelehnt worden. Ich habe dann bei der Fischerei angefangen. Das war aber nicht so attraktiv.

Wie kamen Sie zum Journalismus?

Ich hatte bei den Hochseefischern einen Freund in der Klasse, der nur das Abitur machen und danach Journalist werden wollte. Davon habe ich mich anstecken lassen und habe dann die ersten Beiträge für die „Ostsee-Zeitung“ geschrieben. Danach habe ich ein Volontariat beim „Freien Wort“ in Suhl machen können. So bin ich in Leipzig gelandet und habe Journalistik studiert.

Ostsee-Zeitung und Freies Wort waren SED-Parteizeitungen, die BNN gehörte der NDPD.

Ich hatte in Suhl insofern Glück, dass die SED zu der Zeit keine neuen Mitglieder aus der Intelligenz aufgenommen hat. Mit Abitur gehörte man im Arbeiter- und Bauernstaat nämlich schon zur Intelligenz. Dadurch konnte ich lange Zeit parteilos bleiben. Ich habe es beim Studium bis ins dritte Studienjahr geschafft, ohne dass ich in die SED musste. Nachdem ich meine Frau kennengelernt habe, die aus der Nähe von Potsdam kommt, habe ich mich in Potsdam nach Arbeit umgeschaut. In der Redaktion der BNN in der Lindenstraße traf ich den damals stellvertretenden Chefredakteur Erhart Hohenstein. Ich habe zu ihm gesagt, dass ich im nächsten Jahr mein Studium abschließen würde und Arbeit brauche. Da meinte er nur: „Wir suchen einen Nachrichtenredakteur.“ Aber Bedingung war, dass ich in die NDPD eintreten müsste. Das habe ich auch gemacht.

Was haben Sie als Nachrichtenredakteur vor 1989 geschrieben?

Die BNN war unterm Strich ein gleichgeschaltetes Blatt – die Tageszeitung einer Blockpartei, die eng verbunden mit der SED gewesen ist. Dementsprechend sah auch die Zeitung aus. Ich war Nachrichtenredakteur und zur damaligen Zeit vom System des Sozialismus überzeugt. Ich habe meine Arbeit gemacht, ohne große Bauchschmerzen zu haben. Man hat auch vieles verdrängt, zum Beispiel wenn ich Sachen erlebt habe und genau wusste, darüber kannst du nicht schreiben. Die Arbeit hat sich also im hohen Maße darauf beschränkt, politisch offizielle Nachrichten wiederzugeben, weiterzuleiten oder selbst zu schreiben. Wir haben aber auch Kritisches, wenn es uns irgendwie möglich war, wiedergegeben.

Die BNN hat später, im Herbst 1989, dem Neuen Forum als erste lokale Zeitung vor Ort Platz eingeräumt, Sie waren der erste, der aus Westberlin berichtet hat. Was hatte sich verändert?

Wir haben bereits im Vorfeld des Mauerfalls angefangen kritischer zu schreiben. Das war, als die Kollegen von der SED-Zeitung noch treu zur Linie gehalten haben. Bei uns fielen allmählich die Restriktionen. Und die DDR-Kritiker, die die Wende vorangetrieben haben, suchten in jener Zeit nach einem Podium. Sie hatten ein tiefes Misstrauen gegenüber den SED-Zeitungen. Hauptproblem der Bürgerrechtsbewegungen war, dass sie nicht die Möglichkeit hatten, sich in den Medien öffentlich zu äußern. Und da waren wir in der Tat die ersten, die sie zu Wort kommen ließen. Wir haben Leserforen eingerichtet, Interviews mit Vertretern des Neuen Forum gemacht. Wir waren für diese Leute ein ganz wichtiger Ansprechpartner, weil wir für sie als gemäßigt galten und die BNN als Zeitung angesehen wurde, die man als Plattform benutzen kann.

Wie haben Sie diese Monate persönlich erlebt?

Es war ein Dauerzustand an Stress, Euphorie, Depression, Glücksmomenten – ein Gefühlscocktail, den man sich kaum vorstellen kann. Vieles war so neu, überraschend, gut, aber es ist auch viel zusammengebrochen, was man für richtig gehalten hatte – trotz aller persönlicher Distanz zur Weltanschauung der SED.

Jahrelang schreiben mit angezogener Handbremse, dann die Pressefreiheit. Vor welche Probleme hat sie das gestellt?

Wir mussten lernen, damit umzugehen. Aber ich glaube, wir haben das sehr gut hinbekommen. Denn wir haben eins gemacht: Wir sind vor allem zu einer Plattform geworden. Wir als BNN-Mitarbeiter haben mit unseren Lesern gemeinsam diese Zeit der Wende und der Veränderungen erlebt – und das hat sich in der Zeitung widergespiegelt.

Mitte der 90er Jahre waren die Jahre der Skandale.

Der Combino-Straßenbahnankauf und der Bau des Potsdam-Centers waren wirkliche Skandale. Beim Straßenbahnkauf gab es Ermittlungen wegen Bestechung, das Center war zum Teil ein Schwarzbau, übrigens aufgedeckt durch die Potsdamer Neusten Nachrichten. Es war einer meiner besten Artikel. Potsdam galt Mitte der 90er Jahre als die Jammerhauptstadt des Osten, der „Spiegel“ hatte das geschrieben. Das hing damit zusammen, dass die Stimmung schlecht war. Horst Gramlich war der erste Oberbürgermeister Deutschlands, der per Volksentscheid abgewählt wurde. Und wir hatten mit Detlef Kaminski einen Baubeigeordneten, der der heimliche Oberbürgermeister war. Er wurde aber auch gestürzt. Das waren spannende Zeiten, die weniger mit Umbruch, sondern schon mit dem Leben im neuen System zu tun hatten.

