Von Klaus Büstrin: Ein großer botanischer Enzyklopädist
Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Müller-Stoll
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Meister der Improvisation. So nannte man den Botaniker Prof. Wolfgang R. Müller-Stoll (1909-1994) in Zeiten, als das Botanische Institut der Brandenburgischen Landeshochschule Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre aufgebaut wurde. In vier königlichen Räumen im Nordflügel des Neuen Palais begann die Arbeit. Gegenüber im Marstall fanden die Vorlesungen statt. Für eine solide wissenschaftliche Arbeit fehlte es aber an allen Ecken und Enden, vor allem an Demonstrationsmaterial für die Studenten. Doch Wolfgang R. Müller-Stoll, der erste Institutsdirektor, ließ sich nicht entmutigen, auch die Mitarbeiter und die Studierenden nicht, die nach dem Examen vor allem als Biologielehrer arbeiten sollten.
Müller-Stoll, der gestern 100 Jahre alt geworden wäre, war ein bedeutender Botaniker, aber auch ein mutiger Mensch. Er gehörte zu den Wenigen, die in der DDR-Zeit gegen den Mauerbau am 13. August 1961 öffentlich demonstrierten. Gegenüber Mitarbeitern des Ministeriums für Volksbildung und der Pädagogischen Hochschule, die aus der Brandenburgischen Landeshochschule hervorgegangen war, klagte er: „Die Mauer zementiert die Spaltung Deutschlands. Sie wird zur politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Isolation eines Teils des deutschen Volkes führen“. Die Reaktion der Staatsmacht folgte: Wolfgang R. Müller-Stoll wurde seines Amtes als Direktor des Botanischen Instituts enthoben und erhielt Lehrverbot. Einige Mitarbeiter, die Müller-Stoll offen ihre Sympathien bekundeten, wurden gemaßregelt.
Helga Schröder, die wissenschaftliche Assistentin des Direktors war, schrieb in dem Sammelband „Zur Geschichte der Botanik in Berlin und Potsdam“ (Verlag für Wissenschafts- und Regionalgeschichte Berlin), dass der Mauerbau auch für Müller-Stoll die völlige Abnabelung von seinen westdeutschen Kollegen und von seiner badischen Heimat bedeutete. Gegenüber der Autorin sagte er: „Wenn ich nicht mehr nach Hause fahren kann, dann fühle ich mich geistig kastriert.“
Nach der Wende haben Schüler und ehemalige Mitarbeiter von Prof. Müller-Stoll sich intensiv dafür eingesetzt, dass der Wissenschaftler rehabilitiert wird. Am 3. Juli 1991 fand im großen Hörsaal des Botanischen Instituts ein Ehrenkolloquium statt. Prof. Rolf Mitzner, Gründungsrektor der Universität Potsdam, sagte, dass die Beurlaubung Müller-Stolls bei international bekannten Persönlichkeiten Empörung hervorgerufen habe. „In seinen Arbeiten und in seinen zahlreichen Schülern, die heute im Osten und im Westen Deutschlands Professuren und andere Leitungsfunktionen bekleiden, hat er sich selbst das schönste Denkmal gesetzt.“
In Karlsruhe geboren, studierte Wolfgang Müller-Stoll nach dem Besuch des Realgymnasiums Naturwissenschaften in seiner Heimatstadt und in Heidelberg. Nach seiner Promotion 1933 war er unter anderem Regierungsbotaniker im Staatlichen Weinbauforschungsinstitut in Freiburg im Breisgau.1938 trieb es den Wissenschaftler nach Südwestafrika, um dort sich intensiven botanischen Forschungen zu widmen. Dort holte ihn der Zweite Weltkrieg ein. 1940 wurde er von südafrikanischer Seite in ein Zivilinternierungslager gesteckt, das für Personen aus Feindesländern eingerichtet wurde. Südafrika war damals britische Kronkolonie.
Nach der Rückkehr nach Deutschland war er am Forstpolitischen Institut Tharandt tätig und kam 1949 nach Potsdam. Zwölf Jahre konnte er sich dem Aufbau des Botanischen Instituts sowie des Botanischen Gartens widmen. Nach seinem Hochschul-Rauswurf wurde Müller Stoll im Institut für Kulturpflanzenforschung Gatersleben angestellt.
Rektor Rolf Mitzner sagte 1991 auf dem Kolloquium, dass Müller-Stoll als einer der großen botanischen Enzyklopädisten des deutschen Sprachraums genannt werden könne. Die klassische Genetik Mendels gehörte zu den wichtigen Themen des Botanikers. Vor allem wandte er sich – auch öffentlich – gegen die von der SED-Macht propagierte „dialektisch-materialistische Genetik“ des sowjetischen Biologen Lyssenko. Die Theorie, nach der Erbeigenschaften durch Veränderungen von Umweltbedingungen entstehen, erwies sich als wissenschaftlich unhaltbar.
Am 16. April 1994 starb Wolfgang Müller-Stoll. Er fand seine letzte Ruhestätte auf dem Bornstedter Friedhof, ganz in der Nähe des Freilandlaboratoriums des Botanischen Instituts und des Wohnhauses, in dem er Jahrzehnte Ruhe, Geborgenheit und Möglichkeiten der wissenschaftlichen Arbeit fand.
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