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Anspruchsvoller als Fußball: Nachwuchsfechter bei den Landesmeisterschaften am vergangenen Samstag in der MBS-Arena.

© I. Höfgen

Sport: Ein gutes Gefecht ist wie ein schnelles Schachspiel

Fechten hat in Potsdam Tradition, doch die Talentförderung ist schwierig

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Wer das erste Mal eine Viertelstunde lang beim Fechten zusieht und versucht, die Treffer mit bloßem Auge zu erfassen, für den gibt es nicht viel zu sehen. Zwei Fechter, weißer Anzug, schwarze Maske, versuchen, den Körper des jeweils anderen zu treffen. Irgendwann wird der Kampf durch einen Ton unterbrochen. Stets wandert der Blick zur elektronischen Anzeige, wo in Rot und Grün die Treffer leuchten. Ob sie gelten, ist dann eine andere Frage.

Fechtsport lässt sich nicht so leicht aus sich heraus erklären wie Fußball, und entsprechend geringer fällt das Interesse des Nachwuchses aus. Knapp 30 Sportler zwischen 12 und 14 Jahren trafen sich am vergangenen Samstag zur brandenburgischen B-Jugend-Meisterschaft in der Potsdamer MBS-Arena. Für Florett und Degen wurden die Meister gesucht und auch jene, die zu den deutschen Meisterschaften fahren. Die Fechterszene in Brandenburg ist überschaubar. Potsdam und Cottbus sind die Hochburgen, auch aus Kleinmachnow, Pritzwalk und Oranienburg kamen einzelne Aktive. Auf 80 bis 90 Mitglieder kommt der OSC, auf etwa 100 der Preußische Fechtclub.

Was also kann man sehen? Florett ist, verglichen mit dem Degen, die anspruchsvollere Disziplin. Der Treffer zählt nur, wenn man das Angriffsrecht hatte, also aktiv angriff oder einen Angriff parierte und deshalb selbst angreifen durfte. Diese Regeln werden Konventionen genannt. Parieren und Angreifen – das Recht wechselt binnen Sekundenbruchteilen. Den Überblick muss der Kampfrichter behalten. Er entscheidet, ob der Treffende auch angreifen durfte. Trefffläche beim Florett ist nur der Oberkörper, nicht Arme, Beine, Kopf. Beim Degen dagegen kann am ganzen Körper getroffen werden. Möglich ist auch, dass – anders als beim Florett – beide gleichzeitig treffen. „Mitstoßen“ lohnt sich also.

Um nach den Regeln auch den Reiz zu erklären, der vom Fechten ausgeht, nimmt Johannes Trubel eine Anleihe beim körperlosen Sport. „Ein gutes Gefecht ist wie ein schnelles Schachspiel“, sagt der Trainer des OSC Potsdam. Die Züge werden quasi durch die Bewegungen bestritten. Kreativität und Witz sind gefordert, es ist eine „geistige Auseinandersetzung auf physischer Ebene“. Intensiv ist es auch: Unter Unterziehweste, Fechtjacke und E-Weste schwitzen einige sogar schon ohne Bewegung.

„Fechten ist vom Kopf her anspruchsvoller als Fußball“, ist Merlin Rainer überzeugt. Der 14-jährige Potsdamer ist eines der OSC-Talente, das am Samstag Meister wurde. Überraschend war das nicht, er führte die brandenburgische Rangliste mit großem Vorsprung an. In den nächsten Wochen wird er bei zwei deutschen Nachwuchs-Meisterschaften antreten. In seiner Altersklasse, der B-Jugend, hat er sich ebenso qualifiziert wie in der A-Jugend. Sein Ziel? „Alles geben“, sagt er. Fechter würden sich nicht einen Platz als Ziel setzen. Auch Yu Han Meyer vom Preußischen Fechtclub sowie Friedrike Ganster vom OSC wurden Landesmeister in ihren Altersklassen und werden bei den nationalen Titelkämpfen auf der Planche stehen.

Merlin Rainer ficht, seit er fünf Jahre ist. Für ihn gehört der Sport zum Leben. „Es war der erste Sport, den ich machen wollte“, sagt er. Der Fechtsport habe ihm viel gebracht: Mit den Erfolgen hat er Selbstbewusstsein gewonnen, inzwischen trainiert er fünfmal pro Woche. Auf 19 Turnieren hat er in der Saison 2013/2014 bisher gefochten, bei den international besetzten Turnieren sei das Niveau höher als in Brandenburg. Die Herausfordung sei, mit der Situation, dem Druck richtig umzugehen, nicht zu verkrampfen und die Gefechte auch nicht zu locker angehen zu lassen. Er findet es schade, dass beim Fechten selbst die Olympiateilnehmer nicht vom Sport leben können, obwohl sie ebenso hart trainieren wie andere Sportler.

Der 14-Jährige würde gern auf die Sportschule gehen – vorgesehen ist dies seit 2001 allerdings nicht mehr. Weil die großen Erfolge ausblieben, wurde die Klasse damals geschlossen. Florian Gerlach, hauptamtlicher OSC-Trainer, war damals im letzten Jahrgang, der noch eingeschult wurde. Der Zusammenhang ist klar: Ohne Sportschule ist es nicht leicht, Talente zu halten und die Erfolge vorzuweisen, die für eine Fechterklasse sprechen könnten. Und ohne Fechterklasse kommen kaum Talente. Ingmar Höfgen

Ingmar Höfgen

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