Für die sogenannte Combino-Affäre haben Sie den Wächterpreis bekommen. Ist das ein Preis auf den Sie stolz sind?

Ja, der Wächterpreis ist einer der begehrtesten Journalistenpreise.

Sie haben noch einen Preis.

Welchen?

Den Hans-Marchwitza-Literaturpreis.

Ach so. Ich war so ab 1987, als ich stellvertretender Chefredakteur wurde, zunehmend frustriert über die Situation. Aus dieser Frustration heraus habe ich ein Ventil gesucht. Das Ventil war Prosa zu schreiben. Ich hatte 1988 drei Monate Parteischule in Waldsieversdorf, dort wurde noch mal richtig Marxismus Leninismus gepredigt. Das war so furchtbar langweilig und frustrierend – da musste ich mir den Frust von der Seele schreiben.

Über den Journalismus in der DDR?

Über einen Journalistikstudenten, der sich furchtbar mit einer geforderten Glosse herumquält. Einerseits wollte er für Wahrheit und Ehrlichkeit einstehen. Andererseits wusste er, wenn er etwas zu Kritisches schreibt ist das Zeugnis schlecht und das Studium zu Ende. Er hat mit sich gekämpft. Am Ende schreibt er etwas ganz harmloses und ist dennoch zufrieden. Das Ganze ist eine Gesellschafts-Satire. Für „Jonas“ habe ich im Februar 1990 den Hans-Marchwitza-Preis, einen wichtigen Preis für DDR-Amateurschriftsteller, erhalten. Es gab 200 Mark Preisgeld – Ost-Mark.

Sie haben noch ein Buch geschrieben. „Tiefer See“, es handelt von Potsdam. War das auch ein Ventil, in dem Sie Erlebtes verarbeitet haben?

„Tiefer See“ entsprang fast der gleichen Motivation. Es ist ein Horror-Märchen. Eine böse Geschichte über Potsdam. Es war Mitte der 90er Jahre. Mich hat frustriert, dass das Glienicker Horn bebaut wurde, dass das Welterbe durch das Potsdam-Center bedroht wurde, es gab Korruptionsvorwürfe, die Gramlich-Abwahl, eine frustrierte Bevölkerung. Ich habe das Bild einer Stadt gemalt, die, zerfleischt von Korruption und Sünden dem Untergang geweiht ist. Reine Fantasie. Es sollte eine Mahnung sein.

Ihr Roman erschien erst 2003, da ging es Potsdam doch gut.

Ja, das schreiben hat lange gedauert. Als der Roman fertig war, gab es mit Matthias Platzeck einen neuen Oberbürgermeister, eine andere Stimmung. Ich habe ihn trotzdem veröffentlicht.

Warum ist Potsdam mit Platzeck an der Spitze schnell so erfolgreich geworden?

Potsdam hat einige positive Dinge, für die die Stadt zunächst einmal gar nichts kann: die Nähe zu Berlin, das Weltkulturerbe, die Landschaft mit Wasser und Wald, günstige Verkehrsverbindungen. Das gab es schon Mitte der 90er Jahre, allerdings war die Stimmung schlecht – und die guten Voraussetzungen sind nicht genutzt worden. Erst als Platzeck kam, gab es den Umschwung. Er hat eine völlig neue Aufbruchsstimmung verbreitet. Die Stadt öffnete sich mit einem freundlichen Gesicht. Es war eine Initialzündung.

Welche Schlagzeile hätten Sie am liebsten nie geschrieben?

Fällt mir sofort ein. Ein Aufmacher-Artikel im Lokalteil im Zusammenhang mit dem Potsdam-Center. Die Überschrift lautete: „Muss das Leipziger Dreieck abgesenkt werden?“ Ich hatte einen Informanten, der meinte die Neigung von der Brücke zum Bahnhof hin sei zu stark. Daher müsse der Verkehrsknoten abgesenkt werden. Das ist eine der wenigen Schlagzeilen über die ich mich ärgere, weil sie sich falsch erwies.

Sind Zeitungen ein Auslaufmodell?

Das glaube ich nicht. Tageszeitungen wird es künftig auf zwei Wegen geben. Zum einen in gedruckter Form. Das zweite ist die Verbreitung über elektronische Medien. Wichtig ist: Die Welt wird immer komplizierter, daher suchen die Leute nach einer Institution die es ihnen erleichtert, die Welt zu begreifen. Und sie interessieren sich für ihre unmittelbare Lebenswirklichkeit. Den Menschen die Welt und das Lokale an die Hand geben, aufbereitet mit Service, Hintergrund und Analyse – das kann nur eine Tageszeitung.

Inwieweit ist durch den steigenden wirtschaftlichen Druck auf die Verlage der unabhängige Journalismus in Gefahr?

Der Druck ist da. Das ist durchaus normal – so ist das Geschäft. Aber da sind wir konsequent und sagen Nein.

Die PNN ist in 60 Jahren ...

... vielleicht in gedruckter Form nicht mehr zu haben. Weil die Zeit einfach vorbei ist. Aber auf elektronischen Wegen wird man weiterhin seine Tageszeitung genießen können. Entscheidende Voraussetzung dafür ist guter Journalismus. Mein Appell ist daher: Die Redaktionen müssen so ausgestattet sein, dass sie vernünftig arbeiten und guten Journalismus anbieten können.

Das Gespräch führte Jan Brunzlow

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })